REUTLINGEN/TÜBINGEN. Sie wollen Friedensaktivisten in Afrika, Asien und Lateinamerika eine Stimme geben. Dazu stellen drei Frauen aus Reutlingen und zwei aus Tübingen für die neue Podcast-Reihe »Peace Sounds« deren Arbeit und persönliche Entwicklung vor. Das Redaktionsteam bilden Maris Kodweiß, Rocío Rueda Ortiz und Julia Kramer für das Entwicklungspädagogische Informationszentrum Reutlingen (Epiz), Hanna Smitmans von Fairstrickt und Anna Trautwein vom Tübinger freien Radio Wüste Welle. Sie arbeiten dazu mit Übersetzerinnen wie Lisa Bäuerle und anderen Fachleuten ebenso zusammen wie mit Menschen, die sich zum Teil seit Jahren in ihrer Heimat im globalen Süden für Frieden einsetzen.
Die fünf Redakteurinnen nutzen für ihren Podcast Mittel des Radiojournalismus, betten Interviews in Hintergründe zur Konfliktregion ein, geben Tipps zum Weiterforschen und verweisen auf passende Playlists. Die dritte »Peace Sounds«-Folge über Kolumbien geht am 19. Februar »on air« – auf der Wüsten Welle und 15 anderen freien Radios. Ab Montag, 12. Februar, ist sie als Podcast kostenlos auf allen üblichen Kanälen abrufbar.
»Es ist schwer, angesichts der täglichen Nachrichtenlage optimistisch zu bleiben«, erklären die Podcast-Macherinnen zur Motivation hinter dem Kooperationsprojekt, das von der Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg, FEB-Engagement Global und Brot für die Welt gefördert wird. Dabei bekämen wir in Deutschland trotz vielfältigen Medienkonsums von den meisten Konflikten, Krisen und Kriegen der Welt kaum etwas mit. Wer weiß zum Beispiel über die Situation in der Demokratischen Republik Kongo Bescheid, wo den Peace-Sounds-Macherinnen zufolge »allein 2022 über zwei Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen mussten«?
Ihr Podcast soll den Blick weiten, indem die einzelnen Folgen sich selten in den Medien behandelten Regionen widmen. Bereits abrufbar sind die seit Ende vergangenen Jahres gesendeten »Friedensklänge« des Aktivisten Singham in Sri Lanka sowie der aus Sicherheitsgründen zum Teil anonymisierten Aktivistinnen Hudah und Samia im Sudan. Vier weitere Folgen werden derzeit am Sitz der Wüsten Welle im Tübinger Sudhaus an der Hechinger Straße 203 produziert: Sie stellen Friedenskämpfer in Kolumbien, im Senegal, in Peru und auf den Philippinen vor.
»Was kann man mit einem Podcast überhaupt leisten?«
»Wir halten dabei die Linse mal nicht ausschließlich auf die Misere«, erklärt Projektkoordinatorin Anna Trautwein. Die Reihe suche nach »Vorbildern, die Mut machen und Wege für Veränderungen aufzeigen«. Auch wenn sich die Interviews vor dem Hintergrund von Krieg und Gewalt abspielen, erzählen sie viel mehr von gegenseitiger Fürsorge, von Empowerment und Solidarität. »Das sind auch hoffnungsvolle Geschichten.« Sie stellen quasi persönliche Kontakte der Hörer zu beeindruckenden Persönlichkeiten in diesen Ländern her. »Ich war überwältigt von dem Mut der Menschen, mit denen wir gesprochen haben«, sagt Rocío Rueda Ortiz vom Epiz, die den Podcast sowohl mitproduziert als auch Interviews dazu geführt hat. »Sie engagieren sich oft unter großen Gefahren für Frieden und Gerechtigkeit, gegen Landraub, Umweltzerstörung, Diskriminierung und Militarisierung.«
In der Einleitung zu jeder Folge heißt es schlicht: »Wir sprechen mit Menschen, die unter schwierigen Bedingungen versuchen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen«. Der Tamile Singham, die sudanesischen Feministinnen oder Derek Sanico von den Philippinen leisten jeweils solidarische Nothilfe. Sprecherin Maris Kodweiß fragt mit ihrer angenehmen Stimme aber auch: »Was ist Frieden eigentlich? Können Menschen wie du und ich wirklich etwas bewirken?«

»Weil die Planung und Logistik ziemlich kompliziert war, haben wir die Interviews alle schon vor Beginn der Aufnahmetage geführt«, sagt Anna, die mit Rocío und Julia die Interviews führte und von allen Peace-Sounds-Macherinnen am meisten Radioerfahrung mitbringt. »Teilweise brauchten wir ein halbes Jahr, um mit den Leuten zusammenzukommen.« Auch wenn die Interviews über Zoom-Call oder Messengerdienste aufgenommen wurden, »in einem Kriegsgebiet wie dem Sudan gibt es ja nicht immer und überall Internet«. Sie finde es »im Nachhinein schon richtig cool, wie das alles funktioniert hat«, sagt Maris.
In den Wüste-Welle-Räumen erzählen Stellwände mit Notizen vor einem Schreibtisch mit sieben orangen Stühlen drumherum von den Vorbereitungen der fünf Frauen auf das zunächst ausufernd scheinende Thema. Ein Auswahlkriterium war, Menschen zu finden, die bereit waren, von ihren Erfahrungen zu erzählen. Partnerschaften der »Wüsten Welle« mit Radiostationen in Peru und auf den Philippinen waren da hilfreich. »Dass eine Vertrauensbasis besteht, ist für die Qualität des Podcasts elementar«, sagt Maris.
