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Reutlinger GWG soll deutlich mehr sozialen Wohnungsbau betreiben

Blick auf Reutlingen vom Hochhaus Stuttgarter Tor Richtung Georgenberg. Foto: Markus Niethammer
Blick auf Reutlingen vom Hochhaus Stuttgarter Tor Richtung Georgenberg.
Foto: Markus Niethammer

REUTLINGEN. Kurskorrektur? Profilschärfung? Rückbesinnung auf die Grundidee? Die Bewertung dürfte unterschiedlich ausfallen. Die Beschlussvorlage für den Gemeinderat trug jedenfalls den neutralen Titel »Anpassung der strategischen Ziele der GWG-Wohnungsgesellschaft«: Sie soll künftig noch mehr bezahlbaren Wohnraum als bisher schaffen. Von den mindestens 1 400 Neubauwohnungen, die bis ins Jahr 2036 fertiggestellt werden sollen, sollen 70 Prozent öffentlich gefördert sein. Außerdem sollen aus dem Bestand der GWG mindestens 40 Prozent an Mieter mit Wohnberechtigungsschein vergeben werden. Die »Leitplanken« der städtischen Tochter werden damit deutlich enger gesetzt als in der vorangehenden Fassung von 2018. Nachverdichtung und Dachgeschossausbauten sollen bei der Wohnraumbeschaffung helfen.

Auch eine Anpassung der Mieten, von der man bisher abgesehen habe, ist vorgesehen – sozialverträglich mit einer Obergrenze, die sich am Mietspiegel orientiert. 20 Prozent des GWG-Wohnungsbestands sollen zudem bis 2027 barrierefrei zugänglich sein.

»Die GWG muss finanzstark und leistungsfähig bleiben«

Die energetische Ertüchtigung der Bestandswohnungen wird fortgesetzt und orientiert sich an den Klimazielen der Stadt. Bei Sanierung und Neubau sollen innovative Aspekte wie regenerative Baumaterialien geprüft und umgesetzt werden. GWG-Geschäftsführer Ralf Güthert sprach im Rat von »sehr anspruchsvollen« Zielen. Er machte auch deutlich, dass der soziale Wohnungsbau ohne Förderung »nicht funktioniert«. Und da sieht es bei Bund und Land derzeit nicht rosig aus.

Der Gemeinderat stimmte den unter anderem in einer zweitägigen Strategieklausur mit Geschäftsführung und Aufsichtsrat erarbeiteten Zielen einstimmig zu, allerdings mit acht Enthaltungen.

Gabriele Janz, die Fraktionsvorsitzende der Grünen und Unabhängigen, bedankte sich für die "konstruktive Arbeit" in der Klausur. Die GWG unterstreiche damit ihre Verantwortung in der Stadt. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Treutlein freut sich über Gesinnungswandel: "Vor vier Jahren haben wir uns noch über 30 Prozent als Vorgabe für den sozialen Wohnraum gestritten. Nun fänden 70 Prozent geförderte Wohnung Zustimmung. "Wir passen Ziele an Realität an."

Die GWG sei »eine große Errungenschaft«, lobte Rüdiger Weckmann von der Linken Liste das Wirken – auch wenn der Entzug der Gemeinnützigkeit der Wohnungsgesellschaften seinerzeit durch den Bund ein Fehler gewesen sei. Dennoch verringere die GWG die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage nach günstigem Wohnraum: »Der freie Markt schafft das nicht.«

Dass die Neudefinition der Aufgaben fürs Unternehmen eine finanzielle Herausforderung bedeutet, darüber war man sich einig im Saal.

»Eigenkapital runter, Schulden hoch: Das kann auf Dauer nicht gut gehen«: Die FWV stimmte zu – trotz Bedenken. »Die Kuh gibt nur gute Milch mit gutem Fressen«, betonte FWV-Rat Erich Fritz. »Wir dürfen die Kuh nicht melken, bis sie umfällt.«

Auch das Thema Ausschüttungen an die Stadt wird da sicher diskutiert werden. Einen wichtigen Anteil am positiven Deckungsvertrag der Gesellschaft soll weiterhin das Bauträgergeschäft haben. »Die GWG muss finanzstark und leistungsfähig bleiben«, mahnte auch die CDU-Fraktionsvorsitzende Gabriele Gaiser an, deren Fraktion den neuen Kurs dennoch unterstützt.

WiR hingegen enthielt sich eines positiven Votums. Allzu sehr sorgt man sich laut dem Fraktionsvorsitzenden Professor Dr. Jürgen Straub um den »gesunden Fortbestand« des Wohnungsunternehmens. Die »Verengung der Leitplanken« schränke die Leistungsfähigkeit der GWG zu sehr ein.

»Alle 19 Minuten verschwindet eine geförderte Wohnung vom Schirm«

»Auf Dauer ist das nicht darstellbar«: Auch die FDP teilt diese Bedenken. »50 Prozent Sozialwohnungen hätten gereicht«, glaubt Sarah Zickler.

AfD-Chef Hansjörg Schrade wollte wissen, wie viele Wohnungen jährlich fertiggestellt werden und regte an, dass die Gesellschaft Einnahmen generieren könnte durch den Weiterverkauf von 3 Prozent dieser Immobilien, etwa an junge Familien zur Vermögensbildung.

Derzeit würden 30 bis 50 Wohnungen jährlich fertiggestellt, berichtete GWG-Chef Güthert. 450 seien aktuell »in der Produktion«. Von den Bestandsimmobilien stünden drei Viertel energetisch gut da. Für die Ertüchtigung des Rests setzt er aber immerhin noch eine satte halbe Milliarde Euro an.

7 500 Wohnungen hat die GWG insgesamt in Reutlingen. 6 000 davon seien »weit unter dem Mietspiegel« vermietet.

Dass auch der Oberbürgermeister in seiner Rolle als GWG-Aufsichtsratsvorsitzender hinter verschlossenen Türen Druck gemacht hat, darf nach dem Epilog von Thomas Keck gemutmaßt werden. Er holte weiter aus in Sachen Wohnungsnot. »Die Situation ist dramatisch.« Bundesweit fehlten 700 000 Wohnungen. »Die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus ist unerlässlich. Alle 19 Minuten verschwindet eine geförderte Wohnung vom Schirm.« Sprich: Die Bindungsfrist läuft ab. »Da hilft nur bauen, und zwar schnell«, mahnte Keck. (GEA)