»Das Präsidium ist eine Prestige-Geschichte. Dem Bürger bringt das gar nichts«, kritisiert Kraus. Ziel der Reform ist es, mehr Polizisten in die Fläche zu bekommen. Im künftigen Präsidium, meint er, sitzen aber Beamte aus dem Stab, aus der Verwaltung, vielleicht die Funkleitzentrale - Leute also, die nicht auf die Straße gehen. »Der Landkreis hat damit keinen Präsenzgewinn.« Stattdessen stehe der Kripo eine Schrumpfkur bevor. »Wir befürchten, dass von den 85 Kriminalbeamten im Landkreis nach der Reform 30 bis 40 übrig bleiben«, sagt Matthias Spitzner. Und das könne der Bürger durchaus zu spüren bekommen.
In einigen Bereichen sinnvoll
Als Beispiel nennt er den ungeklärten Todesfall in Zwiefalten, zu dem die Kripo aus Esslingen anreisen muss. Oder umgekehrt den Schutzpolizisten, der während einer Vernehmung das Handy des Tatverdächtigen schnell auswerten lassen möchte. Der Fachmann sitzt jetzt aber nicht mehr zwei Zimmer weiter, sondern im 43 Kilometer entfernten Esslingen. Was bisher reibungslos funktioniert hat, könnte künftig schwierig werden, meint Thomas Kraus, selbst Dezernatsleiter bei der Kripo Reutlingen.Dass eine zentrale Kriminalitätsbekämpfung in einigen Bereichen sinnvoll ist, bestreiten die beiden Berufsvertreter nicht. Cyber- oder Wirtschaftskriminalität, vielleicht auch noch organisiertes Verbrechen - aber schon bei Staatsschutzdelikten und vor allem Jugendkriminalität sind ihrer Ansicht nach Orts- und Personenkenntnisse unerlässlich.
Große Verunsicherung
Sicher ist, dass Reutlingen und Tübingen untergeordnete Kriminalkommissariate bekommen. Welche Aufgabenfelder dort beackert werden, weiß bisher noch niemand. Matthias Spitzner und Thomas Kraus glauben, dass die Spezialisten in der zentralen Esslinger Direktion, die Generalisten in den Kommissariaten beschäftigt sein werden. »Wenn man keine Fachbereiche bildet, muss jeder alles können«, sagt Kraus. Und befürchtet, dass es nach der Reform Kriminalisten erster und zweiter Klasse gibt.Nicht nur die Schutz-, sondern auch die Kriminalpolizei muss in die Fläche, lautet eine wichtige Forderung der beiden BDK-Vertreter. Deshalb stehen sie auch hinter der Einrichtung eines Kriminaldauerdienstes, der ihrer Meinung nach zentral in Reutlingen angesiedelt werden muss. Ganz wichtig sei dabei eine gute personelle Ausgestaltung. Doch da, meinen Spitzner und Kraus, fangen auch schon die Probleme an. Pro Schicht bräuchte man mindestens zehn Leute, macht in fünf Schichten 50 Beamte. Die übernehmen Sofortfälle, geben in der Regel dann ab an die Spezialisten.
Was aus Sicht der beiden BDK'ler bedeutet: Sie fehlen in der Ermittlungsarbeit, die bisher die »alte« Kripo erledigt hat. Eine Umschichtung des Personals - auch aus der Schutzpolizei - könne notwendig werden, meint Matthias Spitzner. Auch deshalb, weil viele der älteren Kriminalbeamten keine große Lust hätten, noch einmal Schichtdienst zu schieben.
»Keiner weiß, was aus ihm wird«, schildert Thomas Kraus die derzeitige Gefühlslage bei der Reutlinger Kripo. Die Verunsicherung sei groß, die Stimmung mies. Auch in den oberen Etagen, weil alle Funktionsstellen für Beamte im gehobenen Dienst im Zug der Reform wegfallen würden. Aus Führungskräften werden Sachbearbeiter - mit gleichem Gehalt und Titel zwar, was aber dennoch als »soziale Degradierung« empfunden werden könne.
Ein »heißes Thema« bei der Umsetzung der Reform ist aus Sicht von Matthias Spitzner die Sozialverträglichkeit. Nicht nur ein Teil der Beamten, sondern auch angestellte Teilzeitkräfte und Geringverdiener müssten künftig nach Esslingen pendeln - schlimmstenfalls aus einer entlegenen Albgemeinde. Das könnten sich einige schlicht nicht leisten. Die BDK'ler appellieren deshalb an die Verantwortlichen, großzügige Übergangslösungen zu schaffen und die Reform nicht »im Schweinsgalopp« durchzupeitschen. »Hier geht es um Menschen, nicht um Dienststellen«, sagt Spitzner.