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Ratten in Reutlingen - eine unterschätzte Gefahr?

In Reutlingen sind in letzter Zeit offenbar vermehrt Ratten aufgefallen. Manche sprechen von einem Problem. Wie alle helfen können, dass es keine Rattenplage wird.

Ratten sind immer auf der schnellen Suche nach Nahrung. Achtlos weggeworfene Essensreste sind ein willkommener Snack für sie. In
Ratten sind immer auf der schnellen Suche nach Nahrung. Foto: AdobeStock
Ratten sind immer auf der schnellen Suche nach Nahrung.
Foto: AdobeStock

REUTLINGEN/TÜBINGEN. Ratten: Kaum jemand mag sie, viele Menschen ekeln sich vor ihnen. Ganz ungefährlich sind sie tatsächlich nicht, denn sie können Krankheiten auf Menschen sowie Haus- und Nutztiere übertragen. Da sie sich zudem enorm vermehren können, ist ihre Bekämpfung eine dauerhafte Aufgabe für alle Städte und Gemeinden. Manche Kommunen haben mittlerweile Flyer und Merkblätter für die Bevölkerung herausgegeben, in denen zur Mithilfe im Kampf gegen ihre Ausbreitung aufgerufen wird. In Reutlingen sind offenbar vermehrt Ratten aufgefallen und ihre Bekämpfung ist eine Herausforderung.

Wie viele Ratten leben in der Region?

Niemand hat jemals wirklich gezählt, wie viele Tiere in der Kanalisation, auf Dachböden oder unter Scheunendächern leben, aber es gilt eine Faustregel, die der Realität offenbar recht nah kommt: Im Schnitt kommen etwa eine bis zwei Ratten auf einen Einwohner in einer Kommune. Ein Durchschnittswert, der in Großstädten bisweilen etwas höher ausfällt. Hochgerechnet auf Reutlingen, würden demnach etwa hundert- bis zweihunderttausend Ratten in der Achalmstadt leben.

Welche Ratten leben in der Region?

Biologen unterscheiden zwischen Hausratten und Wanderratten. Beide sind in der Region Neckar-Alb weit verbreitet. Hausratten sind etwas kleiner und ihr Fell ist dunkler als bei den Wanderratten, dafür haben sie größere Ohren und sind eigentlich Pflanzenfresser. Sie verschmähen aber auch fleischliche Kost nicht. Hausratten leben in Häusern, Getreidespeichern oder Ställen meist in den oberen Etagen. Hausratten sind im Gegensatz zu den Wanderratten nie in der Kanalisation zu finden. Wanderratten werden bis zu 30 Zentimeter lang (ohne Schwanz) und bis zu 500 Gramm schwer. Sie leben am liebsten dort, wo der Zugang zu menschlichen Nahrungsresten am leichtesten ist, also in Kanalschächten, auf Mülldeponien, rund um Mülltonnen und Abfalleimern sowie überall dort, wo Menschen achtlos Essensreste wegwerfen.

Vermehren sich die Ratten stärker als früher?

Mildere und kürzere Winter bedeuten für die Populationen, dass Ratten besser die kalte Jahreszeit überstehen, auch ältere und geschwächte Tiere. Die Voraussetzungen für die Vermehrung haben sich also verbessert. Die Vermehrungsrate von Ratten ist enorm: Ein einziges Tier kann rein rechnerisch innerhalb eines Jahres 500 bis 800 Nachkommen bekommen. Denn Wanderratten bringen in der Regel bis zu sechsmal im Jahr Junge zur Welt. Der Nachwuchs ist dann nach zwei bis drei Monaten selbst wieder geschlechtsreif und kann sich erneut fortpflanzen. Ein kleiner Rattenbefall kann sich also rasend schnell ausweiten.

Überall dort, wo Nahrungsmittelreste für Ratten leicht zugänglich sind, fühlen sich die Nager wohl und vermehren sich. Deshalb r
Überall dort, wo Nahrungsmittelreste für Ratten leicht zugänglich sind, fühlen sich die Nager wohl und vermehren sich. Foto: AdobeStock/JoKeR3753
Überall dort, wo Nahrungsmittelreste für Ratten leicht zugänglich sind, fühlen sich die Nager wohl und vermehren sich.
Foto: AdobeStock/JoKeR3753

Droht sogar eine Rattenplage?

