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Reutlinger Kaufhof-Gebäude: So könnte es weitergehen

Am 31. Januar 2024 endet in der Karlstraße eine Ära. Galeria Karstadt Kaufhof schließt. Was Reutlingens Stadtplaner Stefan Dvorak und Wirtschaftsförderer Markus Flammer über Möglichkeiten der Nachnutzung sagen.

Stadtbildprägend - und bald erstmal ohne Nutzung: Das Gebäude der Galeria Karstadt Kaufhof.
Stadtbildprägend - und bald erstmal ohne Nutzung: Das Gebäude der Galeria Karstadt Kaufhof. Foto: Frank Pieth
Stadtbildprägend - und bald erstmal ohne Nutzung: Das Gebäude der Galeria Karstadt Kaufhof.
Foto: Frank Pieth

REUTLINGEN. Noch siebeneinhalb Wochen. Dann wird Galeria Karstadt Kaufhof in Reutlingen Geschichte sein. Zum 31. Januar 2024 schließt das Warenhaus seine Türen. Die Diskussion um eine Folgenutzung des stadtbildprägenden Gebäudes nimmt Fahrt auf. Noch im September hatte der Gemeinderat ein Vorkaufsrecht fürs Gebäude beschlossen. Das bietet die »Möglichkeit, zum Verkehrswert in die Kaufverträge einzusteigen, wenn wir merken, hier entsteht eine Falschnutzung«, führte Stadtplaner Stefan Dvorak damals aus. Doch die Stadtkasse ist ziemlich leer. Was bringt also ein solcher Schachzug? Wenn man merke, die durch den Eigentümer angestrebte Nutzung gehe in eine falsche Richtung, »dann müsste man innerhalb der Stadt beraten, ob man einsteigt und wie man gegebenenfalls die Mittel bereitstellt«, führt Dvorak aus.

Was klar ist: »Der Markt ist aktuell nicht gut«, sagt Reutlingens Wirtschaftsförderer Markus Flammer zur Suche nach einem Nachnutzer. »Die Finanzierungs- und Baukosten sind hoch, für tiefgreifende Investitionen ist die Zeit schlecht. Der Eigentümer ist bestrebt, die noch für Handel möglichen Flächen einer mittelfristigen Handelsnutzung zuzuführen.« Das Gebäude gehört seit 2020 dem US-amerikanischen Private-Equity-Investor Apollo. Für die Stadt Reutlingen, so Dvorak, sei aber klar: »Ziel muss am Ende der langfristige Umbau der Immobilie sein, sodass sie die nächsten 40 bis 50 Jahre gut dasteht.« Also: Mittelfristige Nutzung für Handel, so lange bis die Stadt oder ein anderer Investor Geld und Mut für den großen Umbau hat? In Dvoraks Heimatstadt Neuss hat zum Beispiel der örtliche Bürgerverein den Umbau der leeren Kaufhof-Immobilie für knapp 43,5 Millionen Euro gestemmt.

Priorität 1 hat nun aber erstmal, die Eigentumsverhältnisse zu klären. Drei Parteien sind involviert, die Lage ist kompliziert. So gehört der Stadt ein kleiner Teil des Grundstücks. Ein etwas größerer Teil gehört einer Eigentümergesellschaft, die aus 13 Mitgliedern besteht. Das Erbbaurecht, das auf deren Grundstücksteilen liegt, läuft 2027 aus und kann noch einmal verlängert werden. Der größte Teil - das Gebäude und eine große Grundstücksfläche - gehört Apollo. »Ziel ist, dass baldmöglichst Sicherheit herrscht, was die Grundstücksverhältnisse betrifft«, sagt Stefan Dvorak. Am besten sei in solchen Fällen immer ein einheitlicher Eigentümer.

So lange also die Gespräche und der Ausverkauf laufen, ist Zeit für ein kleines Gedankenspiel, was für und was gegen bestimmte Formen der Nachnutzung spricht.

Einzelhandel, Supermarkt

"Absolut Potenzial" hat laut Stadtplaner Dvorak ein Supermarkt an dieser Stelle. "Wir sind aktuell in der Erstellung eines Einzelhandelskonzepts für Reutlingen und dieses kommt zu dem Ergebnis, dass es uns in der Innenstadt an Lebensmittelläden wirklich mangelt." Aufgrund der großen Fläche wäre das Kaufhof-Gebäude "absolut geeignet". Genügend Parkplätze gibt's an dieser Stelle auch - nämlich 252 an der Zahl. Diese Thematik sollte - im Gegensatz zum Migros in der Müller-Galerie Anfang der 2010er-Jahre - also zu keinem Problem werden.

Und wie sieht's mit Einzelhandel aus? Immerhin schließen selbst in 1A-Lage in der Wilhelmstraße Geschäfte. Was sollte in dieser wirtschaftlichen Situation also Einzelhändler dazu bewegen, ins Kaufhof-Gebäude zu ziehen? »Es gibt Konzepte, die große Flächen benötigen«, sagt Wirtschaftsförderer Flammer. »Also im Bereich von mehreren tausend Quadratmetern.« Er sieht trotz 1B-Lage Potenzial, aufgrund der Nähe zu Bahnhof und Fußgängerzone. Klar ist: Je mehr Fläche mittel- oder langfristig an Einzelhändler vermietet wird, desto billiger wird es für den Gebäude-Eigentümer. Da das Gebäude jetzt schon auf Einzelhandel ausgelegt ist, wird hierfür am wenigsten Umbau nötig sein.

