REUTLINGEN. Ein »Meilenstein«, ja ein »einmaliges und wunderbares Projekt«. In den höchsten Tönen schwärmt Oberbürgermeister Thomas Keck am Montag von einem Projekt, von dem er selbst absolut überzeugt ist. Das er aber auch immer wieder gegen Gegner und Kritiker verteidigen musste und muss: Die Sanierung der historischen Häuserzeile in der Oberamteistraße 28 bis 32, inklusive Neubau des »gläsernen Hauses«, das die Rest-Häuser stützen soll. Keck zeigt sich an diesem kalten, aber trockenen Mittag hocherfreut, dass das Projekt nun wieder einen Schritt weiter ist: Jetzt kann mit dem Bau des weitgehend leeren Hauses aus Fachwerk und Glasziegeln begonnen werden. Es gibt allerdings keinen Spatenstich. Vielmehr verfolgen rund 50 Interessierte, Kommunalpolitiker, Rathaus-Mitarbeiter und beteiligte Architekten, wie der Start des Neubaus mit einem symbolischen Steineklopfen gefeiert wird.
Hintergrund
Der Abriss des steinernen Hauses Nummer 34 im Jahr 1972 war für die verbleibenden Gebäude, die alle aus dem 14. Jahrhundert stammen, ein Desaster. Sie gerieten im Laufe der Jahre so in Schieflage, dass es Projektleiter Balthasar Hansen vom städtischen Gebäudemanagement bei einem Vor-Ort-Termin im November 2022 drastisch ausdrückte: »Das Ensemble ist schiefer als der schiefe Turm von Pisa.« Auch OB Keck findet an diesem Montagmittag bekannt markige Worte: »Der Abriss damals ist für mich ein Sakrileg in der Stadtgeschichte.« Durch zwei mittelschwere Erdbeben im Jahr 2022 verschärfte sich die Lage noch. Es entstanden Risse in der Fassade.

Zeitplan
Rund 20 Jahre habe sie sich mit dieser Häuserzeile schon beschäftigt, berichtet die Ex-Baubürgermeisterin Ulrike Hotz, die sich das symbolische Steineklopfen natürlich auch nicht entgehen lässt. »Ich bin total froh, dass es nun zum Baubeginn kommt. Die Lösung ist genial.« 2018 fiel mit einem Realisierungswettbewerb der endgültige Startschuss für Sanierung und Neubau. Gewonnen hatte ein Entwurf, der von der Arbeitsgemeinschaft Oberamteistraße - besteht aus den Büros Wulf Architekten und Ingenieurbüro Grau, unterstützt durch Strebewerk Architekten und Ingenieurbüro struc.ture - umgesetzt wird.
In den vergangenen Monaten wurden »umfangreiche Arbeiten am Bestand und am Holztragwerk« durchgeführt, schildert Baubürgermeisterin Angela Weiskopf. »Nun kann der Neubau angeschlossen werden, ohne dass eine Beschädigung des Altbestands erfolgt.« Der Rohbau fürs »gläserne Haus« soll noch im Dezember starten, so Weiskopf. Weitere Details zum Zeitplan: Die Bodenplatte soll bis Ende März 2024 fertig sein, im Juli 2024 sollen die Arbeiten am Holztragwerk des Neubaus starten, im Februar 2025 soll das Dach dann mit den viel diskutierten gussgläsernen Biberschwanzziegeln bedeckt sein. Die Fertigstellung des Museums sei für 2028 vorgesehen. »Und man soll es etwa ein halbes Jahr später in Betrieb nehmen können.«
Fördermittel
Für das Sanierungs- und Bauprojekt bekommt die Stadt üppige Fördergelder. Aus dem Programm »Nationale Projekte des Städtebaus« fließen von Bundesseite 3,3 Millionen Euro. Die Bestandsgebäude werden über das Bund-Länder-Programm »Lebendige Zentren« als wichtiger Bestandteil der Sanierungsmaßnahme »Quartier Oberamtei« gefördert, wie OB Keck ausführt. Zusätzlich zu den bereits bewilligten Fördermitteln habe man Anträge auf Denkmalförderung bei Land und Bund gestellt, wodurch bisher rund 4,3 Millionen Euro in Aussicht gestellt wurden. Heißt 7,6 Millionen Euro Zuschüsse - wenn denn alles klappt. Insgesamt sind für alle Arbeiten zusammen rund 20 Millionen Euro angesetzt. Ende 2025 muss der gläserne Neubau stehen, das besagt eine der Förderrichtlinien. Sonst werden die Mittel gestrichen. »Wir sind voll im Zeitplan«, verkündet Baubürgermeisterin Weiskopf zufrieden.
Kontroverse
Des einen Freud', des anderen Leid: Nicht jeder Reutlinger und auch nicht jeder Gemeinderat findet das Projekt in seiner ganzen Dimension gut. Kritisiert wird das Bauvorhaben beispielsweise von der CDU. 2022 sprach sich die Fraktion dafür aus, statt Glashaus ein Wohnhaus in Holzständerkonstruktion zu errichten. Auch die WiR-Fraktion war damals gegen das Glashaus, während die AfD anmahnte, in Zeiten klammer Kasse strenger mit Geld umzugehen. Alle anderen Fraktionen positionierten sich im November 2022 weiter hinter dem Projekt. Auf Kritik aus der Bevölkerung angesprochen reagiert OB Keck meist sehr deutlich. So sagte er ebenfalls 2022 gegenüber dem GEA: »Das ist ein Stück Stadtgeschichte! Es ist fünf nach zwölf, das duldet keinen Aufschub!« (GEA)