REUTLINGEN. Um 6.10 Uhr war Serif Ucar plötzlich hellwach. Die Sicherheitsanlage seines Kebab-Imbisses in der Reutlinger Ringelbach-Straße schlug auf seinem Smartphone Alarm. Der Sensor der Anlage hatte eine verdächtige Lautstärke wahrgenommen. »Am Anfang habe ich es für nicht wichtig gehalten«, sagt der Pfullinger. Aber als der Alarm gleich noch einmal losging, war auch er in Alarmbereitschaft. Er schaute sich die Aufnahmen an. Erkennen konnte er nichts – aber hören. »Es war sehr laut. Erst später habe ich realisiert, dass das Schüsse waren.« Zwei bis drei sollen es gewesen sein. »Außerdem war lautes Geschrei zu hören. Und jemand hat gerufen: Halt, Polizei.«
Ohne lange nachzudenken, machte sich Ucar auf den Weg zu seinem Imbiss. Als er um 6.30 Uhr vor Ort war, sah er wie ein Rettungswagen in seiner Einfahrt stand. Erst später hat er erfahren, dass darin gerade ein SEK-Beamter behandelt wurde, der bei einer Reichsbürger-Razzia von einem Mann niedergeschossen worden war. »Alle direkten Nachbarn wurden dann evakuiert«, erzählt Ucar von den Minuten nach seinem Eintreffen. Auch die Bewohner über dem benachbarten »Ringelbach Kebap« mussten ihre Wohnungen verlassen.
Reutlinger Imbiss plötzlich in den Medien
»Ich habe am frühen Morgen sehr viele Anrufe bekommen«, sagt Ucar. Sein Imbiss war nämlich plötzlich bundesweit in allen Medienbeiträgen zur Reutlinger Reichsbürger-Razzia präsent. Auf Bildern und in Fernsehbeiträgen war zu sehen, wie etliche Beamte des Spezialeinsatzkommandos und der Spurensicherung vor seiner Eingangstüre beschäftigt waren. »Deswegen sind alle meine Bekannten davon ausgegangen, dass die Razzia bei mir im Haus war.« Stattdessen war sie jedoch in einem benachbarten Wohnblock.
Im Gespräch mit dem GEA wirkt Serif Ucar gefasst. »Aber es war definitiv ein Schock für mich«, gibt er zu. Schockiert hat ihn, dass im Nachbar-Keller mehrere Waffen sichergestellt worden sind. »Sogar Großkaliber.« Ihm macht auch zu schaffen, dass er den Täter kennt. »Er war ein Kunde und hat öfter hier Essen geholt.« Mehr weiß der Imbissbudenbesitzer aber nicht über den Mann, der etwa Mitte 30 sei. »Er hat immer nett gegrüßt und kam mir vor wie ein ganz normaler Typ.« Dass er zur Reichsbürger-Szene gehören könnte, hätte Ucar sich nie vorstellen können.
»Ringelbach Kebap« den ganzen Tag geschlossen
Den »Ringelbach Kebap« musste er den ganzen Tag geschlossen lassen. Die Polizei nutze seinen Außenbereich als Kommandozentrale. »Ich habe die Beamten bei mir auf Toilette gehen lassen und sie mit Getränken, Kaffee und Tee versorgt«, sagt Ucar. Döner oder Pizza hat er nicht gemacht. »Die waren alle nicht hungrig und haben sogar Kekse abgelehnt«, erzählt er lachend. Dass er auf die Einnahmen eines ganzen Tages verzichten muss, findet Ucar zwar schade, »aber das Gemeinwohl ist in diesem Fall viel wichtiger«. (GEA)