REUTLINGEN-MITTELSTADT. Wirklich wichtig sind im Leben oft vermeintliche Kleinigkeiten – das wissen besonders Mütter und Väter von Kindern. So haben beim GEA-Lokaltermin vor dem Rathaus vor allem die Zukunft der Grundschule sowie der Zustand des Kindergartens Wieslenbach die Gespräche mit der Lokalredaktion geprägt. Da fehle es ganz gewaltig vor allem an Geld im Haushalt der Stadt Reutlingen. Viele Mittelstädter beklagen, dass der Gemeinde zu wenig Mittel von der Großstadt zur Verfügung gestellt werden.
Kindergarten und Schule
»In der Grundschule sind 148 Kinder. Ohne Ankündigung wurde einfach der Spielplatz gesperrt. Eine Sicherheitsmaßnahme finde ich ja gut – aber ohne Ankündigung«, sagt Sandra Zimmermann (42) als Mutter von zwei Kindern. Die Mittelstädterin hat durchaus Verständnis für die Konsequenzen leerer Stadtkassen, sieht aber konstruktive Lösungswege. »Wir haben viele Ideen, aber von der Stadt Reutlingen kommt nicht viel«, bedauert sie. Zimmermann sorgt sich auch um die mittelfristige Zukunft der Grundschule, womit sie sich in Gesellschaft vieler Eltern befindet.
»Was passiert, wenn die Mensa nicht gebaut wird, aber der Anspruch auf Ganztagesbetreuung kommt«, fragt Sandra Zimmermann. Bedeute das dann das Aus für die Grundschule? Ziemlich traurig ob der insgesamt dramatischen Haushaltslage ist Bianca Bazlen als Elternbeiratsvorsitzende der Grundschule. Neulich sei sie bei einem Treffen im Reutlinger Rathaus gewesen, bei dem sie in den finanziellen Abgrund blicken konnte. »Für das Thema Schulen fehlt in ganz Reutlingen Geld«, stellt Bazlen entsetzt fest. Umso wichtiger sei es, dass die Stadtverwaltung auf lokale Initiativen reagiert. Gemeint ist die Idee vieler, den Spielplatz »in Eigeninitiative zu bauen. So wie damals das Projekt am Wieslenbach. Da wurden die Geräte angeliefert und von Eltern sowie ortsansässigen Firmen montiert. Die Stadt hat’s dann am Ende abgenommen«, erzählt Bazlen. Insgesamt hofft sie auf Besserung, »denn die Situation ist schlimm, aber man braucht eine Perspektive. Kinder sind doch unsere Zukunft«.
Das Thema Zustände in Einrichtungen für die kleinen Menschen beschäftigt auch Nicole Schell: »Die Möbel und Toiletten im Kindergarten Wieslenbach sind noch von damals, als ich dort gewesen bin«, sagt die 35-Jährige, »man könnte auch mal etwas Neues her tun«. Wofür eben erneut Mittel aus dem Stadtetat gebraucht werden, die es aktuell nicht gibt. Bezirksgemeinderätin Eva Müllerschön sieht das große Ganze mit Enttäuschung. »Wir haben ein Problem mit der Stadt und den Ämtern. Wir kriegen teilweise keine Resonanz«, so Müllerschön.
Die Infrastruktur
»Ich will ja nicht meckern, aber bei der Infrastruktur dürfte es etwas mehr sein«, meint Alexandra Oswald. Damit hofft sie, dass in Mittelstadt »bald wieder ein Metzger« zu finden ist. Ansonsten wünscht sich die Vorsitzende des Miki Fördervereins, »eine ruhigere Ortsmittel«. »Uns fehlt eine ordentliche Dorflokalität«, sagt Frank Schels (75), »und auch einen Metzger haben wir schon lange nicht mehr. Das ist schade.« »Es ist traurig, dass es in Mittelstadt immer weniger soziales Umfeld gibt«, sagt Marliese Thumm. Was sie damit meinte? »Früher gab es hier drei Bäcker und drei Metzger – und heute«, sagt die bald 70-Jährige frustriert, sei ein einziger Bäcker geblieben.
