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Gute Laune in der Laube: Tausende strömen zum Reutlinger Weindorf

Nach zweijähriger Zwangspause strömen schon in den ersten Tagen Tausende zum Reutlinger Weindorf. Die Durststrecke hat ein Ende, in den Lauben und an den Tischen der Außengastronomie ist die Stimmung bestens. Die Preiserhöhungen, die die Weindorfwirte gestiegener Fixkosten wegen angekündigt hatten, sind offensichtlich nur vereinzelt Thema. Dass das Weindorf am Sonntag und Montag Pause macht, kommt bei den Wirten und ihrem Personal gut an

Der Eindruck trügt nicht: Nach zweijähriger, coronabedingter Pause freuen sich die Gäste über die 35. Auflage des Reutlinger Wei
Der Eindruck trügt nicht: Nach zweijähriger, coronabedingter Pause freuen sich die Gäste über die 35. Auflage des Reutlinger Weindorfes. FOTOS: PIETH
Der Eindruck trügt nicht: Nach zweijähriger, coronabedingter Pause freuen sich die Gäste über die 35. Auflage des Reutlinger Weindorfes. FOTOS: PIETH

REUTLINGEN. Die Weindorfwirte sollten ihm ein Denkmal setzen. 34 Mal ging der Reutlinger Herbst im Schatten der Marienkirche bislang über die Bühne. Und Lothar hat noch keinen Tag verpasst. Das soll auch bei der 35. Auflage, die heute vor einer Woche nach zweijähriger Coronapause eröffnet wurde, so bleiben. »Ich freue mich jedes Jahr schon im Mai auf den Reutlinger Herbst«, sagt der Pensionär und nippt am Weißweinschorle. Als er noch berufstätig war, hat er einen Teil seines Urlaubs auf dem Weindorf verbracht. Seit etlichen Jahren ist der 67-Jährige im Ruhestand. Das macht’s entspannter auf dem Weg zum Ziel. »Ich möchte die 50 vollkriegen.« Dann ist er 82. »Mal gucken, ob’s reicht.«

Als er am späten Dienstagnachmittag aufs Weindorf kommt, sind andere schon Stunden im Einsatz. Christine Gumpper von der Laube des Forellenhofs Rössle in Honau hat ihre zwei Dutzend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen längst eingeschworen auf einen weiteren Arbeitstag, der erst gegen Mitternacht enden wird. »Unser Team ist wie eine große Familie«, sagt die 26-Jährige, die im Stammhaus in Honau als Restaurantleiterin arbeitet. Auch auf dem Weindorf laufen bei ihr die Fäden zusammen. »Wir haben damit zu kämpfen, ausreichend Personal zu bekommen. Neue Mitarbeiter zu gewinnen, ist in der Gastronomie sehr schwierig«, sagt Christine Gumpper. Trotzdem ist es ihr gelungen, ein engagiertes Team zusammenzustellen, zu dem auch Jenny Chinnick zählt. Sie ist zum dritten Mal dabei.

Die Freude am Schaffen ist Leon (links) und Carl Sommer ins Gesicht geschrieben.
Die Freude am Schaffen ist Leon (links) und Carl Sommer ins Gesicht geschrieben. Foto: Frank Pieth
Die Freude am Schaffen ist Leon (links) und Carl Sommer ins Gesicht geschrieben.
Foto: Frank Pieth

Die 27-Jährige studiert Gesundheits- und Tourismusmanagement, ein Studiengang, der Betriebswirtschaftslehre, Tourismus und Gesundheitsförderung verbindet. Zurzeit schreibt sie an ihrer Bachelorarbeit. Auf dem Weindorf arbeitet sie im Service der Rössle-Laube, nimmt Bestellungen auf und bringt Essen und Getränke an die Tische. »Jeder hilft jedem. Das Team ist der Hammer«, sagt Jenny Chinnick und spart auch nicht am Lob für die Gäste. »Die Menschen sind freundlich. Das Arbeiten macht Spaß«, sagt sie mit einem Blick ins Zelt. Es ist kurz nach 15 Uhr, und in der Laube ist es deutlich ruhiger als drei Stunden zuvor. »Es war gemütlich voll«, sagt Jenny Chinnick wohl wissend, dass es am Abend weniger luftig zugehen wird.

60 Kilo Kartoffelsalat

Auch Matthias Henzler und Andreas Sachse von der Joli-Laube bereiten sich seit dem frühen Morgen auf den Ansturm vor. Steaks werden geschnitten und mariniert, Beilagensalate und Wurstsalat vorbereitet. Zwischen 50 und 60 Kilogramm Kartoffelsalat werden auch heute wieder gebraucht. »Da musst Du viele Kartoffeln schälen und viele Zwiebeln schneiden«, sagt Andreas Sachse. Der 53-Jährige hat 2002 erstmals auf dem Weindorf gearbeitet. Heute steht er nicht mehr an vorderster Front, sondern sorgt in der ehemaligen Küche des Ratskellers, wo auch für das Alexandre gekocht wird, für den Nachschub für die Joli-Laube. »Es gibt bei uns keine Päcklessoßen. Wir setzen Fonds an«, sagt Andreas Sachse, der den Job vor Ort vermisst. »Mir fehlt das. Für mich als Kellerkind ist es immer schön, wenn man rauskommt. Aber so langsam muss man den Jungen das Feld überlassen.«

Lukas (links) und Leandro Lederle am Weindorfbrunnen.
Lukas (links) und Leandro Lederle am Weindorfbrunnen. Foto: Frank Pieth
Lukas (links) und Leandro Lederle am Weindorfbrunnen.
Foto: Frank Pieth

Neben Matthias Henzler sind es heute Philipp Schott und Oliver Buchholz, die in der Joli-Laube am Herd stehen. »Wir sind Top aufgestellt«, sagt Matthias Henzler. Der 37-Jährige arbeitet seit 2005 als Koch und ist seit 2017 auf dem Weindorf. Aber auch er stellt wie Andreas Sachse, der seit 1986 am Herd seinen Mann steht, einen Wandel fest. »Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr kritisiert wird. Dazu hat auch das Internet beigetragen. Da kannst du meckern, ohne dein Gesicht zeigen zu müssen«, sagt Andreas Sachse. »Es wird einem einfach gemacht, über die Gastronomie herzuziehen.« Kritik, sagen die beiden, muss und darf sein. »Aber sie muss konstruktiv sein. Nur dann können wir besser werden«, sagt Andreas Sachse.

