REUTLINGEN. Wer tut sowas? Seit Monaten verschwinden vom Hof der Wiedemanns immer wieder Hähne und Hühner. Der Fuchs war’s in diesen Fällen bestimmt nicht, denn ein Elektrozaun schützt das Federvieh. Auf dem Anwesen im Grünen in Sichtweite des Wohngebiets Schafstall machen sich Ratlosigkeit und Kopfschütteln breit.
Die rätselhafte Diebstahlsserie beginnt im vergangenen Jahr mit einem prächtigen Hahn der Rasse New Hampshire. »Eines Tages war Henry weg«, erzählt Wolfgang Wiedemann, Seniorchef des gleichnamigen Bau- und Gartenservice, den er 2008 am Ortsrand gegründet hat. In jüngster Zeit ist bei den Wiedemanns neben dem Betriebsgelände mit einigen Schuppen und Sandbergen auch eine tierische Idylle gewachsen. Die Familie sowie Ramona Frey als Partnerin von Junior Felix Wiedemann sind ein Herz und eine Seele mit allerlei Federvieh und mehr. Bekannt geworden sind sie vor allem durch die beiden als Frischlinge gefundenen und dann aufgezogenen Wildschweine Lotte und Tilda. Fast alle Tiere haben hier einen Namen, sind mit ihren Charaktereigenschaften bekannt – und fühlen sich sichtlich wohl. Der plötzliche Verlust von Hahn Henry und einer Henne wird deswegen sofort bemerkt. »Das war dann schon komisch«, meint Wolfgang Wiedemann. Kein Gockel verschwindet einfach so, verlässt seine Hühnerschar. Einige Tage später sieht Ramona Frey auf den Internetseiten des Tierheims Tübingen das Bild eines wunderschönen Hühnermannes mit den Worten: »Wem gehört dieser Hahn«. Wie sich herausstellt, ist es Henry. Monatelang ist Ruhe, dann schlägt der unbekannte Tierdieb erneut zu.
»Eines Morgens haben zwei Hähne gefehlt«
»Eines Morgens haben zwei Hähne gefehlt«, erinnert sich Wiedemann auf einer Bank sitzend, während vor seinen Füßen kleine Kaninchen neugierig herumhoppeln und Gänserich Ludwig mal vorbeischaut. Einer der fehlenden Geschöpfe ist wieder Henry. »Das waren wunderschöne Tiere, die haben etwas dargestellt«, sagt der Senior mit Bedauern, denn diesmal bleibt das Federvieh verschollen. Einige Wochen gibt’s keine weiteren unerklärlichen Verluste. In der Zwischenzeit erhöhen die Hofbetreiber die Sicherheit des Federviehs. Weniger wegen den Dieben, sondern hauptsächlich der hungrigen Füchse wegen. Nachdem Meister Reineke und seinesgleichen mehrfach bei den Wiedemanns frische Hühner verspeist haben, wird ein hoher Elektrozaun inklusive Metalltor installiert. Im Februar diesen Jahren gibt’s eine weitere Folge aus der Serie »Verschwundenes Federvieh«.

Zwei Hähne und eine Henne fehlen in der Tiergemeinschaft. Ihr Schicksal klärt sich in tragischer Form auf. Jäger erlegen die Tiere im Wald bei Wannweil. Aber damit wird auch deutlich, dass dieser Hühnerdieb sich immerhin die Mühe macht, und seine Beute weit entfernt von ihrer Heimat aussetzt. Was die Vorfälle nur noch mysteriöser erscheinen lässt. Weiter geht’s nach kurzer Zeit mit dem plötzlichen Verschwinden eines grauen Hahnes und einer weiteren Henne. Doch dieses Federvieh wird von den mittlerweile um die Hintergründe wissenden Jägern zwischen Wannweil und Kusterdingen im Forst gesichtet. Zweimal fahren die Wiedemanns hin, bis sich schließlich wenigstens der Gockel einfangen lässt. »Eine Woche hat er sich im Wald aufgehalten. Überlebt wahrscheinlich deshalb, weil er auf Bäumen geschlafen hat«, berichtet Wolfgang Wiedemann. Aktuell ist schon wieder ein Hahn verschwunden, wobei der Kreis der Tatverdächtigen klein sei.
Füchse könnten als Missetäter ausgeschlossen werden, denn sie schleppen zwar ihre Beute zum Festmahl auch in Richtung ihrer Behausung, aber der Kampf würde sichtbare Spuren hinterlassen. Also bleiben logischerweise nur menschliche Hühnerdiebe übrig. Wolfgang Wiedemann hat eine Vermutung – ohne irgendwen konkret verdächtigen zu wollen. »Anwohner fühlen sich durch die Tiere gestört«, sagt der Seniorchef. Wieso das denn?
»Anwohner fühlen sich durch die Tiere gestört«
Weil die Gockel der Wiedemanns das tun, was ihre Natur ist: Lauthals krähen. Dazu noch eine fröhlich gackernde Hühnerschar – und fertig sei der Frust bei manchen Nachbarn aus dem Wohngebiet. Der Hof selbst stehe jedoch baurechtlich glasklar in der freien Natur, eben nicht in einem Wohngebiet mit entsprechenden Einschränkungen. »Wir dürfen Tiere halten. Es gibt auch keine Rechtsvorschrift, nach der Hähne nicht krähen dürfen«, sagt Wiedemann. Anzeige gegen Unbekannt hat er bislang keine gestellt. Noch nicht. (GEA)