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Klimawandel in Reutlingen: »Es fehlen Analysen und Visionen«

Stadtplaner Daniel Scheu beleuchtet, wie sich der Klimawandel auf Reutlingen auswirkt

Der ZOB als »Erlebnisoase Echaz«: Stadtplaner Daniel Scheu schlägt hier eine Grünfläche mit Anbindung an den Bürgerpark vor.  FO
Der ZOB als »Erlebnisoase Echaz«: Stadtplaner Daniel Scheu schlägt hier eine Grünfläche mit Anbindung an den Bürgerpark vor. FOTO: PIETH
Der ZOB als »Erlebnisoase Echaz«: Stadtplaner Daniel Scheu schlägt hier eine Grünfläche mit Anbindung an den Bürgerpark vor. FOTO: PIETH

REUTLINGEN. Wenn in Reutlingen von Stadtentwicklung die Rede ist, dann geht es meistens um das Dilemma, einerseits den Bedarf an Wohnraum und Gewerbeflächen zu decken, andererseits den Flächenverbrauch möglichst gering zu halten. Nach Ansicht des frischgebackenen Stadtplaners Daniel Scheu greift die Diskussion allerdings zu kurz. »Das Problem in Reutlingen ist: Es fehlen Visionen und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen«, sagt der gebürtige Reutlinger, der in der kommenden Woche seine erste Arbeitsstelle im Stadtbauamt Stuttgart antritt. Eine wichtige Komponente fehle bei der Entwicklung bislang: »Umfassende Analysen zum städtischen Klima.« Dafür hat der 26-Jährige jetzt die Grundlagen geliefert: In seiner Bachelorarbeit, die er am Donnerstagabend öffentlich gemacht hat, beleuchtet Daniel Scheu die Auswirkungen des Klimawandels auf seine Heimatstadt – mit konkreten »Handlungsempfehlungen für eine klimaangepasste Stadt«.

Aus Sicht des Stadtplaners – seinen Abschluss machte er an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geisingen – ist es wichtig, den Klimawandel als wesentlichen Bestandteil in den Planungen von Bauvorhaben und Grünflächen zu berücksichtigen. Sonst drohten den Bewohnern der Achalmstadt in künftigen Generationen Hitzestress mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und Probleme durch Extremwettererscheinungen wie Hagel und Hochwasser. Seine gute Nachricht: »Werden die Dinge jetzt vorausschauend, nachhaltig und effizient geplant, dann können sie für die nächsten 50, 60 Jahre gute Wirkung entfalten.«

Alleen sollen Schatten geben.
Alleen sollen Schatten geben. Foto: Privat
Alleen sollen Schatten geben.
Foto: Privat
»Etliche Planungsfehler im Bürgerpark«

Für seine wissenschaftliche Arbeit hat Daniel Scheu sowohl das regionale als auch das Stadtklima unter die Lupe genommen. Wichtiger Unterschied: Während das Klima der Region rein geografisch bedingt und nicht direkt zu beeinflussen ist, versteht man unter Stadtklima die durch Menschen verursachten Veränderungen des Klimas und der Luftqualität in Ballungsräumen. Einfluss haben zum Beispiel die Art der Bebauung, die Versiegelung der Flächen, der Verkehr und die Industrie. Das Mikroklima kann sich sogar innerhalb weniger Meter deutlich verändern (siehe Infobox). Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich laut der Bachelorarbeit in der Region Reutlingen bereits deutlich. Daniel Scheu zeigt auf, wie sich das Klima in den vergangenen zehn Jahren im Vergleich mit den 30 Jahren davor gewandelt hat.

Demnach ist es deutlich wärmer geworden, besonders im Sommerhalbjahr reicht die Temperatur in Reutlingen inzwischen an die Mittelwerte von Genua heran. »Dies entspricht dem allgemeinen süddeutschen Trend, wonach das Klima der Zukunft mediterraner wird.« Hört sich ja erst mal gar nicht so schlecht an. Daniel Scheu verweist allerdings auf den Zusammenhang zwischen Hitze und Gesundheitsbeschwerden und der Sterblichkeitsrate. Einer der Knackpunkte sei in diesem Zusammenhang auch die Pflanzenwelt: Bestimmte Baumarten wie Bergahorn, Birke und Rosskastanie sollten seiner Ansicht nach nicht mehr in süddeutschen Städten gepflanzt werden.

Im Gegensatz zum Mittelmeerraum sei die ganze Art der Begrünung in Reutlingen nicht auf die heißen Sommertage ausgelegt: Es fehle an Alleen und einer Beschattung großer Freiflächen. Auf dem Marktplatz seien die Kastanien »durch die falsche Standortwahl stark in Mitleidenschaft gezogen« und sollten gegen beständigere Arten ausgetauscht werden. Im Bürgerpark seien »etliche Planungsfehler« begangen worden: Die Baumsubstanz erfülle nicht die Erwartungen. Und dann der Rasen vor dem Tübinger Tor: »Dort sollte sich eigentlich urbanes Leben abspielen, aber kein Mensch hält sich dort auf«, sagt der Planer. Auch neben dem Skaterpark könnten mehr großkronige Bäume dafür sorgen, dass sich die Menschen dort wohler fühlen.

