REUTLINGEN. Den Reutlinger Sanierungsstau in Sachen Straßen und Wege kommentierte er im Bauausschuss schon mal mit: »Wir haben einen Kruscht, wir behalten einen Kruscht, und wir finanzieren einen Kruscht.« Arno Valin (64) gehörte zu denjenigen im Rathaus, die sich oft wenig Mühe gaben, schöne Worte für hässliche Sachlagen zu finden.
Nun geht der Leiter des Amts für Tiefbau, Grünflächen und Umwelt, der in Personalunion auch Chef der Reutlinger Stadtentwässerung (SER) ist, in Ruhestand. Finale ist eigentlich Anfang 2024. Doch Resturlaub und Überstunden summieren sich, so dass Valin den Schreibtisch im vierten Stock der Rathausenklave Hamburg-Mannheimer-Haus zum 1. September räumen wird.
»Heute muss immer alles schnell, schnell gehen«
20 Jahre hat der gebürtige Weingartener mit Tiefbau, Grünflächen und Umwelt ein Amt geführt, das besonders viele Bürger-Aufreger-Themen beackert: Schlaglöcher, Baustellen-Staus, mickrige Schnurbäume, abgeholzte Stadtbäume, blöde Ampelschaltungen, blöde Radwege, laute Straßen - alles landet über kurz oder lang im »Amt 66«.
Er sei immer »dankbar« für Hinweise aus der Bevölkerung gewesen, sagt der studierte Bauingenieur auf Nachfrage salomonisch. Auch hinter Bürgerinitiativen, die teils mächtig Druck machen können, sieht Valin immer das Positive: »Da steckt immer Engagement dahinter.«
Was mit den Jahren jedoch eine ungute Note in so manche Bürgeranregung brachte, sei eine veränderte Anspruchshaltung: »Heute muss immer alles schnell, schnell gehen. Da rufen Leute, die am Samstag eine Mail geschrieben haben, am Dienstag an und fragen, warum das noch nicht erledigt ist.« Allein schon angesichts der bekanntermaßen knappen Personalkapazitäten in der Verwaltung eine anstrengende Entwicklung.
Am Tisch sitzt beim GEA-Pressegespräch dennoch ein fröhlich-entspannter Noch-Amtsleiter, der den Eindruck hinterlässt, dass er seinen Job vermissen wird. Ein dickes Fell hat ihn auch im Gemeinderat vorm Ärgsten geschützt. Was ihn in den letzten Jahren 20 Jahren so richtig genervt hat? »Wenn der VfB Stuttgart eine schlechte Saison hat«, sagt Valin schmunzelnd. Aber dann fällt ihm auf Nachbohren doch noch Berufliches ein. Zuvorderst: die Baumschutzsatzung. Die Tour durch die Bezirksgemeinden versetzte dem Anlauf, privates Stadtgrün besser zu schützen, den Todesstoß. Die Ratsmehrheit lehnte letztlich ab. Valin gesteht seine Enttäuschung. Man habe im Amt viel Engagement in dieses Thema gesteckt.
Tiefbau, Grünflächen, Umwelt und dazu der Eigenbetrieb Stadtentwässerung in der Hand eines Amtsleiters, das sei für eine Stadt der Größe Reutlingens selbst bundesweit betrachtet eher selten, berichtet Valin. Die »blau-grün-graue-Infrastruktur« (Gewässer-Freiraum-Straßen) vereint in einer Zuständigkeit, das passe gleichwohl gut zusammen.
»Der Klimawandel ist da. Das ist dramatisch«
So markant die »66«, so unauffällig die Stadtentwässerung. Solange das Wasser in einem Loch im Waschbecken verschwinde, nähmen die Bürger den Eigenbetrieb nicht wahr, sagt Valin grinsend. Dabei schlägt sein Herz gerade für dieses Thema besonders: Mit 14 hat er in der Wasserwirtschaft eine Lehre begonnen.