Kein Potenzial mehr für Einzelhandel an dieser Stelle sieht dagegen Jochen Strähle, der Dekan am Texoversum der Reutlinger Hochschule. Im GEA-Gespräch im August fand er klare Worte: »Der Standort ist tot. Der wird nie wieder leben. Da gibt es ja keinen Anziehungspunkt.«

Club, Skybar

Aktuell zieht es junge Reutlinger an Wochenenden vor allem nach Tübingen und Stuttgart. Für ein attraktives Nachtleben-Angebot in zentraler Lage gäbe es also absolut Potenzial. Das wissen Dvorak und Flammer nicht erst seitdem Ideen-Workshops im Sommer stattgefunden haben. Das 3. Obergeschoss würde sich für einen Club anbieten, sagt Dvorak. Doch Umbau-Kosten bremsen auch hier die Euphorie: »Das ist ganz klar wieder ein Erschließungsthema«, sagt der Stadtplaner. Man bräuchte separate Zugänge, müsste in Brandschutz investieren. »Momentan liegt der Fokus ganz klar darauf, Geschosse für Einzelhandel zu vermieten.« Wobei sich der Gebäude-Eigentümer »sicher nicht verschließen« würde, wenn so eine Nutzung aufkommt.

Was wahrscheinlicher scheint: Dass es im Sommer 2024 eine Skybar auf dem Parkhaus-Dach geben könnte. Wirtschaftsförderer Flammer hat zumindest einen Aufstockungsantrag beim Förderprogramm »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren« (ZIZ) gestellt. Wird dieser bewilligt, wird es entweder »eine gastronomische Nutzung über den ganzen Sommer oder zumindest einzelne Veranstaltungen auf dem Dach geben«.

Abriss, Umbau

Einfach abreißen und ein neues, modernes Gebäude bauen? Was manch' einer schon diskutiert, erscheint Stadtplaner Dvorak nicht zielführend. Zum einen aus Klimaschutz-Gründen: »Das ist eine gewaltige Baumasse, die da steht. Da ist so viel Beton verbaut, da steckt so viel graue Energie dahinter.« Zum anderen aus stadtplanerischen Gesichtspunkten. »Das Gebäude ist im Stadtbild angekommen und gehört einfach dazu.« Ein »Stück Stadtgeschichte« könne man nicht einfach so verschwinden lassen. In Hamm ist das beispielsweise geschehen. Dort wurde die ehemalige Horten-Immobilie 2006 von der Stadt gekauft und 2007 abgerissen. Es entstand ein Kultur- und Bildungszentrum. Kostenpunkt: rund 28 Millionen Euro.

Im Spätsommer 2022, also noch vor dem erneuten Schutzschirmverfahren von Galeria Karstadt Kaufhof, wurde das Reutlinger Gebäude von der Maklerfirma Waterway in einem Portfolio zum Verkauf angeboten. Es ließe sich in einen modernen Gebäudekomplex mit Misch-Nutzung umwandeln, heißt es im Exposé. Abriss und Neubau sind dort mit 70,8 Millionen Euro veranschlagt, bei zweijähriger Bauzeit. Verkaufen ließe sich das Gebäude dann für 130,8 Millionen Euro, heißt es weiter. Für die Mischnutzung vorgeschlagen wird: Wohnen (15 Prozent), Büros (10 Prozent), Handel (25 Prozent), Alten- und Seniorenwohnungen (45 Prozent) und Gastronomie (5 Prozent). Diese Pläne waren mit der Stadt Reutlingen nicht abgestimmt, wie der GEA erfahren hat.

Büros, Wohnungen

»Für jede Art von Tageslicht-Nutzung muss ein Lichthof rein«, sagt Wirtschaftsförderer Flammer. Also für Büros wie Wohnungen. Was wieder mit enormen Umbau-Kosten verbunden wäre. »Wer in der Innenstadt in so ein Projekt investiert, der rechnet mit 20 und mehr Jahren, bis es sich finanziell gerechnet hat«, sagt Stadtplaner Dvorak. Welchen Planungshorizont der jetzige Eigentümer hat? Man könne zum aktuellen Zeitpunkt keine Auskunft zu den angefragten Themen geben, heißt es vom Immobilienmanager RME.

Auch über die Unterbringung von Flüchtlingen im Kaufhof-Gebäude habe man schon nachgedacht, bestätigt Reutlingens Sozialbürgermeister Robert Hahn. »Weil wir über alles nachdenken, was potenziell überhaupt in Frage kommen könnte.« Doch es sei »schwierig, Leute in so großen Räumen unterzubringen«. Auch mangelndes Licht habe eine Rolle gespielt. »Aktueller Stand ist also: Wir verfolgen es nicht weiter und suchen nach anderen geeigneten Lösungen.« (GEA)