REUTLINGEN. »Ich verstehe ihre Wut und ihre Enttäuschung«: Landrat Thomas Reumann äußerte gestern bei einer Pressekonferenz im Kreuzeichestadion deutlich, dass er die Verärgerung der Betroffenen nachvollziehen kann, die derzeit daran scheitern, einen Impftermin im Kreuzeichestadion zu ergattern.
Am Freitag soll dort das neue Kreisimpfzentrum (KIZ) in Betrieb gehen. Seit Dienstagmittag werden Termine vergeben. Doch die meisten Versuche, einen solchen telefonisch oder per Internet zu vereinbaren, laufen ins Leere, enden in Warteschleifen. Wer durchkommt, wird meist ebenfalls enttäuscht: In den kommenden Wochen können vorerst nur 30 Termine pro Tag vergeben werden. Die sind nach einer halben Stunde weg. Jeweils um null Uhr in der Nacht werden, so Kreisbrandmeister Wolfram Auch auf Nachfrage, die nächsten 30 freigeschaltet.
Am Auftakttag gab es zudem das Problem, dass manche Anrufer nur einen ersten Termin ausmachen konnten. Die Mitarbeiter müssten nun den Betroffenen hinterher telefonieren. »Da ist technisch noch Luft nach oben«, befanden Reumann und der Kreisbrandmeister, der auch berichtete, dass eine Software-Verbesserung von Anbieter kv.digital anvisiert sei.
Das Kardinalproblem abseits des kläglichen Termin-Managements, das Bürger in der ganzen Republik schalu macht, ist, dass bekanntlich gar nicht genug Impfstoff zur Verfügung steht.
Kreis und Stadt haben in einem erneuten Kraftakt in Pandemiezeiten ihre Hausaufgaben gemacht und schon vor Weihnachten in wenigen Wochen ein Impfzentrum eingerichtet (der GEA berichtete). Hardware, Software, Personal – alles steht parat. Reumann lobte ausdrücklich die »tolle Mannschaftsleistung«, an der neben vielen anderen Akteuren maßgeblich auch Feuerwehr und die Technischen Betriebsdienste (TBR) Reutlingen beteiligt waren.
Viele Helfer haben sich für den Betrieb angedient. Die Pandemiebeautragte des Kreises, Dr. Angelika Walliser, berichtete unter anderem von 250 Ärzten, die im KIZ mithelfen möchten.
585 Impfdosen pro Woche
Für 750 bis 800 Impfungen pro Tag ist das Stadion ausgelegt. Doch zum Start werden sich lediglich 30 Aspiranten täglich in den weitläufigen Räumlichkeiten der Kicker verlieren: 150 pro Woche.
Der Landrat erläuterte die aktuellen Verteilungsmodalitäten für den Impfstoff. Eine erste Ration wurde gestern während der Pressekonferenz in einem unauffälligen Sprinter angeliefert: 1.170 Ampullen mit kostbarem Biontech-Pfizer-Serum, das dafür sorgen soll, dass Coronavirus-Infizierte nicht oder nur leicht erkranken.
Pro Woche bekommt der Kreis vom Land im Februar im Schnitt 585 Impfdosen zugewiesen. 385 Dosen (plus 80 aus der Zentralen Impfstelle in Tübingen) pro Woche sind für die Altenheime im Kreis reserviert. Eine Priorisierung, die – nach Analyse der Pandemie-Treiber – sowohl das Land als auch der Kreis selbst für sinnvoll erachtet. Zwar wird das Infektionsgeschehen zunehmend als »diffus« bezeichnet. Doch wenn es auffällige Häufungen von Fällen gebe, dann zuvorderst in den Altenheimen, berichtete Reumann.
44 stationäre Einrichtungen der Altenhilfe im Kreis mit 2.300 Betreuten und 3.500 Mitarbeitern sind die ersten Impf-Aspiranten. Die Bereitschaft des hiesigen Personals, sich stechen zu lassen, bezeichnete Reumann dabei als »hoch«. Sechs Pflegeeinrichtungen mit 213 Bewohnern und 69 Mitarbeitern seien bereits »durchgeimpft«. Dazu sind mobile Teams aus Tübingen und nun auch vom hiesigen Kreisimpfzentrum im Einsatz.
TERMINE UND RAT
Täglich (ab null Uhr nachts) werden 30 Termine freigeschaltet, die schnell vergeben sind. Es gibt zwei Wege, um einen der raren Impfermine im Kreuzeiche-Stadion zu ergattern: über eine zentrale Telefonnummer oder online (siehe unten). Voraussetzung für die Online-Buchung ist eine eigene E-Mail-Adresse und die Möglichkeit, eine SMS zu empfangen. Bei der Online-Terminvergabe müssen unbedingt Erst- und Zweittermin gleichzeitig im selben Impfzentrum gebucht werden. Fragen zum Impfzentrum
Termine per Telefon: 116117 Online: www.impfterminservice.de
50 Dosen pro Woche sollen an Mitarbeiter der Kreiskliniken verabreicht werden. Nur die verbleibenden 150 Ampullen pro Woche werden freigegeben für die Impfungen der zunächst priorisierten Risikogruppen wie sonstiges Pflege- und medizinisches Personal – und eben Senioren über 80, die ihr Leben alleine meistern – und nun teils verzweifelt in Telefon-Warteschleifen hängen. Dass just diese Bevölkerungsgruppe nicht immer online-affin ist, ist den Verantwortlichen bewusst. Man habe daher unter anderem im Krisenstab des Landkreises Assistenzangebote an die Senioren bei der Terminanberaumung erwogen. Problem: Ruft die gleiche Nummer viermal im Buchungssystem an, wird sie blockiert.
Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck sah gestern bei allen Widrigkeiten das Angebot an der Kreuzeiche als »einen Meilenstein in der Pandemiebekämpfung«. Und auch Landrat Reumann beteuerte, dass vom Impfstart am Freitag in Reutlingen »ein wichtiges Signal« ausgehe und dass der Ansatz, die Pandemie mittels Impfungen zu überwinden, vernünftig sei. Nur so biete sich eine deutliche Perspektive, zur Normalisierung im Alltag zurückzukehren.
Thomas Reumann und Thomas Keck machten wenig Hehl daraus, dass ihnen das in einigen Bundesländern praktizierte Anmeldeverfahren, bei dem Impfberechtigte angeschrieben werden, lieber gewesen wäre. »Für uns ist das auch nicht befriedigend«, so Reumann. »Aber wir müssen halt damit klarkommen.« Ebenso, wie mit der limitierten Menge an Serum. »Wann es besser wird, wissen wir nicht«, beklagte der Landrat.
Solange der Betrieb an der Kreuzeiche nicht unter Volllast läuft, droht dem eingeplanten Personal trotzdem nicht die Arbeit auszugehen. Der Landkreis Reutlingen will die Teststrategie in den Altenheimen ausweiten. Die KIZ-Mitarbeiter sollen dabei helfen. (GEA)