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Aktuell Migration

Kontakte zwischen Menschen bauen Ängste ab

REUTLINGEN. Wie kann konkrete Unterstützung von Flüchtlingen aussehen und eine Kultur des Willkommens gestaltet werden? Welche Erfahrungen machen Reutlinger Initiativen vor Ort? Am Freitagabend lud der Juso-Kreisverband Tülay Schmid, den SPD-Experten für Flucht und Asyl, Lars Castellucci und die Reutlinger Schülerin Johanna Schneider zu einer Podiumsdiskussion ins Haus der Jugend, um diese Fragen zu erörtern.

Juso-Diskussion zum Thema Willkommenskultur mit (von links) Johanna Schneider, Ronja Nothofer, Tülay Schmid und Lars Castellucci
Juso-Diskussion zum Thema Willkommenskultur mit (von links) Johanna Schneider, Ronja Nothofer, Tülay Schmid und Lars Castellucci. FOTO: SPIESS
Juso-Diskussion zum Thema Willkommenskultur mit (von links) Johanna Schneider, Ronja Nothofer, Tülay Schmid und Lars Castellucci. FOTO: SPIESS
Tülay Schmid gilt als Musterbeispiel der Integration. Natürlich hat sie es heute als Frau von Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid einfacher, aber auch sie musste – vor allem nach ihrem langjährigen Aufenthalt in der Türkei – um ihre Anerkennung kämpfen und erlebte wiederholt Rückschläge. So etwa, als sie noch nicht Schmid mit Nachnamen hieß und versuchte, eine Wohnung zu mieten: »Ich bin zwar hier aufgewachsen, ging aber als 13-Jährige mit meinen Eltern zurück in die Türkei und erlebte erst nach meiner Rückkehr nach Deutschland, was es heißt, einen Migrationshintergrund zu haben«, berichtet die in Deutschland geborene Juristin, deren türkisches Abi hier nicht anerkannt wurde.

Sorge um aufgeheizte Diskussion

Heute macht sich die Tochter einer Gastarbeiterfamilie ebenso wie ihre Gesprächspartner Sorgen um die aufgeheizte Flüchtlingsdiskussion und die derzeitige Verunsicherung vieler Bürger. Dabei sei Deutschland doch »ein wunderbares Einwanderungsland«, was nicht zuletzt an der außergewöhnlichen Arbeit abzulesen sei, die zahllose Ehrenamtliche leisteten, meint Tülay Schmid.

Auch in Reutlingen, wie Johanna Schneider zu berichten weiß. Die Schülerin der Theodor-Heuss-Schule hat sich mit Schülern von anderen Gymnasien zusammengetan, um vor Ort Deutschunterricht zu geben, mit den Flüchtlingen gemeinsame Ausflüge zu unternehmen, die Kleidersammlung aufzusuchen oder sie zum Arzt zu begleiten. Sie setzt mehrmals in der Woche in die Tat um, für das der SPD-Bundesabgeordnete Lars Castellucci in seinen Ausführungen wirbt: Bürgerbeteiligung und Begegnung mit Flüchtlingen. Es sei doch auffällig, dass gerade die Leute, die keinerlei Kontakte zu Flüchtlingen hätten, auch die meisten Ängste entwickelten, sind sich Tülay Schmid und Lars Castellucci einig: »Wenn wir es schaffen, unsere Ängste in den Griff zu bekommen, kann Integration und die viel zitierte Willkommenskultur gelingen«, ist Schmid überzeugt.

Natürlich tauchten auch bei ihrer Arbeit mit Flüchtlingen immer wieder Probleme auf, berichtet Johanna Schneider. Einmal habe sie sich etwas bedrängt gefühlt, als plötzlich 40 Männer um sie herumstanden, weil alle was von ihr wissen wollten: »Dabei hatte niemand von denen was Schlechtes im Sinn«, sagt die Schülerin. Auch sei die Unterbringung von 120 Asylbewerbern in der Theodor-Heuss-Sporthalle nicht nur deshalb problematisch, weil für die Schüler derzeit nur eingeschränkt Sportbetrieb angeboten würde, sondern vor allem, weil es dort wegen des schwierigen Umfelds immer wieder zu Streitereien unter den Flüchtlingen komme: »Man sollte dort jemanden haben, der notfalls einschreiten kann«, fordert sie. Auch fehle es an psychologischer Betreuung und es sei nicht immer einfach, sich als Frau den nötigen Respekt zu verschaffen: »Mir ist aber noch nichts Schlimmes passiert«, bestätigt Johanna Schneider auf Nachfrage, »und auch an unserer Schule ist die Stimmung noch längst nicht gekippt«.

Mehr Sozialarbeiter

Fazit der von Ronja Nothofer, Vorsitzende des Juso-Kreisverbands, moderierten Diskussionsrunde: Neben Castelluccis Forderung nach einer schnelleren Bearbeitung von Asylanträgen und der Einstellung von mehr Sozialarbeitern und Deutschlehrern sind Kontakte und Begegnungen zu Flüchtlingen der Schlüssel zum besseren Verständnis: »Man muss nicht alles über den Fremden wissen oder verstehen«, meint Tülay Schmid, »viel wichtiger ist das aufeinander Zugehen, die Kontakte zu Flüchtlingen und die damit verbundene Vertrauensbildung.« (GEA)