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Ist die Reutlinger Dietwegtrasse Geschichte?

Zentrales Ergebnis des Verkehrsgutachtens zur Wirkung der Bundesstraße: Wenig Verkehrsentlastung der Reutlinger Innenstadt.

Der Übersichtslageplan aus dem Bundesverkehrswegeplan: Die rote Linie zeigt grob den bisher geplanten Verlauf der neuen Trasse.
Der Übersichtslageplan aus dem Bundesverkehrswegeplan: Die rote Linie zeigt grob den bisher geplanten Verlauf der neuen Trasse. Foto: Grafik: rp
Der Übersichtslageplan aus dem Bundesverkehrswegeplan: Die rote Linie zeigt grob den bisher geplanten Verlauf der neuen Trasse.
Foto: Grafik: rp

REUTLINGEN. Ist die viel umstrittene Dietwegtrasse passé? Die Zahlen eines offiziell noch unveröffentlichten Gutachtens legen nahe, dass die Ortsumgehung Reutlingen (B 464) am Nordportal des Scheibengipfeltunnels wenig Sinn machen würde, weil sie kaum Entlastung für die Innenstadt bringt.

Seit Jahren warten Gegner wie Befürworter auf die Ergebnisse der Verkehrsuntersuchung, für das das Tübinger Regierungspräsidium bereits im März 2020 großräumig Fahrzeuge zählen ließ. Das Gutachten von PTV Transport Consult und Messtechnik Mehl ist seit Oktober vergangenen Jahres fertig, die Ergebnisse sind aber nicht publik gemacht. Auf dem Internetportal "fragdenstaat.de" sind die 54 Seiten jedoch einsehbar.

»Das Projekt hat nicht mehr die Priorität. Wir nehmen Ressourcen raus«

Die Ergebnisse sind Wasser auf die Mühlen der Gegner der Weiterführung der Bundesstraße: Mit Hilfe von Kennzeichenerfassungen wurde ermittelt, dass etwa 75 Prozent der Verkehre im Untersuchungsgebiet »kleinräumigeren Quell-/Ziel- und Binnenverkehren« zuzuordnen sind. Sprich: Der meiste Reutlinger Verkehr bewegt sich innerhalb des Stadtgebiets.

Zehn Prozent weniger Verkehr im Schnitt: Zentrale Achsen (Rommelsbacher-, Eberhard-, Gutenberg-, Leder- und Konrad-Adenauer-Straße sowie die B 28 im Bereich der Silberburgstraße) durch die Innenstadt in Richtung der bestehenden B 464 werden laut Gutachten zwar entlastet, allerdings im Vergleich zu den verbleibenden Verkehrsmengen nur »in überschaubarem Ausmaß«.

Zugleich sei das Verlagerungspotenzial des großräumigen Verkehrs auf der Achse Stuttgart-Reutlingen-Pfullingen auf die Ortsumgehung mit einem Anteil von 4 bis 8 Prozent als »verhältnismäßig gering« einzustufen. Gleich gar kein Verlagerungspotenzial biete der Durchgangsverkehr auf der Ost-West-Achse Tübingen-Reutlingen-Metzingen.

Was bedeutet das Gutachten für die Zukunft des Großprojekts, für das schon 2016 um die 50 Millionen Euro (ohne Planungskosten) angesetzt wurden? Im zuständigen Tübinger Regierungspräsidium machen Rainer Hölz, der Leiter der Abteilung Mobilität, Verkehr und Straßen, und Projektleiter Harald Böttiger deutlich, dass die Ortsumgehung Reutlingen im Bundesverkehrswegeplan Gesetz ist. »Ihre Umsetzung ist ein gesetzlicher Auftrag. Wir können uns nicht davon frei machen.«

»Die Umsetzung der Trasse ist ein gesetzlicher Auftrag. Wir können uns nicht davon frei machen «

Aber: »Die Ergebnisse sind für uns erkenntnisreich«, sagt Hölz. Und die Erkenntnis hat Folgen. Das Projekt habe nicht mehr die Priorität. »Wir nehmen Ressourcen raus.« Mit Blick auf das Aufgaben-Portfolio des Regierungspräsidiums seien andere Themen vordringlicher, etwa Brückenerhaltung oder Radwegebau.

