REUTLINGEN-REICHENECK. Es ist eine bemerkenswerte Achterbahnfahrt, die Reichenecks Dorfladen binnen der zurückliegenden acht Jahre gemacht hat: steil bergauf ging es zuweilen und dann wieder genauso steil bergab. Im Augenblick befindet sich das genossenschaftlich getragene Nahversorgerle irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Denn »derzeit geht es mit dem Umsatz leicht aufwärts«, sagt Willi Igel, der sich seit jeher für die kleine Einkaufsquelle stark macht und maßgeblich dazu beigetragen hat, dass sie überhaupt ihre Türe öffnen konnte.
Hautnah, mit reichlich Herzblut und Power ist er seit 2016 dabei und hat in dieser Zeit erlebt, wie schwankend die Geschäfte laufen können. Zwar hat sich längst ein fester Kundenstamm formiert, der mindestens einmal wöchentlich Geld in die Hand nimmt, um vor Ort allerlei Dinge des täglichen Bedarfs zu erwerben. Diese treue Klientel reicht jedoch nicht aus, um wirtschaftliche Stabilität zu erreichen. »Mehr regelmäßige Solidarkäufer«, findet Igel, »wären wünschenswert«.
Stammkunden sind junge Eltern und Ruheständler
Damit meint er Kunden, die – im Gegensatz zu etlichen Senioren im Flecken – nicht aufs Lädle angewiesen sind und, weil noch sehr (auto)mobil, ihre Einkäufe überall, nur nicht am Platze erledigen: Reichenecker im Altersspektrum zwischen 45 und 65 Jahren, die im Berufsleben stehen und dem Dorfladen als Klientel fehlen.
Diese setzt sich nämlich überwiegend aus Rentnern und jüngeren Erwachsenen zusammen. Väter, vor allem aber Mütter während der Elternzeit sind’s, die Einkäufe in Reicheneck tätigen; sowie die bereits erwähnten Ruheständler, die sich wegen Milch und Butter, Waschmittel und Körperlotion, Obst und Gemüse, Nudeln und Brot nicht mehr hinters Lenkrad klemmen wollen (oder können) und den kleinen, fußläufig erreichbaren Lebensmittler deshalb aufrichtig schätzen. Umso mehr, als das Lädle im Rathaus-Parterre gerne auf die Wünsche seiner Kundschaft eingeht.
Bedürfnisorientiert ist es, hat sein Sortiment darob immer mal wieder flexibel der Nachfrage angepasst und sogar Nischenprodukte in seine Angebotspalette aufgenommen – weil sie explizit angefragt wurden. Backsteinkäse ist so ein Beispiel, den das Lädle auf Kundenwunsch anbietet. »Nicht permanent, aber immer mal wieder«, wie Willi Igel erläutert, der großes Interesse daran hat, eine für die Dorfgemeinschaft möglichst maßgeschneiderte Produkt-Auswahl in den Regalen zu haben.
Denn: Je passgenauer das Programm, desto größer die Kundenzufriedenheit und -frequenz. Davon sind die Genossenschafter überzeugt. Weshalb es ihnen ein Anliegen ist, immer wieder aufs Neue herauszufinden, welche Bedarfe im Flecken gedeckt werden sollten – und zwar betont auch von Reichenecker, die den Dorfladen für sich bislang nicht entdeckt haben.
Überzeugungstäter aus Rommelsbach
Kurios: Stammkunden von außerhalb. Die gibt es tatsächlich. Sie kommen aus Oferdingen, Sondelfingen und Rommelsbach, weil sie das überraschend gut sortierte Nahversorgerle unterstützen möchten und dortselbst – nebenbei bemerkt zu üblichen SB-Markt-Preisen – nahezu alles finden, was der Mensch in Küche und Bad so benötigt.
Diese Klientel gehört zweifellos zur Gruppe der Überzeugungskäufer. Derweil es auch Überzeugungstäter gibt; Freiwillige, die nicht in Reicheneck wohnen und den Dorfladen dennoch tätig unterstützen. Etwa jene zwei Rommelsbacherinnen, die nach Lektüre eines GEA-Artikel unlängst im Lädle vorstellig wurden und seither das Team verstärken – ohne dabei allzu viel Freizeit dreingeben zu müssen. Willi Igel: »Wer bei uns ehrenamtlich mit anpacken will, sollte einmal monatlich einen halben Tag investieren.«
Kleinvieh macht auch Mist
Beim Pressegespräch ist es Annika Maier, die gut gelaunt hinterm Verkaufstresen steht und von 8 bis 11 Uhr den Laden schmeißt. Wobei es an diesem Vormittag sehr überschaubare Warenmengen sind, die über die Theke wandern und unwillkürlich ans Mist machende Kleinvieh erinnern. Ein Gedanke, der im Übrigen auch Willi Igel umtreibt. Hatte er doch schon immer das Kleinvieh im Blick.
Seine Überlegung: Wenn jeder der rund 400 Reichenecker Haushalte wenigstens einmal wöchentlich für zehn Euro in der Alten Dorfstraße einkaufen würde, dann schriebe das Lädle dauerhaft schwarze Zahlen; »dann wäre das eine komfortable Lage«.
Von einer solchen ist die Bezirksgemeinde indes entfernt. »50 Prozent der Reichenecker«, schätzt Igel, haben noch niemals einen Fuß über die Schwelle des Nahversorgerles gesetzt: »Und ich wüsste wirklich allzu gerne, warum.« (GEA)