REUTLINGEN-OHMENHAUSEN. Nein, unglücklich sind Sieglinde und Harald Binsch ganz und gar nicht. Vielleicht ein bissle melancholisch. Doch diese leise Wehmut dominiert die Gefühlswelt der Eheleute keineswegs. Vielmehr ist es eine gehörige Portion Vorfreude, die beide beseelt: auf den baldigen Ruhestand, den sie – »wir sind Naturliebhaber« – unter anderem radelnd, wandernd und gärtnernd genießen möchten.
Nurmehr sieben Wochen trennen Sieglinde und Harald Binsch von ihrem neuen Lebensabschnitt; sieben Wochen und jede Menge Arbeit. Denn wenn sich am 29. Februar die Tür ihres Antiquitätengeschäfts in der Gomaringer Straße 10 für die Kundschaft zum ultimativ letzten Mal geöffnet hat, heißt es eilends die Immobilie zu räumen – um Platz zu schaffen für den neuen Eigentümer, der bereits in den Startlöchern steht.
Keine Zeit für Grübeleien
»Wir hätten nicht gedacht, so schnell einen Käufer für unser Haus zu finden. Aber, wir hatten Glück« – wiewohl dieser Dusel seinen Tribut fordert. Drückt er halt doch mächtig aufs Tempo. Weshalb Werkstatt, Verkaufsraum und Wohnbereich sozusagen im Schweinsgalopp übergabefähig gemacht werden müssen. Für Grübeleien bleibt da keine Zeit. Und das ist vermutlich gut so.
So, wie in den zurückliegenden 41 Jahren vieles gut war. Zumal »Antik Binsch« bei Liebhabern restaurierter Jugendstil- und Gründerzeitmöbel binnen Kurzem im Ruf stand, eine höchst seriöse Adresse für (Ur-)Omas schmuckes Küchenbüfett oder Opas Sekretär zu sein. »Mundpropaganda«, erinnert sich Harald Binsch, machte es möglich – ganz ohne internette »Likes« oder (dubiose) Bewertungsportale, sondern schlicht durch zufriedene Kunden.
Diese kamen von nebenan, aber auch vom Bodensee, aus dem Allgäu, aus Karlsruhe und Stuttgart. Sieglinde Binsch spricht vom »süddeutschen Raum« und davon, dass sie bei Firmengründung anno 1983 nicht damit gerechnet hätte, dass der Laden binnen Kurzem brummen sollte. Auf einen langen Atem hatte sie sich insgeheim eingestellt. Doch es sollte anders, nämlich besser kommen – weil das Ehepaar offenbar aufs richtige Pferd gesetzt hatte: zunächst auf Haushaltsauflösungen sowie den An- und Verkauf historischer Weichholzmöbel aus der Zeit von 1850 bis 1920 nebst Ablaugeservice.
Etwas später kam die Restauration respektive das Aufhübschen antiker Tische, Stühle, Kommoden und Co. hinzu. Ein Geschäftszweig, den Harald Binsch mit Hingabe, Akkuratesse und handwerklichem Geschick kultivierte – zum Pläsier vieler Klienten, die ihm Erbstücke von hohem ideellen mitunter auch materiellen Wert anvertrauten. Auf dass Binsch diesen hölzernen Schätzen zu einem zweiten Frühling verhelfe.
Jugendstil-Mobiliar boomte in den 1980ern
Nun, der heute 64-Jährige tat genau das. Wie viele Möbel er in den zurückliegenden vier Dekaden in der Mache hatte? Auf jeden Fall so viele, dass sie, wie er augenzwinkernd erklärt, in ihrer Summe den »Monte Kiki« locker überragen. Was auch daran liegt, dass Jugendstil-Mobiliar und -Wohnaccessoires von Mitte der Achtziger- bis Ausgang der Neunzigerjahre einen regelrechten Boom erlebten.
Binsch konnte sich damals vor Aufträgen schier nicht retten. Und wenn er und seine Frau mit Waren von Antikmessen nach Ohmenhausen zurückkehrten, kam es immer wieder vor, dass ihr Lkw noch auf der Straße von Kaufinteressenten belagert wurde, die Raritäten ab Laderampe erwerben wollten. Derweil Konkurrenz-Händler wie Pilze aus dem Boden schossen. »Sogar die großen Möbelgeschäfte«, entsinnt sich Harald Binsch, sprangen damals auf den Nostalgie-Zug auf, nahmen Trödel, Tinnef und Antikwaren in ihr Sortiment auf.
Dass sich unter all diesen Anbietern auch Scharlatane tummelten – Sieglinde und Harald Binsch wissen es präzise. Als Szenekenner sind ihnen schließlich selbst schon diverse Schlitzohren begegnet. Etwa aus Osteuropa, wo während der 1980er-Jahre in Werkstätten vermeintlich antike Möbel für den deutschen Markt fabriziert wurden: aus Altholz zusammengestückelt und mit Fantasie-Zertifikaten garniert. Keine Frage: In diesen Produkten war in jeder Hinsicht der Wurm drin.
Zukunftsträchtig waren derlei windige Geschäftsmodelle freilich nicht. Was auch für jene kleinen Antik-Läden beziehungsweise -Verkaufsscheunen gilt, die einst gleich Pop-up-Stores überraschend öffneten und wieder schlossen.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus bemerkenswert, dass sich das Ohmenhäuser Zwei-Personen-Unternehmen bis heute halten konnte. Was zweifellos Harald Binschs handwerklichem Können geschuldet ist. Sind es in den zurückliegenden Jahren doch überwiegend Restaurierungs- und Reparaturaufträge gewesen, die Geld ins Kässle spülten – und den Auftraggebern nach vollbrachter Arbeit ein glückliches Lächeln ins Gesicht zauberten.
Apropos Lächeln. Das tun auch Sieglinde und Harald Binsch – wenn sie all diese Weißt-du-Nochs Revue passieren lassen. Zufrieden wirken sie. Und auch ein bissle stolz. Nämlich darauf, zeit ihres Berufslebens Nachhaltigkeit, Regionalität und Alltagsökologie nicht etwa gepredigt, sondern praktiziert zu haben. (GEA)