»Es sind alles starke handelnde Personen, mit denen wir reden«
Im Vorraum geben Glasscheiben den Blick in die Aufnahmeräume frei. Die sind schallisoliert, sodass sich Maris, Rocío, Hanna und Anna auf dem Sofa beim Couchtisch mit Spekulatiuskeksen, zum Tee oder Kaffee aus der kleinen Küche nebenan normal unterhalten können. Nach einer locker wirkenden Teambesprechung zu Beginn eines Aufnahmetags teilt sich die Gruppe auf: Anna Trautwein spricht im Studio eine Abmoderation ein. Die Kolumbianerin Rocío Rueda Ortiz überträgt mit Lisa Bäuerle auf dem Sofa eine Passage ins Spanische. Denn jede Episode wird sowohl auf Deutsch als auch in der jeweiligen Landessprache der oder des Interviewten aufgenommen – auch auf Französisch und Arabisch. Für die nächste Folge zu Kolumbien sind die Moderationsaufgaben verteilt. Nochmal lesen, dann geht es an die Aufnahme.
»Bereiten wir schon mal Senegal vor«, beschließt Maris Kodweiß daraufhin. Sie und Hanna Smitmans, die mit Fairstrickt eine Initiative für Menschenrechte, Klimagerechtigkeit und faire Textilien ins Leben gerufen hat, ziehen sich in den Raum mit den Stellwänden zurück und feilen am Manuskript mit Kontext zum Land. Der Senegal werde international als »befriedet« eingestuft. »Aber jeden Tag sterben dort Menschen durch Minen«, berichtet Maris. Auch der Bürgerkrieg in Sri Lanka gilt offiziell seit 2009 als beendet. Aber was heißt das? »Singhams dynamischer Aktivismus für gerechten Frieden« zeigt deshalb unter anderem koloniale Hintergründe auf. »Obwohl viele Konflikte zum Beispiel aus der kolonialen Aufteilung und Staatenbildung resultieren, tritt Europa in der öffentlichen Wahrnehmung oft gar nicht in Erscheinung – oder als ‚Retter‘ in Form von Friedenstruppen oder humanitärer Hilfe«, kritisiert Hanna. Die Podcasts nähern sich zudem der Frage, was wir hier tun können, um Veränderungen und Bewegungen im globalen Süden zu unterstützen. Sie habe dabei viel gelernt, sagt die Dokumentarfilmerin. Später bereiten Maris Kodweiß und Hanna Smitmans die letzte Folge der insgesamt achtteiligen »Peace Sounds« vor. Die werde wie die Auftaktsendung »etwas anders« als alle anderen: Für diesen »Reflektions-Podcast« beleuchte die Gruppe im Gespräch den Prozess – Für diesen »Reflektions-Podcast« beleuchte die Gruppe den Prozess – im Gespräch untereinander, mit Interviewpartnern und zwei Friedens- und Konfliktforscherinnen, die das Projekt begleitet haben, erklärt Anna Trautwein. »Wir erklären, wie wir vorgingen und was wir transportieren wollten«, sagt Maris Kodweiß, die schon seit etwa zehn Jahren beim freien Radio aktiv ist.
Wo finde ich Podcast und Sendungen?
Die insgesamt acht Sendungen der bereits seit Ende 2023 laufenden Reihe »Peace Sounds - Alternatives for the global south« waren oder sind im Programm des Tübinger freien Radios »Wüste Welle« zu hören, auf der UKW-Frequenz 96.6 und über Kabel auf 97.45 Megaherz. Sendetermine sind einmal im Monat, jeweils montags um 17 Uhr. Jede »Peace Sounds«-Folge ist mit Musik 60 Minuten lang. Die weiteren Sendetermine sind für Montag, 19. Februar, 18. März, 15. April und 10. Juni vorgesehen.
Als Podcast sind die »Peace Sounds« am 15. Januar 2024 gestartet. Alle zwei Wochen soll eine neue Folge abrufbar sein, in allen üblichen Podcast-Foren. Bislang stehen die Folgen 1 über Sri Lanka und 2 über den Sudan etwa unter https://www.podcast.de zum kostenlosen Abhören bereit. Statt Musik gibt es dazu Playlists, denn die Rechte an den Musiktiteln unterliegen der Gema. Deshalb sind die Podcast-Folgen kürzer als im Radio. (dia)
»Das Thema Frieden ist immer von vielen Machtfragen begleitet, die wir nicht ausschließen können und wollen«, sagt Hanna. Und überlegt: »Die Frage ist, was kann man überhaupt mit einem Podcast leisten?« Sie selbst höre in letzter Zeit viele Hintergrund-Podcasts. Da wir generell von Bildern geprägt seien, hätten Reportagen und Interviews, die sich rein auf Worte, Stimmen, Sprache stützen, eine andere Intensität. »Wir gehen permanent damit um, dass viel mehr dahintersteckt, als wir in 60 Minuten packen können«, sagt Maris. Immerhin können sie Anregungen geben, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Sie möchte Empathie herstellen, erreichen, dass die Hörer selbst etwas fühlen. »Ist es möglich, sich in jemanden in einer Kriegssituation reinzuversetzen?« Sie schüttelt langsam den Kopf. »Glaub’ nicht.« Neben Widrigkeiten, auf die Aktivisten stoßen, rücken die Podcasts in den Fokus, was diese Männer und Frauen stärkt. »Es sind keine Opfer, mit denen wir reden«, betont Hanna Smitmans, »sondern alles starke handelnde Personen.«
»Na, alles im Kasten?«, fragt Maris Anna, als sie aus dem Studio kommt. Die nickt: »Jetzt könnt Ihr rein.« Zusammen mit Hanna und Julia nehmen sie die finale Folge auf. (GEA)