REUTLINGEN. Anfang Dezember 2023 wurden Bundestagsabgeordnete aller sechs Fraktionen zu einer Diskussionsrunde am Johannes-Kepler-Gymnasium eingeladen. An der Runde am 5. Februar sollen Oberstufenschüler teilnehmen, die den Leistungskurs Politik belegt haben. Ziel der Veranstaltung sei »die Auseinandersetzung mit politischen Themen als auch das Gespräch zwischen Politik und Jugend auf Augenhöhe«. So heißt es in der Ankündigung. Michael Donth (CDU), Dr. Martin Rosemann (SPD), Jessica Tatti (früher Linke, jetzt BSW), Beate Müller-Gemmeke (Grüne), Professor Dr. Stephan Seiter (FDP) und Dr. Dirk Spaniel (AfD) nahmen die Einladung an. Doch AfD-Mann Spaniel wurde am vergangenen Mittwoch recht kurzfristig von Kepi-Rektor Thomas Moser wieder ausgeladen. Die E-Mail an Spaniel liegt unserer Redaktion vor.
Schon bei der Einladung Ende 2023 habe man an der Schule die Frage diskutiert, »ob wir den Vertreter einer Partei an eine staatliche Schule einladen können, deren Positionen nach unseren Einschätzungen als Politik-Lehrkraft bzw. Schulleiter nicht mehr vollständig mit der demokratisch-freiheitlichen Grundordnung in Einklang zu bringen sind«, heißt es in der besagten E-Mail. Moser schildert im Gespräch mit dem GEA das Dilemma, in dem er sich schon damals befunden habe: »Wir sind politisch zur Neutralität verpflichtet. Wir haben als Beamte des Landes aber auch einen Amtseid auf die Verfassung und ihre Werte geschworen.« Die Rechtslage sei diesbezüglich »nicht eindeutig«, sagt Moser. Deshalb habe man sich Ende 2023 noch »beraten und uns schließlich für eine Einladung entschieden«. Die dann recht kurzfristig revidiert wurde.
Rektor: Schülerschaft in Teilen verängstigt
Spätestens das von »Correctiv« enthüllte Treffen in Potsdam, an dem auch mehrere AfD-Politiker teilgenommen hatten, habe nämlich jüngst gezeigt, »dass innerhalb der AfD Themen diskutiert werden, welche mit den Werten unserer Verfassung nicht mehr vereinbar sind«, schreibt Rektor Moser in der Ausladungs-Mail an AfD-Mann Spaniel. »Demzufolge kann ich es nicht verantworten, den Vertreter einer solchen Partei oder politischen Gruppierung als Gesprächsgast an meine Schule einzuladen.«
Am Mittwoch vergangener Woche habe er einen Anruf der Grünen-Bundestagsabgeordneten Müller-Gemmeke erhalten, sagt Moser. Sie habe betont, dass für sie und andere Abgeordnete eine Teilnahme nicht darstellbar sei, wenn auch ein AfD-Vertreter dabei wäre. Moser betont, dass er sich davon nicht unter Druck setzen lassen habe. Müller-Gemmekes Anruf sei sinngemäß nur der Tropfen gewesen, der sein Fass an Bedenken zum Überlaufen gebracht habe. »Denn ich habe vor allem in den letzten Wochen gemerkt, dass etwas ins Rutschen geraten ist«, schildert er im Gespräch mit dem GEA. Ihm seien Fälle von Schülern mit Migrationshintergrund bekannt, die sich besorgt an Lehrer gewandt hätten. »Sie wollten wissen: Was passiert mit mir und meiner Familie, wenn die AfD an die Macht kommt?« Circa 35 Prozent der Kepi-Schüler haben laut Rektor Moser Migrationshintergrund. Und so entschied er sich schließlich für die Ausladung. Auch, weil die Diskussion am Montag in Kleingruppen direkt zwischen Schülern und Politikern stattfinden wird.
Ausladung schlägt hohe Wellen
Die Ausladung schlägt nun auf bestimmten Plattformen im Netz hohe Wellen. AfD-Mann Spaniel äußert sich in einem rund fünfminütigen Video auf seinem Youtube-Kanal zum Fall und wirft Rektor Moser vor, bestimmte Meinungen gezielt unterdrücken zu wollen. Das Video wurde bislang tausendfach geschaut und hundertfach kommentiert. »Die Frage, ob eine Partei noch verfassungskonform ist, muss ein Schulleiter nicht stellen. Die beantwortet das Bundesverfassungsgericht«, sagt Spaniel dem GEA. Er sieht den Fall als erneutes Beispiel dafür, »dass eine freie Meinungsbildung in Schulen uns betreffend nicht mehr möglich ist«. Der Leiter der Rechtsabteilung der AfD-Bundestagsfraktion beurteilt die Ausladung in einem Schreiben als »klar rechtswidrig«. Er sieht einen Verstoß gegen das »Mäßigungs- und Neutralitätsgebot des Beamtentums«.
AfD-Stadtrat Hansjörg Schrade beantragte nach Bekanntwerden der Ausladung einen Infostand für Montagmorgen an der Bushaltestelle an der Alteburgstraße. Also in direkter Nähe zum Kepi. Doch das Reutlinger Ordnungsamt verweigerte die Genehmigung aufgrund der Kurzfristigkeit des Antrags.
Hoffnung auf klare Handlungsanweisung
Seitdem die Absage im Netz publik geworden ist, gingen 50 bis 70 Mails bei Kepi-Rektor Moser ein, teilweise mit Beschimpfungen. »Das berührt mich und meine Kollegen sehr«, sagt er bedrückt. So sehr, dass er am Samstagabend eine Mail an seine Lehrer verfasste, in der er seinen Entschluss nochmal ausführlich erklärt. Er habe von anderen Schulleitern in der Gegend durchweg positive Rückmeldungen auf seine Entscheidung bekommen, sagt Moser im GEA-Gespräch. Die Fragestellung, wie man nun mit der AfD umgeht, betreffe ja alle. »Wir Schulleitungen sind diesbezüglich wirklich in einer Dilemmasituation. Wir erhoffen uns nun eine klare Handlungsanweisung des Regierungspräsidiums.« (GEA)