REUTLINGEN. Private Friedwälder, Kolumbarien in Grabkirchen: Mit der Friedhofsentwicklungsplanung reagiert die Stadt Reutlingen unter anderem auf zunehmenden Wettbewerb im Friedhofs- und Bestattungswesen. Es sei zwar zu erwarten, dass die Sterbefallzahlen mindestens bis zum Jahr 2052 zunehmen. Zugleich wurden in den letzten fünf Jahren durchschnittlich nur noch 95 Prozent der Verstorbenen mit Erstwohnsitz in Reutlingen auch auf Reutlinger Friedhöfen bestattet, heißt in der umfassenden Präsentation, die die Technischen Betriebsdienste Reutlingen (TBR) jüngst vorgelegt haben. Im Jahr 2022 war die »Abwanderung« mit 9 Prozent besonders hoch. Dies sei ein »Indiz für eine Bestattungsnachfrage, die nicht auf den Reutlinger Friedhöfen – 14 an der Zahl – befriedigt wird.« Zudem wird eine vermehrte Bestattung im Ausland erwartet.
Auch hält der Trend zu Feuer- beziehungsweise Urnenbestattungen an: Nur noch in 32 Prozent der Fälle wird Erdbestattung bevorzugt. Kernziel der Planung daher: Die Reduzierung der Bestattungsflächen in Randbereichen. Pflegekosten sollen so gesenkt, Flächen klimafreundlich anderweitig genutzt werden, so die Marschlinie. Zudem soll das Angebotsspektrum angepasst und erweitert werden, die Wirtschaftlichkeit dieser städtischen Pflichtaufgabe verbessert werden.
Die Nachfrage nach »pflegefreien« oder zumindest pflegeleichten Ruhestätten steige kontinuierlich. Und so sollen auch in Reutlingen pflegeleichte Sarg- und Urnengräber angeboten werden. Auslaufmodell werden – nach Ablauf der Ruhefristen und Nutzungsrechte – aus städtischer Sicht die pflegeintensiven Erd- und Urnenrasengräber sowie die ursprünglichen Urnenhain- und Baumbestattungen.
Kurz vor Weihnachten steht das Thema auf der Tagesordnung des Gemeinderats. Dann wird es auch um die beiden großen Friedhöfe der Kernstadt – Unter den Linden und Römerschanze – gehen.
Die Resonanz in den Teilorten auf die Planung ist bisher unterschiedlich (der GEA berichtete mehrfach). Ein einstimmiges Nein gibt es aus Bronnweiler. Dort will die Stadt die Bestattungsflächen im südlichen Friedhofsteil nahe der Trauerhalle und des Parkplatzes konzentrieren. Das Nein richtet sich allerdings gegen die Weigerung der Stadt, zwischen Bronnweiler und Gomaringen einen kommunalen Bestattungswald einzurichten. Den städtischen Untersuchungen zufolge ist ein solches Projekt »nicht Erfolg versprechend«. Es komme zu teuer (für die Realisierung sind 620.000 Euro angesetzt) und stehe in Konkurrenz zu anderen städtischen Angeboten.
»Wir bedauern, dass die Stadt die Idee nicht fortführt«, sagt Ortsvorsteherin Friedel Kehrer-Schreiber. Seit bald zehn Jahren habe man dort die Idee gehegt, sie sei auf gute Resonanz gestoßen. Umso größer nun die Enttäuschung. Das Unverständnis mehrt, dass die Gutachter nach Kehrer-Schreibers Angaben gar nicht die Fläche untersucht haben, die die Bronnweiler im Sinn haben: links der Aussegnungshalle im Gewand Kreuzwald.
Bronnweiler hätte die Infrastruktur wie Sanitär und Leichenhalle eingebracht. Gomaringen die Waldfläche – interkommunale Zusammenarbeit pur und die Chance zwischen Münsingen und Schönbuch einen weiteren Friedwald anzubieten: »Wir fühlen uns missverstanden«, sagt Kehrer. Und: »Das wäre ein Gewinn für die Region.« Der bestehende Friedhof umfasst 0,57 Hektar. Im Schnitt fanden dort in den vergangenen vier Jahren neun Bestattungen statt. Fürs Jahr 2029 sind in der Friedhofsplanung zehn Bestattungen prognostiziert.
Blütenhain in Gönningen?
