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Aktuell Einzelstück

Luftsportverein Reutlingen kann fliegen ohne abzuheben

Wieso die Jugendgruppe des Luftsportvereins Reutlingen einen beeindruckenden Segelflugsimulator gebaut hat, und was das Einzelstück kann.

Der Nachwuchs des Luftsportvereins bei der Arbeit am Segelflugsimulator.
Der Nachwuchs des Luftsportvereins bei der Arbeit am Segelflugsimulator. Foto: Stephan Zenke
Der Nachwuchs des Luftsportvereins bei der Arbeit am Segelflugsimulator.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. »Anton, mach mal einen Looping«, rufen die Mitglieder der Jugendgruppe des Luftsportvereins Reutlingen ihrem Kumpel im Cockpit eines Segelflugzeugs zu. Das würden sie niemals tun, wenn der 14-Jährige wirklich auf einem Flug wäre. Tatsächlich sitzt Anton wenige Zentimeter über dem Boden in einem Segelflugsimulator. Das Tolle daran ist, dass sich die Reutlinger dieses Einzelstück selbst gebaut haben. Weil’s Spaß bringt und Sinn macht.

»Wir wollten ein cooles Projekt machen, für das man sich regelmäßig in der Werkstatt trifft«, erzählt Jugendleiter Moritz Weisser von den ersten Ideen zu einem Segelflieger auf Flughöhe null. Gewachsen sind die Gedanken während den Corona-Jahren, in denen niemand wirklich abheben konnte. »Da haben wir uns abends jeder für sich zu Hause an den Computern getroffen, und sind virtuell geflogen«, erinnert sich Weisser, »wir haben sogar mehrere Wettbewerbe veranstaltet.« Die Jugendgruppe des Luftsportvereins Reutlingen nutzt dazu ein Computerprogramm mit dem passenden Namen »Condor II«.

»Wie richtige Piloten üben und gefährliche Situationen proben«

Die Software beschreibt der Hersteller mit luftigen Worten auf seiner Website: »Condor Soaring Simulator simuliert das komplette Segelflugerlebnis auf Ihrem Computer. Mit ihm können Sie das Fliegen von Segelflugzeugen erlernen und bis zu einem hohen Niveau von Wettbewerbsfähigkeiten fortschreiten. Das Herzstück des Simulators ist das hochmoderne Physikmodell und das fortschrittliche Wettermodell für den Segelflug«. Es handelt sich folglich um mehr als ein Spaßprogramm. Der Weg von den Pixeln der Software zum praktischen Simulator ist ein spannendes Puzzlespiel.

»Wir hatten eine grobe Vorstellung, aber keinen Bausatz oder Plan von irgendwem«, sagt Weisser. Klar, aus einer rein virtuellen Sache etwas in der Realität Benutzbares zu machen, bedeutet viele technische Herausforderungen zu lösen. Nur ein Beispiel: Wie übersetzt man die Befehle eines echten Steuerhorns in die Sprache eines Joysticks, die das Programm versteht? Das wesentliche Bauteil des Reutlinger Einzelstücks ist der vordere Rumpfteil eines einsitzigen Segelflugzeuges vom Typ DG 100. »Den Rumpf haben wir von der akademischen Fliegergruppe Akaflieg Braunschweig geschenkt bekommen«, verrät der Jugendleiter. Pilot oder Pilotin sitzen vor den gewohnten Steuerelementen wie Steuerhorn zwischen den Beinen, Pedalen für die Seitenruder ganz vorne vor beiden Füßen, Ziehgriff zum Ausklinken des Schleppseiles und so weiter. Vor den Augen wird es voll digital.

Höhenverstellbar entfaltet sich auf drei in U-Form angeordneten 27-Zoll-Bildschirmen in Blickrichtung vorne ein ziemlich realistisches Gesamtbild. In der Mitte erscheinen Instrumente wie in einem echten Cockpit, dahinter sowie rechts und links die Landschaft. Angesteuert wird alles über einen ausgedehnten Kabelsalat von einem handelsüblichen Gaming-Notebook, auf dem ein ebenso weit verbreitetes Windows läuft. Der Simulator ist auf einer Bodenplatte montiert, die sich mit Rollen verschieben lässt. Alles ziemlich beeindruckend sowie weit weg von einem Spielzeug.