Weindorf im Schatten der Marienkirche.
Weindorf im Schatten der Marienkirche. Foto: Frank Pieth
Weindorf im Schatten der Marienkirche.
Foto: Frank Pieth

Zufrieden mit dem Auftakt

Ein paar Meter ums Eck, gegenüber dem Naturkundemuseum, stehen Daniel und Elke Seywald. Sie feiern als Weindorfwirte Premiere, nachdem Heiner Engelhardt sein Lauba-Mäxle aufgegeben hat. »Die ersten Tage waren anstrengend, aber schön«, sagt Daniel Seywald, der mit seiner Frau die Gutsgaststätte Alteburg betreibt. Mit dem Auftakt am Donnerstag waren sie zufrieden. Gerhard Klose vom Stausee-Hotel Glems, der zusammen mit Dieter Wetzel vom Metzinger Schwanen die Ermstallaube betreibt, sprach gar »vom besten Auftakt in 35 Jahren« – eine Einschätzung, die nicht jeder Weindorfwirt teilt. Zufrieden waren sie aber alle. »Auf dem Weindorf zu arbeiten, ist anders als oben in unserer Gaststätte«, sagt Elke Seywald. Auf der Alteburg sind Abläufe und Handgriffe automatisiert. Das muss sich auf dem Weindorf noch einspielen.

Foto: Frank Pieth
Foto: Frank Pieth

Drei Mitarbeiter stehen in der Küche, im Service sind es acht oder neun. »Wir sind gut besetzt. Unsere Personalsuche war erfolgreich«, sagt Daniel Seywald. Dass die Alteburg während des Weindorfs geschlossen ist, erleichtert ihnen den Einstieg in den Reutlinger Herbst. »Die Urlaubsplanung haben wir schon im vergangenen Jahr gemacht. Da war das Weindorf für uns noch kein Thema. Jetzt verbringen wir unseren Urlaub eben hier«, sagt Daniel Seywald – ein Urlaub, der auch an diesem Dienstagabend arbeitsreich wird. Wer einen Platz in einer Laube gefunden hat, bleibe lange dort sitzen, sagt Elke Seywald. In der Außengastronomie herrsche dagegen vom frühen Abend bis spät in die Nacht ein Kommen und Gehen.

Hohe Fixkosten

Es ist 19 Uhr. Die Gäste strömen in die Lauben, wo auf vielen Tischen Reserviert-Schilder stehen. Dass die Weindorfwirte ihre Preise wegen gestiegener Energie- und Personalkosten und wegen deutlich teurer gewordener Lebensmittel erhöhen mussten, hält offensichtlich kaum jemanden vom Weindorfbesuch ab. »Der Aufwand, den die Gastronomen betreiben, ist enorm«, sagt Karl-Heinz Pfitzer. Der gelernte Koch, der lange Jahre selbst als Gastronom und später als Verkaufsmetzger gearbeitet hat, weiß von den Fixkosten, die die Weindorfwirte zu stemmen haben. »Die Preise sind akzeptabel.«

Auch Lothar, der Weindorf-Dauergast, hält die Preise für angemessen, obwohl das Schorle auf dem Nürtinger Weindorf etwas günstiger sei. »Die Gäste haben die Preiserhöhungen im Großen und Ganzen akzeptiert. Uns blieb auch gar nichts anderes übrig. Aber wir haben immer noch ein ganz gutes Preis-Leistungs-Verhältnis«, sagt Christine Gumpper. Fisch steht beim Rössle auf der Speisekarte ganz oben. Andere bieten Rostbraten für 25,90 Euro an, die Haxe für 16,50 Euro, Kutteln für 11,90 Euro, Wurstsalat für 9,80 Euro, Schweinebäckle für 19,50 Euro, Schupfnudeln mit   Kraut und Speck für 6 Euro – Preise, die die Gäste anscheinend ebenso akzeptieren wie die Flasche Wein für knapp unter 30 Euro aufwärts. Kritisiert wird aber der Preis für die Flasche Mineralwasser. 6,50 Euro für 0,75 Liter Sprudel stößt vielen sauer auf.

Zwei Tage Pause

Es ist kurz vor 23 Uhr, als die ersten Wirte die Außengastronomie wegräumen. Und immer noch sitzen viele in einer der zwölf Lauben. Die zweite Weindorfwoche hat erst begonnen. Noch vier Tage, dann dürfen sich die Wirte und ihre Teams erholen. Dass Sonntag und Montag das Weindorf Pause macht, sei eine gute Lösung, sagt Andreas Sachse vom Joli. »Früher hast du elf Tage durchgeballert. Jetzt kann man mal durchschnaufen und Kraft tanken.« »Das Personal braucht die freien Tage. Anders wäre es nicht möglich, und ich hätte der Arbeitszeiten wegen ein zweites Team benötigt«, sagt Christine Gumpper. Dass nicht jeder ihrer Gäste die zweitägige Pause schätzt, weiß die Gastronomin. Zu groß ist die Freude darüber, dass nach zwei Jahren Pause die Durststrecke ein Ende hat. (GEA)