REUTLINGEN. »Einfach vernünftig sein: In geschlossenen Räumen weiter FFP2-Maske tragen«, sagt Professor Dr. Jörg Martin als Geschäftsführer der Kreiskliniken Reutlingen GmbH mit Blick auf eine gespaltene aktuelle Coronalage. Während sich einerseits bundesweit auslaufende Regelungen wie das Ende der Pandemie anfühlen, kann davon in den Kreiskliniken keine Rede sein.
Auf einer Pressekonferenz der RKH-Klinikholding, die auch die Reutlinger Krankenhäuser managt, werden am Donnerstag gleich mehrere Herausforderungen für das Gesundheitswesen deutlich. Zunächst spricht Geschäftsführer Martin von einem »historischen Tag mit bundesweit über 300.000 Neuinfektionen«. Vor diesem Hintergrund mag der Mediziner Öffnungsschritte kaum verstehen. Denn die Fakten sprechen eine andere Sprache, wie der Leiter des Corona-Krisenstabs, Dr. Stefan Weiß, deutlich macht.
Inzidenz steigt ungebremst
Die Inzidenzkurve beschreibt Weiß als »ungebremst steigend«. Zwar sei die Intensivbettenauslastung konstant, brauchen nur wenige meist Ungeimpfte die maximale medizinische Zuwendung, aber ansonsten ächzten die Kreiskliniken unter der Last der Omikron-Welle. Die Rede ist weiterhin von einem »stetigen Anstieg der Patientenzahlen auf den Normalstationen«. Die konkreten Zahlen für das Klinikum am Steinenberg sehen dementsprechend aus. Bei einer Gesamtbettenkapazität von aktuell 51 Covid-Patienten sind auf drei Normalstationen 37 Betten belegt. Auf der Intensivstation mit ihren 18 Plätzen müssen dagegen aktuell nur drei Menschen mit Covid behandelt werden. Zehn weitere Patienten mit Covid werden an der Ermstalklinik Bad Urach versorgt.
Die Altersverteilung der Infektionen zeige, wie sich Omikron durch sämtliche Schichten der Gesellschaft verbreite. »Steigend über alle Altersgruppen. Jetzt rutscht es in die Ecke 60 Plus«, führt Weiß aus – mithin in eine Bevölkerungsgruppe mit einem immer noch beträchtlichen Anteil nicht komplett geimpfter Menschen. Dabei habe die Variante BA2 von Omikron mittlerweile klar ihren Vorgänger BA1 überholt. »Die Welle ist in den Kliniken angekommen«, betont der Leiter des Krisenstabes. Man brauche immer mehr Betten für die Isolation infizierter Patienten, die selbst ohne schwere Verläufe dann auch einen »erheblich höheren Aufwand« bedeuteten. So müsse das medizinische Personal beispielsweise Schutzbekleidung tragen, um sich selbst vor einer Anstreckung zu schützen.
Eine weiter zunehmende Belastung für den Klinikbetrieb sind infizierte Mitarbeiter. Aktuell seien an den Reutlinger Kreiskliniken 110 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Quarantäne, was eine erhebliche Steigerung im Vergleich zur Lage vor zwei Wochen bedeutet, als es nur 89 gewesen sind. Das dringend benötigte und ohnehin schon knappe Personal falle mit der aggressiveren Omikron-Variante jeweils mindestens zehn bis 14 Tage aus, weil die hohe Viruslast eine frühere Freitestung unmöglich macht. Nichts geändert hat sich an den sonstigen Auswirkungen einer Infektion. Die Omikron-Varianten ist zwar erheblich ansteckender, aber weniger aggressiv, was die Krankheitsverläufe betrifft.
Ungeimpfte Mitarbeiter gemeldet
Die Auswirkungen der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sind noch undeutlich. »Die entsprechenden Mitarbeiter wurden gemeldet, das geht jetzt seinen Gang«, beschreibt Weiß das laufende Verfahren. Insgesamt warnt vor allem Geschäftsführer Jörg Martin, das Virus nicht mehr ernst zu nehmen. »Wir werden im Herbst eine vierte Welle bekommen«, ist sich Martin sicher. Schon heute seien die Patientenzahlen höher, als in allen anderen Wellen zuvor – wenigstens aber nicht mehr auf den Intensivstationen. Von der Politik wünscht sich der Klinikmanager wiederholt »einmal grundsätzlich über die Finanzierung des Gesundheitswesens nachzudenken«. Denn auch hier habe Corona erhebliche Folgen. (GEA)