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Rassismus im Reutlinger Alltag: Was Betroffene erleben

Rassismus, Diskriminierung, Klischees und ethnische Vorurteile: Sie sind in Deutschland weit verbreitet. Dies hatte im Herbst 2023 der erste nationale Monitor im Auftrag der Bundesregierung offengelegt. Doch wie ist die Lage in Reutlingen?

In vielen Stadien wird landauf, landab demonstrativ gegen Rassismus protestiert. Für etliche Menschen ist er dennoch ein quälend
In vielen Stadien wird landauf, landab demonstrativ gegen Rassismus protestiert. Für etliche Menschen ist er dennoch ein quälender Alltagsbegleiter. Foto: Torsten Silz/dpa
In vielen Stadien wird landauf, landab demonstrativ gegen Rassismus protestiert. Für etliche Menschen ist er dennoch ein quälender Alltagsbegleiter.
Foto: Torsten Silz/dpa

REUTLINGEN. Der erste nationale Monitor im Auftrag der Bundesregierung, der im Herbst zurückliegenden Jahres veröffentlicht wurde, lässt keinen Zweifel zu: Rassismus ist in Deutschland weit verbreitet. Wobei es insbesondere Menschen mit sehr dunkler oder schwarzer Hautfarbe sind, die wegen ihres Äußeren Diskriminierung erfahren. Oft unterschwellig. Zuweilen aber auch konfrontativ-direkt: durch verbale Seitenhiebe, wüste Beschimpfungen oder abschätzige beziehungsweise böse Blicke.

Jede fünfte schwarze Frau gibt in der repräsentativen Studie an, mehrmals pro Jahr oder zumindest häufig bedroht oder belästigt zu werden. Bei schwarzen Männern sind dies 18 Prozent. Letztere stellen außerdem fest, dass ihnen oft mit Angst begegnet wird, was laut Monitor als »subtile Diskriminierungserfahrung« zu bewerten ist. Und: Auch gegenüber Muslimen gibt es in Deutschland Vorbehalte, die sich zuweilen in Beschimpfungen und Klischeedenken bemerkbar machen. 14 Prozent der in der Bundesrepublik beheimateten Islam-Gläubigen sehen sich laut besagter Umfrage als Opfer von Diskriminierung.

Deshalb und anlässlich der aktuell in Reutlingen begangenen Woche gegen Rassismus mal auf der Wilhelmstraße nachgehakt: Wie ergeht es Menschen mit ausländischen Wurzeln vor Ort? Mussten und müssen sie Diskriminierungserfahrungen sammeln? Und, wenn ja: Wie drückt sich für sie rassistische Abwertung im Alltag aus?

Auf Protestkundgebungen geht es inzwischen immer öfter auch um das Thema Rassismus.
Auf Protestkundgebungen geht es inzwischen immer öfter auch um das Thema Rassismus. Foto: Peter Gercke/dpa
Auf Protestkundgebungen geht es inzwischen immer öfter auch um das Thema Rassismus.
Foto: Peter Gercke/dpa

»Durch Klischeedenken und Über-einen-Kamm-Scheren«, sagt Habib Ndiaye, der einer der wenigen ist, der dem GEA mit vollem Namen Auskunft gibt. Denn das Thema scheint heikel, löst bei den Befragten Ängste aus und die Befürchtung, Nachteile zu erleiden, wenn presseöffentlich über erlebte Diskriminierung gesprochen wird.

Auch der gebürtige Senegalese, der seit 15 Jahren in Stuttgart wohnt, zögert zunächst, ehe er sich denn doch auf ein Mini-Interview einlässt. "Viele Leute hier trauen mir weniger zu, als den gebürtigen Deutschen. Sie unterstellen mir, dass ich arbeitsscheu bin, von Sozialleistungen lebe, bis mittags schlafe, mit Drogen deale und nachts Party mache." Das empfindet der Lagerist als "sehr verletzend, weil es nicht stimmt". Schlimm war für ihn außerdem die Suche nach einem Dach überm Kopf – wegen der Reaktionen diverser Vermieter. Auf dem ersten Wohnungsmarkt sei er, davon ist Habib Ndiaye überzeugt, nur dank seiner Verlobten und ihres deutschen Namens untergekommen. "Wir wollten zusammenziehen und sie hat Anschreiben und Telefonate übernommen." Trotzdem gab es problematische Situationen. Ein Beispiel: "Als wir beim Vorstellungsgespräch vor einem Vermieter standen, hat der gesagt, dass er mit einem echten deutschen Paar" gerechnet habe und nicht mit einem "Neger".