Grün und freies Feld: Der Dietweg wird bislang von vielen als Naherholungsgebiet genutzt.
Grün und freies Feld: Der Dietweg wird bislang von vielen als Naherholungsgebiet genutzt. Foto: Foto: Pieth
Grün und freies Feld: Der Dietweg wird bislang von vielen als Naherholungsgebiet genutzt.
Foto: Foto: Pieth

Dies werde »bis auf Weiteres« so bleiben, bis man wieder Ressourcen habe – oder die Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplans andere Prioritäten setze. Im Hinblick auf den laufenden Plan gebe es zudem »Überprüfungsprozesse«, die die Bedarfsplanung (sie reicht bis ins Jahr 2030) evaluieren. Das Projekt befindet sich im Stadium der Vorplanung. Es existiert bisher lediglich eine Umsetzungsplanung für die neue Trasse.

Die zentrale Aussage des Gutachtens für Hölz ist, dass die Entlastung für die Kernstadt verhältnismäßig gering ausfällt. Die neue Bundesstraße würde damit ihre Funktion als Umgehung nicht erfüllen. Das Ergebnis bestätigt alte Gutachten (siehe Kommentar). »Ich habe schon Ortsumgehungen mit 80 Prozent Entlastungswirkung geplant«, berichtet Projektleiter Böttiger.

Auch bei Sturm und Wind: Seit Anbeginn der Debatte protestierten Bürger gegen die geplante neue Bundesstraße.
Auch bei Sturm und Wind: Seit Anbeginn der Debatte protestierten Bürger gegen die geplante neue Bundesstraße. Foto: Archivfoto: Leipold
Auch bei Sturm und Wind: Seit Anbeginn der Debatte protestierten Bürger gegen die geplante neue Bundesstraße.
Foto: Archivfoto: Leipold

Genutzt würde die Trasse vor allem durch Nordraumbewohner, so eine weitere Prognose des Gutachtens. Verkehre aus Sondelfingen oder Orschel-Hagen würden sich dorthin verlagern. Einige Straßen wie die Reichenbacher, Ermstal- oder Nürnbergerstraße würden teils markant entlastet.

Ins Gewicht fällt auch die Einschätzung der Gutachter zur allgemeinen Verkehrsentwicklung in der Stadt bis ins Jahr 2035, die weiterreichende Parameter miteinbezieht – von der Regionalstadtbahn bis hin zur Bevölkerungsentwicklung. Danach wird keine große Mehrbelastung durch Autoverkehr in der Stadt erwartet. Dass die Ergebnisse nun den Weg in die Öffentlichkeit finden, ist einem Nordraumbewohner zu verdanken, der sich von der Trasse Verkehrsberuhigung erhofft. Er hatte unter anderem über die Internetplattform "fragdenstaat.de" und auf dem Klageweg die Herausgabe des Gutachtens vom Regierungspräsidium zu erwirken versucht.

Dort heißt es, dass das Untersuchungsergebnis auch in Tübingen erst Anfang Oktober 2023 vorgelegen habe. Erst dann habe man es dem Antragsteller zur Verfügung stellen können.

Die Stellungnahme der Reutlinger Stadtverwaltung fällt dürftig aus. Bis dato habe das Gutachten im Rahaus nicht vorgelegen, heißt es. Auf Nachfrage habe man es nun vom Regierungspräsidium offiziell übermittelt bekommen. Man werde es analysieren und dann in Gespräche mit dem Regierungspräsidium gehen, um Konsequenzen daraus ableiten zu können.

Auch die Bürgerinitiative »Keine Dietwegtrasse«, die das Projekt über Jahre engagiert bekämpft hatte, mochte sich auf Nachfrage nicht äußern. (GEA)