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»Joblinge« bereiten benachteiligte junge Menschen in der Region auf eine Ausbildung vor

Die »Joblinge« geben benachteiligten jungen Menschen in Reutlingen und der Region Starthilfe auf dem Arbeitsmarkt. 70 Prozent finden eine Stelle.

Sie treiben die bundesweite Initiative »Joblinge« voran: Duygu Utku (rechts) im Online-Gespräch mit Philipp Dreizler.  FOTO: LE
Sie treiben die bundesweite Initiative »Joblinge« voran: Duygu Utku (rechts) im Online-Gespräch mit Philipp Dreizler. FOTO: LEISTER
Sie treiben die bundesweite Initiative »Joblinge« voran: Duygu Utku (rechts) im Online-Gespräch mit Philipp Dreizler. FOTO: LEISTER

REUTLINGEN. »Wir haben es hier nicht mit den einfachsten Jugendlichen zu tun«, sagt Philipp Dreizler von der Initiative »Joblinge«, die seit April 2019 in Reutlingen vertreten ist. Bundesweit gibt es die Organisation seit mehr als zehn Jahren. »2007 hat das bayerische Kultusministerium die Frage gestellt, was man für benachteiligte Jugendliche tun kann«, erläutert die Stuttgarter »Joblinge«-Regionalleiterin Duygu Utku die Anfänge. Die Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group und die BMW-Stiftung hätten ein Konzept entwickelt und im Bayerischen Wald einen Versuch gestartet. »Dieses Pilotprojekt war so erfolgreich, dass es danach in München eingeführt wurde«, so Utku. Wie eine Lawine hätten sich die »Joblinge« über ganz Deutschland ausgebreitet.

Wille muss da sein

Junge Menschen, »die wegen diverser Schwierigkeiten keine Ausbildungsstelle finden, kommen zumeist über das Jobcenter oder die Agentur für Arbeit zu uns«, so Philipp Dreizler, der zusammen mit seiner Kollegin in Reutlingen für die pädagogische Arbeit mit den Jugendlichen zuständig ist. Die Teilnahme am sechsmonatigen Vorbereitungskurs in Vollzeit ist kostenlos. »Die Voraussetzung ist allerdings, dass sie eine Ausbildung machen wollen«, so Dreizler. Weitere zwei Mitarbeiter kümmern sich um die Unternehmenskoordination.

Allerdings ist die Arbeit mit den jungen Menschen nicht immer ganz einfach. Sie haben mitunter starke sprachliche Defizite wie manche Geflüchtete. Manche haben Probleme mit der Familie, mit Schulden, mit Drogen oder auch mit sich selbst. Auch Schulabbrecher kommen zu den »Joblingen«. Zunächst wird den jungen Menschen in dem sechsmonatigen Kurs das deutsche Ausbildungssystem vorgestellt und die enorm breite Fülle an Berufen. Es folgt eine Orientierungsphase, in der die Jugendlichen herausfinden sollen, welcher Beruf für sie passen könnte.

Sprachliche Qualifizierung ist Teil des Gesamtprogramms ebenso wie Bewerbungstraining. Die Teilnehmer können berufliche Kompetenzen ausloten, sich in verschiedenen Bereichen ausprobieren, in naturwissenschaftlichen Fächern etwa, in handwerklichen oder anderen Sparten. Auch einwöchige Theater-, Sport-, Foto- oder Filmprojekte – mit anschließender Präsentation – sind drin.

Dann beginnt eine dreimonatige Praxisphase – wobei laut Utku die Nähe von »Joblinge« zu den Unternehmen in der Region von großem Vorteil ist. Und genau das ist auch ein zentraler Punkt in dem Gesamtkonzept: die Kooperation mit Jobcenter und Arbeitsagentur wie auch mit den Unternehmen und Betrieben aus allen nur erdenklichen Bereichen. »Wir sind von allen in Reutlingen sehr gut aufgenommen worden«, betont die Regionalleiterin. Firmen (oder auch Landkreise, Kommunen, soziale Einrichtungen) können sich zudem in eine der insgesamt neun gemeinnützigen »Joblinge«-Aktiengesellschaften einbringen. »Sie kriegen keine finanzielle, dafür aber ideelle Dividende«, betont Duygu Utku.

Ein weiterer wesentlicher Punkt im Ausbildungs-Fitmach-Konzept ist das Mentoring. Ehrenamtliche Mentoren, also eine Art Jobpaten, werden auch in Reutlingen dringend gesucht. Sie sollen die jungen Menschen in den sechs Monaten der Kursphase begleiten, sie unterstützen, bei Fragen und Schwierigkeiten für sie da sein. Momentan können in der Region Reutlingen/Tübingen rund der Hälfte der angehenden Azubis solch ein Mentor oder eine Mentorin zur Seite gestellt werden.

Jobpaten gesucht

Selbst jetzt, ohne direkten Kontakt, seien Hilfe und Unterstützung für die jungen Menschen möglich, betont Dreizler. Digital können »Joblinge« und Mentoren zusammenkommen. Wer Interesse hat, sich als Jobpate für sechs Monate zur Verfügung zu stellen, kann sich bei den Reutlinger »Joblingen« melden. »Die Mentoren werden vorab auch geschult«, betont Utku.

Trotz Corona starteten im vergangenen Jahr drei Kurse mit jeweils 20 Teilnehmern. »Wir können dieses Jahr sogar auf 75 Teilnehmer aufstocken«, so Regionalleiterin Utku. Der Erfolg gibt der Initiative Recht: »70 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer finden durch uns eine Ausbildungsstelle«, berichtet Philipp Dreizler.

Damit ist die Arbeit der »Joblinge« aber nicht vorbei: Während der Ausbildung sind die Mitarbeiter weiter für die jungen Menschen da. Die Finanzierung ihrer Kurse erfolgt über Jobcenter und Arbeitsagentur, aber nur zum Teil: »Durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen und deren Spenden sind auch Stipendien möglich«, erläutert Dreizler.

Rund 60 Prozent der »Joblinge«-Kosten werden durch die öffentliche Hand finanziert, 40 Prozent über Spenden. »Wir sind stolz auf unsere Arbeit und unsere Vermittlungsquote«, sagt Duygu Utku. (nol)