»Anton, mach mal einen Looping«, rufen die Mitglieder der Jugendgruppe des Luftsportvereins Reutlingen ihrem Kumpel im Cockpit e
»Anton, mach mal einen Looping«, rufen die Mitglieder der Jugendgruppe des Luftsportvereins Reutlingen ihrem Kumpel im Cockpit eines Segelflugzeugs zu. Foto: Stephan Zenke
»Anton, mach mal einen Looping«, rufen die Mitglieder der Jugendgruppe des Luftsportvereins Reutlingen ihrem Kumpel im Cockpit eines Segelflugzeugs zu.
Foto: Stephan Zenke

»Es ist schon auch der Gedanke, den Simulator im Training einzusetzen, um wie bei richtigen Airlines mit Piloten zu üben, oder gefährliche Situationen zu proben«, sagt Moritz Weisser. Das könnte etwa ein Strömungsabriss sein, »der im Flug ein Ausnahmefall ist. Dann muss man aber wissen, wie man sich verhält«. Der Segelflugsimulator ist in der Lage solche Flugmanöver darzustellen – und zwar vollkommen ohne Risiko für Mensch und Flugzeug. Daneben, was eine weitere Parallele zu den ausgewachsenen Simulatoren in den Trainingszentren von Airlines darstellt, spart das »Fliegen auf Flughöhe null« ordentlich Geld. Obschon Segelfliegen ein wirklich günstiges Hobby darstellt, dass sich jeder leisten kann, kostet eine echte Flugstunde zwischen 12 und 25 Euro. Im Simulator darf mit einem Bruchteil davon gerechnet werden. Wobei natürlich der Bau nicht gänzlich ohne finanzielle Mittel zu stemmen gewesen wäre.

»Es ist cool etwas zu bauen, was wirklich Sinn macht«

Diverse Spender haben das nunmehr fertiggestellte Projekt unterstützt. Dazu zählen die Jugendstiftung der Kreissparkasse Reutlingen oder Firmen wie RA-GAS GmbH, Spectra GmbH & Co. KG, Klaus Böhm Elektronik GmbH sowie SULIS . Die Zahl der mit viel Freude geleisteten Arbeitsstunden der Jugendgruppe hat niemand gezählt. Dafür erzählen alle begeistert davon. »Es ist cool etwas zu bauen, was wirklich Sinn macht«, sagt Tobias Taigel. Der 17-Jährige hat sich gemeinsam mit anderen um die Knüppelsteuerung und die Landeklappen gekümmert. Felix von Pfeil (17) berichtet, »ich habe die Ausklinkverbindung und die Pedale gemacht«, und lobt neben der Gemeinschaft auch die Möglichkeit »viel zu lernen«.

Tabea Bartholomeyczik (18) hat ihren Beitrag in Gestalt der tadellosen Kabinenverkleidung inklusive des Pilotensitzes geleistet. Die junge Frau ist mit Recht »stolz, dass der Simulator so gut dasteht«. Mirijam Kiderlen, die ganz frisch im Verein ist, freut sich mit ihren 16 Jahren schon auf »die tolle Möglichkeit, quasi echt zu fliegen«. Während sie alle erzählen, hat Anton Hartmann (14) zwar immer noch nicht wie von seinen Kumpels scherzhaft gewünscht, einen Looping geflogen – zeigt aber im Simulator sitzend dieses zufriedene Lachen. Der Vereinsvorsitzende Marc Bitzer ist voll des Lobes: »Für uns sehr schön, dass die Jugend das macht. Wir leben davon, wenn sich der Nachwuchs für etwas begeistern kann«. In Zukunft könnte die Begeisterung noch wachsen.

Die Darstellung von Cockpit und Landschaft ist ziemlich realitätsnah.
Die Darstellung von Cockpit und Landschaft ist ziemlich realitätsnah. Foto: Stephan Zenke
Die Darstellung von Cockpit und Landschaft ist ziemlich realitätsnah.
Foto: Stephan Zenke

Denn der Segelflugsimulator ist noch lange nicht am Ende seiner Entwicklung angekommen. Okay, sagt Moritz Weisser, »man kann jetzt damit fliegen«. Aber noch ist die Gerätschaft ein Stehzeug ohne Möglichkeit, Fliehkräfte oder Rollbewegungen zu simulieren. Wie sich das ändern lässt, darüber denken die Reutlinger Tüftler ebenso nach wie über weitere technische Finessen. »Wir wollen irgendwann in Richtung virtuelle Realität gehen«, deutet Weisser an. Das könnte dann so aussehen, dass Piloten eine Brille tragen, vollkommen in eine künstliche Welt eintauchen. Aktuell sehen die Jugendlichen beim Blick neben die Bildschirme noch die Theke des Gastraumes im Vereinsheim. Eine breitere Öffentlichkeit soll sich den Segelflugsimulator bei kommenden Vereinsaktionen anschauen, sowie möglicherweise auch mal einen kleinen Flug wagen können – mit oder ohne Looping. (GEA)

www.lv-reutlingen.de

www.condorsoaring.com