REGION NECKAR-ALB. »So viele Bedenken gab's unseres Wissens landes- und bundesweit noch nie«, machte Eugen Höschele deutlich. Der Vorsitzende des Regionalverbands Neckar-Alb zeigte in dessen Sitzung am Dienstag in der Metzinger Stadthalle zusammen mit Verbandsdirektor Dr. Dirk Seidemann die Dimensionen ausufernder Bürgerbeteiligung auf: Allein am 11. April haben sieben Bürgerinitiativen, die sich zu »Gegenwind Neckar-Alb« zusammengeschlossen hatten, beim Regionalverband knapp 440.000 Stellungnahmen abgegeben.
Überwiegend kritische Stellungnahmen, die die Suche des Verbands nach geeigneten Flächen für die Windkraft-Standorten in der Region betrafen. 1,8 Prozent seines Gebiets muss der Verband dafür zur Verfügung stellen und will sie als sogenannte Vorrangflächen bis Ende 2025 in den Regionalplan einarbeiten - außerdem auch Flächen für die Solarstromerzeugung. Ziel: die Energiewende und der Klimaschutz. Bis 2040 soll Baden-Württemberg laut Klimaschutzgesetz weg von der Verbrennung fossiler Energieträger sein.
»Wir denken über den Einsatz von KI zur Auswertung nach«
Die Zeit läuft also, aber die Flut der Stellungnahmen kann viel Zeit kosten und das Verfahren im ungünstigen Fall lähmen. »Beim Auswerten könnte unter Umständen KI zum Einsatz kommen«, sagt Seidemann, Zusätzlich zu den BI-Eingaben kamen 1.800 von Personen aus dem Kreis Reutlingen, gut 2.000 aus dem Zollernalbkreis und 36 aus dem Landkreis Tübingen, teils aber mehrere oder mit verschiedenen Anhängen.
(Nur) 36 Prozent der 440.000 Stellungnahmen kamen digital an, der große Rest in Papierform. Von Menschen nicht nur aus Reutlingen, Pfronstetten oder Römerstein, sondern auch aus Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein und aus anderen weit entfernten Orten. Denn beteiligen konnte sich jede und jeder und über soziale Netzwerke machte die Sache weite Runden. Gegenwind konnte bequem vom Sofa aus erzeugt werden. »Mit einem Mausklick konnte man 140 Stellungnahmen abgeben«, machte Seidemann deutlich, und: »Wir werden jedes Argument prüfen.« Dabei hilft keine Künstliche Intelligenz.
»Mit einem Mausklick konnte man 140 Stellungnahmen abgeben«
Ist eine solche leichte und breite demokratische Beteiligung noch zielführend, wenn es um die Sicherung der Energie der Zukunft geht? Darum drehten sich längere Diskussionen in der Verbandsversammlung. Höscheles Meinung war klar, und sie entsprach der fast aller Redner: »Es gibt Grenzen der demokratischen Beteiligung. Es kann nicht sein, dass man von Bad Oldesloe Einspruch gegen ein Windrad in Pfronstetten einlegen kann.« - »Man muss sich die Frage stellen, ob das so noch normal ist«, stieß Michael Hagel (Grüne) ins selbe Horn, »man wird auf Landesebene nachsteuern müssen.«
Darauf will Hagels Fraktionskollegin Cindy Holmberg, die für die Grünen auch im Landtag sitzt, hinwirken: »Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir über das Landesplanungsgesetz die Personenkreise einschränken.« Sie stehe im Austausch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und dem zuständigen Ministerium. »Wir müssen sofort handeln.«
»Man wird auf Landesebene nachsteuern müssen«
SPD-Fraktionsvorsitzender Elmar Rebmann will auf ganz andere Weise handeln: »Wir bringen uns gerne ein und unterstützen Sie«, kündigte er Unterstützung aus den Reihen von Kommunalverwaltungen an. Die Ausweisung geeigneter Gebiete für Windkraft- und Photovoltaik(PV)-Anlagen im Regionalplan sei »eine große Aufgabe. Der Beteiligungsprozess ist ausgenutzt worden.« Auf Rebmanns Angebot will Höschele gegebenenfalls eingehen. Günther-Martin Pauli (CDU) sprach von einem »Missbrauch der Beteiligungsrechte. Es bindet unnötig Zeit und Geld.« Das Land möge den Regionalverband wegen des hohen Mehraufwands finanziell unterstützen.
Gelänge die geordnete Steuerung der Windkraft- und PV-Gebiete über den Regional- und die nachgeordneten Flächennutzungs- und Bebauungspläne nicht, könnten Windräder mal hier, mal dort in der Region stehen, denn sie sind nach dem Baugesetzbuch im Außenbereich privilegiert. Dann könnte es freilich erst recht zu dem von vielen Windkraftgegner befürchteten (meist optischen) Konflikt mit der gewachsenen Kulturlandschaft kommen.
»Wir bieten als Kommunalverwaltung gerne unsere Unterstützung an«
Letztlich hat das Gremium einstimmig beschlossen, dass der Verbandsvorsitzende Eugen Höschele und der Verwaltungsausschuss über die rechtlich festgezurrten Beträge (35.000 beziehungsweise 70.000 Euro) Geld ausgeben dürfen, um Hilfe für die Bewältigung der Bürgerbeteiligungs-Flut an Land zu ziehen. Solche will Höschele finanziell wie fachlich auch beim Land einfordern. (GEA)