Insbesondere die zunehmenden Hochwasserereignisse der letzten 20 Jahre erforderten in Reutlingen frühzeitig, sich mit Regenwassermanagement zu beschäftigen. Unterdessen sind lange Trockenheitsperioden und Extremhitze hinzugekommen: »Der Klimawandel ist da. Das ist dramatisch«, beklagt Valin. Mit der Erkenntnis, dass alle Städte zeitnah Klimaanpassungskonzepte erstellen müssen, avancierte sein Herzensthema zum Zukunftsthema.
Mit dem »Leitfaden Regenwasser Reutlingen« hat die Stadt das Kompendium der hiesigen Erfahrungen vorgelegt. »Da sind wir landesweit vorn dran«, freut sich der SER-Chef. Und das wird nun geadelt: Das Stuttgarter Umweltministerium ist auf die Arbeit der Reutlinger aufmerksam geworden. Den Leitfaden sieht man als »besonders gelungene Zusammenstellung« von wichtigen Informationen. In der Fortschreibung der Landes-Anpassungsstrategie an den Klimawandel soll per Link auf den Leitfaden beziehungsweise den beispielhaften Umgang der Reutlinger mit dem Regenwasser hingewiesen werden, damit andere Kommunen davon profitieren können.
Dass Reutlingen eine besonders »zubetonierte« Stadt ist, wie manche behaupten, kann Valin nicht finden. »Ich gehe auf die Achalm und sehe die Stadt von Grün durchflutet. 40.000 Bäume, 10.000 davon straßenbegleitend, viel Wald: Das ist wunderbar«, sagt der Blau-Grün-Grau-Chef. Mit einem Versiegelungsgrad von 17 Prozent liege man im Übrigen gleichauf mit Freiburg und Heidelberg.
Und: Der Klimawandel kann auch als Chance begriffen werden. Wie etwa Hochwasserschutz die Stadt verändert, ist markant bereits in Betzingen an der umgestalteten Echaz zu sehen. Die weitere Renaturierung des Flüsschens im Stadtgebiet, Straßenumgestaltung mit mehr grünen und offenen Flächen, in denen Wasser abgeleitet wird, versickert oder verdunstet: Was massive Herausforderung für die Stadtverwalter ist, kann die Stadt lebenswerter machen.
An der Innenstadtstrecke der Regional-Stadtbahn Neckar-Alb hätte er deshalb gerne noch mitgebaut. Der damit verbundene »komplette Stadtumbau wird hoch spannend«, weiß der 64-Jährige - zumindest, wenn die Wahl auf die Lederstraße falle. Sie bietet als einzige der drei Trassen, die für die Reutlinger Stadtdurchfahrt diskutiert werden, Spielräume für nennenswerte Straßenraumumgestaltung.
»Mit viel Geld arbeiten ist ja keine Kunst«
Aber hat die Arbeit zuletzt auch noch Spaß gemacht, in einer Stadt, in der viel geplant wird, aus Geld-, aber auch Personalmangel jedoch kaum noch etwas umgesetzt werden kann? Für die Mitarbeiter sei es »nicht prickelnd«, wenn Projekte auf die lange Bank geschoben werden, sagt der Amtsleiter. Man gehe derzeit nur kleine Schritte in Reutlingen. »Aber: Mit viel Geld arbeiten ist ja keine Kunst.«
Seine Stelle ist ausgeschrieben: Das Auswahlverfahren läuft. Arno Valin ist zuversichtlich, dass es im Herbst im Gemeinderat eine Kandidatenwahl geben kann.
Ihn selbst wird das Gemeinwohl als Mössinger SPD-Gemeinderat und im Tübinger Kreistag weiter beschäftigen. Abseits davon sind die Pläne noch volatil. Am meisten freut sich Arno Valin auf die Verfügungsgewalt über seine Zeit. Seit Februar hat er einen Enkel. Welchen Raum die neue Opa-Rolle einnimmt, bleibt abzuwarten: »Die Planung läuft.« (GEA)