Von einer Rattenplage will niemand sprechen und es sieht wohl auch nicht danach aus, als wenn eine solche unmittelbar bevorsteht. Dennoch würde die Zahl der Tiere enorm steigen, wenn es keine ständige, ganzjährige Bekämpfung gäbe. Alle Kommunen sind sehr darauf bedacht, die Anzahl der Wanderratten zu begrenzen. Reutlingens Ordnungsamtsleiter Albert Keppler will zwar nicht von einer Rattenplage sprechen, hat aber offenbar so etwas wie eine Abstufung der Lage im Kopf. Grün für problemlos bis Rot für großes Rattenproblem: »Ich möchte von 'Status Orange' sprechen. Derzeit stellen wir eine leicht erhöhte Rattenpopulation fest. Wir sind fleißig dabei, sie einzudämmen.« Städte wie Heilbronn, Bayreuth oder Kiel sind da etwas anders unterwegs. In Infoblätter oder Flyern warnen sie die Einwohner vor Ratten und rufen zur Mithilfe auf. In Reutlingen oder Tübingen sind solche Aktionen nicht geplant.

Wie werden die Ratten bekämpft?

Im Auftrag der Städte und Gemeinden übernehmen Fachbetriebe und Kammerjäger die Aufgabe. Sie setzen sogenannte Gerinnungshemmer als Giftstoffe ein, die zu einem verzögerten Tod der Tiere führen. Denn Ratten sind so intelligent, dass sie merken, wenn Artgenossen von einem Köder gefressen haben und kurze Zeit später daran verenden. Ratten, die das bemerken, rühren die Giftköder nicht mehr an. Da die Gerinnungshemmer dazu führen, dass die Ratten innerlich verbluten, kritisieren Tierschützer dieses Verfahren als tierquälerisch. Die Befürworter der Methode gehen davon aus, dass die Ratten nicht leiden, sondern schmerzfrei verenden.

Wer bekämpft wo die Ratten in Reutlingen?

In Reutlingen gibt es dazu eine klare Aufgabenteilung. Für die Rattenbekämpfung im oberirdischen öffentlichen Raum ist das städtische Ordnungsamt zuständig. Also wenn beispielsweise viele Ratten an bestimmten Punkten der Stadt auffallen, beauftragt das Amt eine zertifizierte Fachfirma mit der Bekämpfung durch spezielle Köderboxen. Diese sind so angebracht und gestaltet, dass sie für andere Tiere und auch für spielende Kinder keine Gefahr darstellen. Im Haushalt der Stadt sind laut Ordnungsamt etwa 10.000 Euro für die Rattenbekämpfung vorgesehen. Für den Bereich Gewässer und das etwa 600 Kilometer lange Kanalnetz von Reutlingen, ist die Stadtentwässerung SER zuständig. Hier ist der Etat zur Rattenbekämpfung höher. 2019 fielen Kosten von etwa 130.000 Euro an. Mittlerweile kostet der SER die Rattenbekämpfung weniger, da die speziellen Giftköderboxen mehrfach befüllt und das ganze Jahr eingesetzt werden können.

Gibt es Bereiche in Reutlingen und Tübingen, wo verstärkt Ratten auftreten?

Ratten halten sich dort am liebsten und vermehrt auf, wo sozusagen ein gedeckter Tisch lockt. Mit anderen Worten, Nahrungsangebote aus der menschlichen Zivilisation ziehen sie an. Das ist an Gewässern, in der Kanalisation, an Mülleimern und Müllablagerungen mit Lebensmitteln sowie in der Nähe von Menschen der Fall. Nach GEA-Recherchen gibt es in Reutlingen ein paar Hotspots, wo die Tiere häufiger anzutreffen sind. Dort gibt es auch regelmäßig Rattenbekämpfung mit Giftköderboxen. Am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) ist das Angebot für Ratten doppelt gut: Er befindet sich am Ufer der Echaz und der rege Publikumsverkehr sorgt dafür, dass Lebensmittelreste oft nicht dort landen, wo sie korrekterweise hingehören. Auch in der Nähe des Finanzamtes werden immer wieder Ratten beobachtet oder am Bahnhof. In Tübingen halten sich Ratten gerne dort auf, wo die Ammer durch die Altstadt fließt.