2,15 Hektar groß ist der Gönninger Friedhof. Dort wurden im Schnitt in den vergangenen vier Jahren 35 Menschen zu Grabe getragen. 39 werden es laut Prognose dort in 2029. In Gönningen will die Stadt laut Vorlage unter anderem eine Konzentration der Bestattungsflächen im westlichen Friedhofsteil und den Rückzug aus den östlichen Bereichen. Überhangflächen im Süden werden zur Schaffung nachfrageorientierter Bestattungsangebote vorgehalten. Eine besondere Idee für Gönningen: Auf einer mit Obstbäumen bestandenen Erweiterungsfläche des Friedhofs soll »Bestattung im Blütenhain am Rossberg« angeboten werden. In der Gemeinschaftsanlage würden die Urnen entlang eines geschwungenen – barrierefreien – Weges in die Erde gelegt.
»Faulige Äpfel auf dem Grab«, fand laut Bezirksbürgermeisterin Christel Pahl nicht jeder im Rat angemessen. Doch erfreuten sich die städtischen Vorschläge insgesamt einstimmiger Zustimmung. Man wünscht sich allerdings, dass den Hinterbliebenen auf den Reihenrasengräbern oder den neuen pflegeleichten Gräbern die Möglichkeit gegeben wird, Grabbeigaben abzulegen, etwa auf einer kleinen Steinplatte. Zudem möchte man trotz Umgestaltung keine Umwidmung von Realen: Der Friedhof soll als Ganzes erhalten bleiben und auch der parkähnliche Charakter.
Stephanuskirche in Szene setzen
Für den Sondelfinger Friedhof liegt noch keine konkrete Planung vor. Bezirksbürgermeister Mike Schenk sieht dem gelassen entgegen. »Die Planer kommen viel rum und haben interessante Ideen, ich bin gespannt auf die Vorschläge.« So gebe es beispielsweise Baum- und Hainbestattungen oder vom Friedhofswesen gepflegte Gemeinschaftsanlagen für Urnen. Auch pflegeleichte Grabbeete, bei denen auf Wunsch zwischen Bodendeckern auch individuelle Bepflanzungen möglich sind. Die Bezirksverwaltung soll in jedem Fall in die konkrete Planung involviert werden.
Besonders im Gespräch ist die Fläche rund um die Stephanus-Kirche. Hier sollen künftig keine neuen Gräber entstehen. »Es könnte parkähnliche Bereiche nahe der Kirche geben. Diese sollen zum Verweilen einladen und als Rückzugsort dienen.« Auch eine Blühwiese könnte Schenk sich vorstellen. Weiter wünscht sich der Sondelfinger Bezirksbürgermeister, die Kirche – seit 1979 ein »Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung« – durch die neue Konzeption richtig in Szene setzen und bei Veranstaltungen mit einbringen zu können.
Auf dem unteren Teil des Friedhofs seien die Wiesen oft matschig und schwer begehbar. Eine Idee ist es, dort pflegeleichte Gräber anzulegen, eher in Form von Grabmalen mit blühenden Hecken und gut mähbarer Wiese. Auf dem alten Friedhof sind viele Gräber nicht mehr besetzt. »Wir haben da luxuriös Platz«, so Schenk. »Hier könnte man über ein Stelenfeld nachdenken und den Platz in eine Oase der Stille verwandeln.«
Auf dem gesamten Friedhof, auch im Kernbereich, gibt es noch relativ viel freie Fläche, sodass den Reutlingern weiterhin genug Platz zum Beerdigen bleibt. »Wir werden den Friedhof auch keiner anderen Nutzung zuführen«, verspricht Schenk.
Altenburg, Degerschlacht und Oferdingen: Wenig Neues
In den drei Nordraumgemeinden Altenburg, Degerschlacht und Oferdingen gab es wegen der geplanten Friedhofsentwicklung keine Diskussionen in Bezirksgemeinderäten. In allen drei Ortschaften wird sich auf den Friedhöfen nämlich nicht viel ändern, wie in den Sitzungen mitgeteilt wurde.
Es werden künftig verstärkt die Friedhofsteile in der Mitte für Gräber benutzt, die äußeren Teile werden eher parkähnlich mit Bäumen oder Sträuchern angelegt. »Das war aber vorher schon der Fall bei uns«, sagt Altenburgs Bezirksbürgermeister Frank Hofacker, ab sofort wird es Bestattungen nur noch im neuen, östlichen Friedhofsteil geben.
Auch in Degerschlacht wird sich nichts Wesentliches verändern, »eine Verkleinerung ist nicht angedacht«, sagt Bezirksbürgermeisterin Ute Dunkl. Ähnlich äußert sich Ute Stähle für Oferdingen. »Das ist kein großes Thema für uns.« Was aber ebenfalls zunimmt, sind Gräber mit weniger Pflegeaufwand, die daher auch vermehrt angeboten werden. (igl/jen/awe)