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich um ein Vielfaches mehr Bewerbungen schreiben musste, als hellhäutige Hochschulabsolventen - Halima«

Ganz ähnlich die Erfahrung von Halima, deren Eltern aus dem Kongo stammen. Sie selbst wurde jedoch in Heidelberg geboren. »Obwohl Deutsch meine Muttersprache ist und ich Betriebswirtschaft studiert habe, war es mit der Jobsuche zäh. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich um ein Vielfaches mehr Bewerbungen schreiben musste, als hellhäutige Hochschulabsolventen.« Oft werde Halima (25) darauf angesprochen, woher sie denn stamme. »Wenn ich dann wahrheitsgemäß Heidelberg sage, sorgt das für ungläubiges Staunen. Früher fand ich das nicht so witzig, heute kann ich aber darüber lachen.« Besonders abstoßend: Erinnerungen an »wildfremde Menschen«, die ihr als Kind »in die Haare gefasst haben – einfach so, ohne zu fragen«. Begründet wurden diese Übergriffigkeiten mit: »Ich will doch bloß mal ausprobieren, wie sich das anfühlt.«

»Scheiß Kopftuch und scheiß Kopftuchfrau« – das sind aggressive Anwürfe, mit denen Doaa zuweilen im Vorbeigehen auf der Straße oder im Bus beleidigt wird. Nach Beobachtung der 50-jährigen Reutlingerin haben derlei Beschimpfungen zugenommen. »Früher«, verrät die gebürtige Libanesin, »hat mich das aber stärker getroffen als heute. Inzwischen kann ich da drüberstehen.« Warum? »Weil Menschen, die so etwas sagen, psychische Probleme haben müssen. Ich betrachte sie als krank. Damit kann ich umgehen. Wer so viel Hass auf ein Kopftuch hat, der ist arm dran und hat mein Mitleid.«

»Früher hat mich das stärker getroffen als heute. Inzwischen kann ich da drüberstehen - Dooa«

Und Divine? Sie hat kein Kopftuch, aber gute Freundinnen. Die tun ihr und ihrer mitunter lädierten Seele wohl. Überhaupt sind es die positiven zwischenmenschlichen Begegnungen, die der vor zehn Jahren der Liebe wegen aus Uganda nach Reutlingen gezogenen 41-Jährigen über schlechte Erlebnisse hinweghelfen. Rassismus und Diskriminierung begegnen ihr meist unterschwellig. Etwa dann, wenn »ich in einem Laden einfach ignoriert werde. Alle anderen werden bedient, nur ich werde wie Luft behandelt«.

Derweil Hashim Njoroge ganz und gar nicht wie Luft behandelt wird. Jedenfalls dann, wenn es um Polizei- oder Flughafenkontrollen geht. Die, erklärt der 38-Jährige, ziehe er magisch an. Erst neulich sei er wieder einmal im Rahmen einer »Drogenfahndung« überprüft worden. An einem Sonntagnachmittag war’s, als er im Botanischen Garten in Tübingen von zwei Uniformierten angesprochen wurde und seine Papiere vorzeigen musste. »Ich war der Einzige, den sie kontrolliert haben. Dabei waren sehr viele Leute im Park. Das finde ich merkwürdig.«

Wäre dieser Zwischen- ein Einzelfall gewesen – Hashim Njoroge würde kein Wort darüber verlieren. Jedoch: »Das hat Methode. Das passiert mir viel zu oft.« Der Kenianer vergleicht die bei ihm vorkommenden gehäuften Kontrollen mit Mückenstichen. »Ein Piks macht dir nichts aus. Zwei, drei sind auch nicht schlimm. Aber wenn man innerhalb kurzer Zeit hundert Mal gestochen wird, dann leidet man irgendwann.«

Marcel Karala: »95 Prozent der Leute sind sehr nett.«
Marcel Karala: »95 Prozent der Leute sind sehr nett.« Foto: Frank Pieth
Marcel Karala: »95 Prozent der Leute sind sehr nett.«
Foto: Frank Pieth