Hier wurden bereits häufiger Ratten gesehen: das Areal beim Reutlinger Finanzamt und dem Leonhardsplatz.
Hier wurden bereits häufiger Ratten gesehen: das Areal beim Reutlinger Finanzamt und dem Leonhardsplatz. Foto: Ralf Rittgeroth
Hier wurden bereits häufiger Ratten gesehen: das Areal beim Reutlinger Finanzamt und dem Leonhardsplatz.
Foto: Ralf Rittgeroth

Wie gefährlich sind Ratten?

Ratten können aggressiv werden, wenn sie sich in die Enge getrieben oder angegriffen fühlen. Sie springen bis zu 1,5 Meter hoch und können auch beißen. Deshalb sollte Abstand gehalten werden. Was viele nicht wissen: Die Tiere können etwa 100 Krankheiten auf den Menschen übertragen. Am bekanntesten ist die Ratte als Auslöser der Pestepidemien im Mittelalter. Die Pest gilt mittlerweile als besiegt. Bekannt ist, dass Ratten Krankheiten wie Tollwut, Tuberkulose, Hepatitis, Fleckfieber, die Amöbenruhr, Salmonellen, Leptospirose und manche antibiotikaresistente Keime übertragen können. Im Jahr 2017 war ein Mensch in Stuttgart durch die bakterielle Infektion Leptospirose gestorben, die durch eine Ratte übertragen worden war. Übrigens: Ratten können auch Haus- und Nutztiere krank machen.

Wie kann mitgeholfen werden, um eine Ausbreitung der Ratten zu verhindern?

Alle können dabei mithelfen. Deshalb werden Stadt- und Gemeindeverwaltungen nicht müde, immer wieder dieselben Aufrufe zu veröffentlichen. Inhaltlich sind sie nahezu identisch: Die Menschen werden aufgerufen, keine Lebensmittel oder Essensreste an öffentlichen Plätzen oder in die Landschaft wegzuwerfen. Sie sollen keine Essensreste in den gelben Säcken entsorgen. Außerdem nichts Essbares an sämtlichen Recycling-Sammelstellen zurücklassen. Keine Reste von zubereiteten Speisen auf den Kompost werfen. Und vor allem: Keine übriggebliebenen Essensreste in der Toilette entsorgen. So werden die Kanalisationen immer wieder zu regelrechten Büfetts für Ratten, die regelmäßig aufgefüllt werden.

Was tun, wenn man eine Ratte sieht?

Generell gilt: Eine einzelne Ratte, die durch den Garten, im Hof oder vor dem Hauseingang gesehen wird, macht noch keinen Rattenbefall aus. Im privaten Bereich sind die Haus- und Wohnungseigentümer für die Bekämpfung verantwortlich. Alle Experten raten allerdings dringend davon ab, einfach irgendein handelsübliches Gift zu kaufen und auszubringen. Das ist eine Gefahr für Katzen, Hunde, andere Tierarten und auch spielende Kinder. Auch mechanische Fallen können eine Verletzungsgefahr für Haustiere und Kinder darstellen. Empfehlung der Experten: Lieber eine Fachfirma um Rat und Hilfe fragen. Wer eine oder mehrere Ratten im öffentlichen Bereich sieht, sollte das im Rathaus melden. Es besteht sogar eine Meldepflicht. Sowohl die Stadt Reutlingen als auch Tübingen freuen sich über Rattenmeldungen. (Siehe Infobox) (GEA)

Wer Ratten sieht, soll sie hier melden

Rattensichtungen sollen bei den Behörden gemeldet werden. Die Tiere sind - so der Fachausdruck - meldepflichtig. Die Stadt Reutlingen hat die Telefonnummer 07121 - 303-2804 für solche Fälle eingerichtet. Die Stadt Tübingen nimmt diese Rattenmeldungen unter der Telefonnummer 07071 - 204-2555 entgegen.