Verkehr und Busverbindungen
Die Busverbindung sei völlig in Ordnung, findet Sandra Zimmermann. »Da können wir uns nicht beklagen.« Ihre große Tochter fahre per Bus zur Schule nach Metzingen, das funktioniere gut. Und auch wenn sie selbst mal einen Ausflug nach Reutlingen plane – beispielsweise auf den Weihnachtsmarkt – komme man gut hin und auch wieder zurück. So positiv sieht das nicht jeder. Riederich, Neckartenzlingen und Pliezhausen: In vielen direkten Nachbargemeinden Mittelstadts gibt es große Supermärkte. Leider sind diese – besonders für ältere Menschen – nicht per Bus erreichbar. »Meine Nachbarn, die sind über 70, fahren deshalb mit dem Bus immer nach Reutlingen zum Einkaufen«, berichtet Bezirksgemeinderat Thomas Kertschek. Ein (Anbindungs-)Problem, das man seiner Meinung nach angehen müsste. Willy Knecht, 72, fragt sich verwundert, weshalb die (Dauer-)Baustelle Kreisstraße Mittelstadt/Bempflingen »immer noch nicht fertig ist«. Dort laufen seit mehreren Monaten umfangreiche Straßenarbeiten: Die Straße wird erneuert, zudem wurden Arbeiten am Kanalsystem getätigt, es wird ein neuer Radweg gebaut und die Straßenbeleuchtung wird erneuert. Im September betonte das Landratsamt gegenüber dem GEA, dass die Arbeiten noch bis Ende November laufen sollen. Knecht findet: An der Kreisstraße nach Neckartenzlingen werde zügiger gearbeitet.
Beim Blick auf die Tempolimits auf der Durchgangstraße kann Bezirksgemeinderat Thomas Kertschek nur den Kopf schütteln. 30, 40, 50, 70 – wie soll da noch jemand durchblicken? »Mir wäre lieber, wenn das einheitlich wird, von mir aus auch Tempo 30«, sagt er. Und – auch dieses Thema beschäftigt die Mittelstädter schon lange – »wenn wir so vielleicht noch mehr Lkws aus Mittelstadt rausbekommen«.
Das Dorfleben
»Ja, wir Mittelstädter fühlen uns schon ein bisschen am Rand von Reutlingen«, sagt Willy Knecht. Er überlegt kurz: »Aber vielleicht ist Mittelstadt daran auch ein Stück weit selbst schuld.« Früher habe es deutlich mehr Vereine im Dorf gegeben, sagt Knecht – um gleich anzufügen, dass der Rückgang in der Vereinslandschaft aber auch kein spezielles Phänomen in Mittelstadt ist. »Aber der Zusammenhalt im Dorf, der ist okay.«
»Wir hatten schon immer das Gefühl, dass wir der äußerste Zipfel Reutlingens sind«, sagt Thomas Kertschek. Was die Lage für die Mittelstädter nicht besser macht: Im Gegensatz zu den meisten anderen Bezirksgemeinden haben sie keinen Vertreter im Gemeinderat der Stadt. Deshalb komme manchmal das Gefühl auf, dass man – im Gegensatz zu den anderen Gemeinden – noch schlechter wegkomme, was die Verteilung von Geldern und die Priorisierung von Projekten angehe. »Als Bezirksgemeinderat hört man so viele Wünsche aus dem Ort – aber man weiß, dass man nur so wenig erreichen kann«, sagt Kertschek. Das sei zuweilen tief frustrierend. Er erinnert sich fast ein wenig wehmütig an ein Wahlkampfversprechen des unterlegenen OB-Kandidaten Christian Schneider (CDU) aus dem Jahr 2019. »Schneider hätte den Bezirksgemeinden mehr Budget zugeteilt, und zwar nicht nur nach der Bevölkerung, sondern auch nach der Wirtschaftlichkeit.« Hier hätte Mittelstadt endlich mal profitiert.
Trotz reichlich Kritik ziehen jedoch manche wie Dieter Knecht schlussendlich doch ein positives Fazit: »Mittelstadt ist meine Heimat, ich bin hier sehr zufrieden.«(GEA)