REUTLINGEN. In Reutlingen fand am Samstag eine Kundgebung von Kritikern der Corona-Maßnahmen statt. Die Versammlung, die um 16 Uhr begonnen hatte, wurde von Stadt und Landkreis genehmigt. Das ist für Reutlingen insofern eine Neuigkeit, als dass die in den Wochen zuvor angemeldeten Proteste immer wieder durch eine Allgemeinverfügung verboten worden waren. Diese Proteste hatte nach GEA-Informationen allsamt Manuel Tharann angemeldet, der laut Stadt, Kreis und Polizei keine Kooperationsbereitschaft mit den Behörden bei der Durchführung der Demos signalisiert hatte. Bei Kundgebungen von Tharann in Reutlingen im November und Anfang Dezember war es zu Verstößen gegen die Maskenpflicht gekommen.
Die aktuelle Kundgebung war dann am Donnerstag von Kevin Brügmann angemeldet worden. Er und die Co-Anmelderin der Demo arbeiten im Gesundheitswesen. Da sie sich auch in Zukunft nicht gegen Corona impfen lassen wollen, sehen sie ihre berufliche Existenz gefährdet. Brügmann sagte gegenüber dem GEA: »Bei uns geht es um alles.«
Maskenpflicht wurde zur Auflage gemacht
Am Freitag wurden die Organisatoren ins Rathaus einbestellt zu einem Vorgespräch, berichtete Ordnungsamtschef Albert Keppler. Sie mussten die Behörden davon überzeugen, dass sie keine Ersatzveranstaltung zu den bisher angemeldeten Versammlungen von Manuel Tharann sind. Das war für die Genehmigung aufgrund der aktuell noch geltenden Allgemeinverfügung nötig. Die Maskenpflicht wurde dann zu einer Auflage für die neue Versammlung gemacht und die laut Polizeiangaben rund 300 Teilnehmer der stationären Kundgebung im Bürgerpark hielten sich auch zum allergrößten Teil daran. Es gab Redebeiträge, in denen die Corona-Maßnahmen und die Regierung kritisiert wurden. Auch Zuhörer kamen mit ihren Erfahrungen zu Wort. Außerdem wurde gesungen. Ein Auszug aus einem selbst getexteten Lied: »Wir machen nicht mit, bei den Lügen und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wir sind widerstandsbereit, wir sind viele, wir sind der Souverän, das werden wir bald seh'n.«
Neben den beiden Anmeldern der Demo standen auch Manuel Tharann und Enrico Schulz im Bürgerpark auf der Bühne. Beide hatten auf Telegram in den vergangenen Wochen indirekt - in Rätsel und Videos verschlüsselt - immer wieder zu »Spaziergängen« aufgerufen, auch als die Versammlungen in Reutlingen eigentlich verboten waren. Schulz berichtete den Zuhörern, dass sein Arbeitgeber eine Mail erhalten habe, in der stehe, dass er das Coronavirus leugne: »Dazu kann ich sagen: Ja, das tu' ich.« Bevor sich der Demozug in Bewegung setzte, appellierte Manuel Tharann an die Teilnehmer: »Lasst euch hier zu nichts provozieren.« Außerdem solle man sich an die Maskenpflicht halten.
Nach Polizeiangaben rund 1.800 Menschen zogen dann auf einer festgelegten Route durch die Innenstadt. Gespräche mit den Demo-Teilnehmern zeigten, dass deren Motive für die Teilnahme an der Kundgebung völlig unterschiedlich sind: Zwei Eltern sagten, dass sie »für ihre Kinder mitlaufen«, die 13 und 15 Jahre alt sind, und aufgrund ihres Impfstatus in Baden-Württemberg voraussichtlich bald keinen Freizeitsport mehr machen dürfen. Eine Frau sagte, dass sie für zwei ihrer Kinder protestiert, die ungeimpft sind, in Pflegeberufen arbeiten und gekündigt wurden beziehungsweise einen Auflösungsvertrag bekommen haben. Es gab Demonstranten, die anthroposophisch eingestellt sind, andere halten die Maßnahmen mittlerweile generell für »unverhältnismäßig«. Vereinzelt liefen auch Kinder mit.
Stopp in der Kaiserstraße
Insgesamt war der Demozug friedlich. »Auch hier trug die große Mehrheit eine Maske«, teilt die Pressestelle der Polizei am Ende des Abends mit. Trotzdem stoppte die Polizei die Kundgebung in der Kaiserstraße und wies mehrfach auf die Einhaltung der Maskenpflicht hin. Die Anmelder der Demo waren ebenfalls sicht- und hörbar bemüht, die Anforderungen der Polizei umzusetzen.
Unter den jungen, schwarz gekleideten und teilweise vermummten Männern, die mit einem »Widerstand«-Banner mit dem Reutlinger Wappen ganz vorne liefen, drohte die Stimmung an diesem Punkt aber zu kippen. Sie hatten sich schon während der gesamten Demo sehr laut und aggressiv verhalten, nun forderten einige von ihnen brüllend, dass man weiterlaufen solle. Das genehmigte die Polizei dann ein paar Minuten und Lautsprecherdurchsagen später auch. GEA-Recherchen zeigen, dass es sich bei der Gruppe um Mitglieder oder Sympathisanten der rechtsextremen Kleinpartei »Der III. Weg« handelt. Versammlungsleiter Kevin Brügmann betonte, dass er die jungen Männer an der Spitze des Demozuges nicht kenne und dass sie in keiner Verbindung zu den Anmeldern stünden.

Die Kundgebung fand gegen 19.40 Uhr im Bürgerpark ein Ende. Laut Polizei wurden gegen sechs Personen Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen wegen Verstößen gegen die Maskenpflicht eingeleitet. Die Anmelder der Demo zeigten sich begeistert über die Teilnehmerzahl. (GEA)