Nun, Saiko leidet nicht, sondern ärgert sich über Intoleranz und Diskriminierung, die übrigens oft von muslimischer Seite an sie rangetragen werden. Gebürtig aus dem Nordirak stammend, wird die 43-Jährige immer mal wieder von Reutlinger Moslems zurechtgewiesen: weil sie ihren Kindern gelatinehaltige Gummibärchen erlaubt, weil sie kein Kopftuch trägt, weil sie gelegentlich Alkohol trinkt und nicht im züchtigen Burkini ins Freibad geht ... Vor allem Freibadbesuche wurden Saiko durch die »missbilligenden, fast schon strafenden Blicke« muslimischer Männer vergällt. »Ich hatte das Gefühl, in Damaskus zu sein«, sagt die Reutlingerin. »Das brauche ich echt nicht.«

»Das braucht niemand«, betont Huyen Nguyen. Aber: »Ich befürchte, dass Rassismus jedem Menschen innewohnt, weil alles Fremde und Konkurrierende etwas Angst macht. Auch ich bin nicht frei von Vorurteilen; beispielsweise fühle ich mich in der Metzgerstraße ein bisschen unwohl, weil da vor den Barber-Shops viele Männer sind, die grimmig gucken.« Dessen ungeachtet lebt die Vietnamesin sehr gerne in Reutlingen, und Diskriminierung ist für sie kein tragendes Thema. »Dass sich die Deutschen in aller Regel meinen Namen nicht merken können – was soll’s. Es gibt Schlimmeres.«

»Das ist absurd. Ich weiß es. Trotzdem tut es weh. Und es ist mit der AfD mehr geworden - Osman«

Zum Beispiel als »dreckiger Kanake« geschmäht zu werden und die Unterstellung aushalten zu müssen, dass »Türken den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen«. Das hat Osman schon mehrfach zu hören bekommen. »Das ist absurd. Ich weiß es. Trotzdem tut es weh. Und es ist mit der AfD mehr geworden.« Früher, so die Wahrnehmung des Reutlingers, sei Rassismus eher latent dahergekommen, »jetzt trauen sich die Leute plötzlich menschenverachtende Dinge auszusprechen, die sie zuvor nur gedacht haben«.

Auch Marcel Karala ist vor Diskriminierung nicht gefeit. Er sei ihr aber sehr selten ausgesetzt. »Wirklich üble Erfahrungen« hat er in Reutlingen noch keine gemacht. »95 Prozent der Leute hier sind sehr nett.« Ganz im Gegensatz zu den Menschen in Karalas Urheimat, der Slowakei. »Dort wurde ich ausgegrenzt. Denen war mein Teint zu braun. Das hat man mich spüren lassen.« Doch in Reutlingen sei seine Hautfarbe kein Kriterium. »Viele lächeln mir zu, ich lächele zurück. Das sorgt für gute Stimmung.«

Musste glücklicherweise noch keine rassistischen Erfahrungen machen: Gonca Celik.
Musste glücklicherweise noch keine rassistischen Erfahrungen machen: Gonca Celik. Foto: Frank Pieth
Musste glücklicherweise noch keine rassistischen Erfahrungen machen: Gonca Celik.
Foto: Frank Pieth

Ganz ähnlich die Wahrnehmung von Gonca Celik, die der felsenfesten Überzeugung ist, dass es tatsächlich so herausschallt, wie man in den Wald hineinruft. Die Türkin hat in Reutlingen »noch nichts Schlimmes erlebt« und setzt grundsätzlich auf das Prinzip des »gegenseitigen Respekts«. Damit fährt sie gut. »Ich müsste lügen, wenn ich mich über Rassismus beklagen würde. Den erlebe ich in meinem Alltag glücklicherweise nicht.«

Während Angela Mormone davon spricht, dass in ihrem Alltag Rassismus und Diskriminierung weniger geworden sind. »Im Jugendalter war’s heftiger«, sagt die gebürtige Stuttgarterin mit italienischen Wurzeln. Ihre These: Je erwachsener und selbstbewusster sie wurde, desto weniger trauten sich Dritte, sie mit hässlichen Bemerkungen anzugehen oder ihr Klischees überzustülpen. Wer’s dennoch tut, ist aus Mormones Sicht »schlichtweg desinformiert«. (GEA)