Auf Kritik seitens seiner Prüfer stieß sein Vorschlag, auf dem Gelände des heutigen Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB) eine »Erlebnisoase Echaz« zu schaffen, wenn das neue Buskonzept erst einmal Wirklichkeit ist und die große Bushaltestelle überflüssig macht. Als Beispiel diente ihm Nizza, wo ebenfalls auf dem ehemaligen Busbahnhof ein Park entstand. »In der Bewertung meiner Arbeit wurde bemängelt, dass an dieser Stelle der Bedarf an Wohnraum nicht ausreichend berücksichtigt war«, gibt Daniel Scheu zu. Dennoch bleibt er bei seiner Meinung, dass ein Stadtpark Reutlingen an dieser Stelle gut tun würde. Handlungsbedarf sieht er auch auf der Freifläche vor dem Zugbahnhof, die ebenfalls völlig ungenutzt sei.

Der ZOB als Stadtpark.  GRAFIKEN: PR
Der ZOB als Stadtpark. GRAFIKEN: PR Foto: Privat
Der ZOB als Stadtpark. GRAFIKEN: PR
Foto: Privat
»Wir werden uns auf extreme Niederschläge einstellen müssen«

Zurück zum Klima: Auch in puncto Niederschlag zeichnet sich ein Wandel ab: Daniel Scheu hat allgemein einen Trend zu weniger Schnee und Regen ausgemacht. Durch höhere Temperaturen steige die Gefahr von Gewitterbildung automatisch weiter. »Künftig werden wir uns auf noch mehr extremen Niederschlag einstellen müssen.«

Neben der Beschattung öffentlicher Räume empfiehlt Daniel Scheu eine großflächige Analyse von Kaltluftströmen. »Bebauungspläne könnten zur Verbesserung der Frischluftzufuhr beschlossen werden«, sagt er. Und auf privaten Flächen sollte eine Mindestbegrünung mit möglichst großkronigen Bäumen, Dach- und Fassadenbegrünung festgelegt werden. Selbst die Stellung und die Höhe einzelner Gebäude spielten eine Rolle für das Stadtklima. »Man kann sich fragen, ob Reutlingen eine Hochhausstadt werden soll, oder ob es nicht genug andere Flächen zur Entwicklung von Wohnraum gibt.« Daniel Scheu denkt zum Beispiel an die Bösmannsäcker oder an »den Autofriedhof« am Ortseingang aus Richtung Metzingen, die dem Image der Stadt ohnehin nicht zuträglich seien.

Ob Reutlingen die Ideen des Absolventen wohl aufgreift? Zumindest stellt Daniel Scheu seine Arbeit der Stadtverwaltung kostenlos zur Verfügung. (GEA)

DAS KLIMA DER REGION UND DER STADT REUTLINGEN

Immer mehr Gewitter und heftige Niederschläge

Das Klima in der Region Reutlingen: Das regionale Klima ist geprägt durch die Lage zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb. Zu den klimatischen Besonderheiten gehören laut Daniel Scheu die hohen Temperaturunterschiede zwischen der Albkante und den dicht bebauten Stadtgebieten. Die Durchschnittstemperatur sei in Reutlingen das ganze Jahr über deutlich höher als der deutsche Mittelwert. Bemerkenswert ist die Unwetterbilanz: »Reutlingen ist die Stadt in Deutschland mit der höchsten Hagelgefahr«, sagt der Stadtplaner. Gewitter habe es in dem von ihm untersuchten Zeitraum der letzten zehn Jahre doppelt so häufig gegeben wie in den 30 Jahren davor. Die Sommerunwetter spiegeln sich auch in der Niederschlagsstatistik wider, die starke Schwankungen aufweist. Von August bis Mai sinken die Niederschlagsmengen meist unter den deutschen Mittelwert. Der Sommer ist von Gewittern geprägt. In den vergangenen Jahren hat extremes Wetter zu Schäden in Milliardenhöhe geführt: Man denke zum Beispiel an den Hagelsturm von 2013 oder das Hochwasser an der Echaz im Juni 2013 und 2016.

Das Stadtklima in Reutlingen: »Die klimatischen Auswirkungen werden besonders für die Innenstadt ein zunehmendes Problem darstellen«, sieht der Stadtplaner vorher. Die starken Höhenunterschiede auf engem Raum spielen eine Rolle. Bergwinde bringen am Abend kühle Luft von der Alb, werden teilweise aber durch Bäume, Häuser und andere Hindernisse blockiert. Die stärksten Kaltluftströme, die für die Belüftung Reutlingens elementar sind, gehen durch das Arbachtal und das Echaztal. Sie seien bereits beeinträchtigt; durch die Fortschreibung des Flächennutzungsplans könnte sich die Situation für das Stadtgebiet nach Ansicht des Planers verschlimmern. »Zur Belüftung der Innenstadt sollten große Schneisen freigehalten werden«, sagt Scheu.

Das Mikroklima kann sich innerhalb weniger Meter deutlich ändern. Auffallend seien die hohen Temperaturunterschiede im Stadtgebiet. Zum selben Zeitpunkt wurden in der Innenstadt 20 Grad, am Stadtrand aber nur zwölf Grad gemessen. (ele)