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Fussball-Muffel erzählen: Darum ist uns die WM egal

Foto: dpa
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Ganz Deutschland fiebert zurzeit bei der Weltmeisterschaft mit. Ganz Deutschland? Nein. Eine nicht unbeträchtliche Schar von Fußballmuffeln hört nicht auf, sich dem Kick-Wahnsinn zu verweigern und die Zeit mit anderen Dingen zu verbringen, als hoffnungslos überbezahlten Sportlern bei der Arbeit zuzuschauen. Der ganze Rummel rund um die WM geht so manchem auf den Wecker – und das nicht erst seit der Auftaktniederlage der deutschen Mannschaft.

Sabine Hunzinger aus Bad Urach: »Mich fasziniert dieser Zirkus nicht«

Klar hat Sabine Hunzinger in ihrem Laden gerade eine Fußball-Ecke eingerichtet. »Ich bin schließlich Geschäftsfrau«, sagt die Chefin der Buchhandlung am Markt. Aber privat: Die Buchhändlerin schüttelt den Kopf. 90 Minuten, 22 Männer und 1 Ball: Langweilig, findet Sabine Hunzinger. »Das dauert mir zu lange, ich kenne nicht mal die Regeln«, sagt sie, »klar schnalle ich den Elfmeter noch, aber dann ...« Sie winkt ab. »Mich fasziniert dieser ganze Zirkus einfach nicht.«

Sabine Hunzinger kennt zwar die Regeln nicht,  dafür aber spannende Bücher  über Fußball.  FOTO: FINK
Sabine Hunzinger kennt zwar die Regeln nicht, dafür aber spannende Bücher über Fußball. FOTO: FINK
Sabine Hunzinger kennt zwar die Regeln nicht, dafür aber spannende Bücher über Fußball. FOTO: FINK

Und dann auch noch der Austragungsort Putin-Russland: Die Buchhändlerin schüttelt ein weiteres Mal den Kopf. Hunzinger denkt noch mal konzentriert nach. Als Buchhändlerin: »Es gibt sehr spannende Bücher über Fußball«, sagt sie. Nicht nur Sachbücher, die die Entwicklung des Fußballs beleuchten (»Heute geht’s ja fast nur noch ums Geld«), sondern auch tolle Krimis. Die Wahl-Uracherin nennt die Scott-Manson-Trilogie von Philip Kerr. Spannender, süffiger Lesestoff, den Sabine Hunzinger jedem Spiel vor der Glotze vorzieht. Lieber »Die Hand Gottes« in der Hand als Maradona-Nachfolger auf dem Rasen.

Roger Makowski aus Hayingen: »Zu viele Millionen im Spiel«

Einmal und nie wieder: Seinen ersten und einzigen Besuch in einem Fußballstadion fand Roger Makowski »nicht lustig«. Zu viele Menschen, zu viel Manipulation der Massen und zu viele Millionen im Spiel: Für den Hayinger Pianisten und Café-Betreiber genügend Argumente, dem Sport, der die Welt bewegt, eher skeptisch gegenüberzustehen. Zum Public Viewing geht er nicht, wenn, dann höchstens im ganz kleinen Kreis – nicht wegen der 90 Minuten Ballspiel, sondern weil Roger Makowski ein geselliger Mensch ist und gerne plaudert.

Roger Makowski verbringt die WM-Abende nicht vorm Fernseher, sondern am Klavier.  FOTO: SCHRADE
Roger Makowski verbringt die WM-Abende nicht vorm Fernseher, sondern am Klavier. FOTO: SCHRADE
Roger Makowski verbringt die WM-Abende nicht vorm Fernseher, sondern am Klavier. FOTO: SCHRADE

Für Fußball-Smalltalk reicht sein Basis-Wissen immerhin: »So zwei, drei Grundregeln kenne ich schon«, sagt er und zählt Stichworte auf: »Foul, Elfmeter, Abseits.« Auch Mario Gomez ist ihm ein Begriff – der kommt aus Unlingen, das ist von Hayingen ja nicht so weit weg.

Trotzdem: Wenn in allen Wohnzimmern die Glotze läuft, sitzt Roger Makowski lieber am Piano. Er übt zurzeit fürs zweite Stummfilm-Event im Kino am Alten Lager in Münsingen. Am Freitag, 29. Juni, wird er dort Buster Keatons Klassiker »Der General« begleiten. Wer an diesem Tag spielt? Keine Ahnung. Roger Makowski auf jeden Fall – Klavier.

Isabel Karberg aus Reutlingen: »Das Ganze hat etwas Nationalistisches«

Isabel Karberg mag Fußball an sich sehr und spielt auch mal gern selber, »aber ich verstehe den Hype nicht«. Für sie es absurd, dass sich vom Beginn des Turniers in Russland an »alles nur noch darum dreht. Ich verstehe ja, dass es etwas braucht, das die Menschen vereint, aber so?«

Für Isabel Karberg ist der WM-Wahnsinn so absurd,  dass sie ihn fast schon wieder  lustig findet.  FOTO: WURSTER
Für Isabel Karberg ist der WM-Wahnsinn so absurd, dass sie ihn fast schon wieder lustig findet. FOTO: WURSTER
Für Isabel Karberg ist der WM-Wahnsinn so absurd, dass sie ihn fast schon wieder lustig findet. FOTO: WURSTER

Die Ethnologie-Studentin wohnt übrigens zwischen zwei Kneipen, »und da hat man während eines Spieles keine Ruhe. Der Lärm wird einfach akzeptiert. Steige ich in den Zug, so begegnen mir ständig betrunkene Flaggenträger. Und außerdem hat das Ganze auch etwas Nationalistisches. Das, finde ich, muss man mit Vorsicht genießen. Der ganze Wahnsinn rund um die Weltmeisterschaft ist allerdings schon so absurd, dass ich es fast schon wieder lustig finde.«

Stefan Dominikus Wehrle aus Reutlingen: »Wieso wird der Lärm einfach toleriert?«

»Es ist schön, dass die Leute mit der WM etwas Gemeinsames zu feiern haben«, sagt Stefan Dominikus Wehrle. »Aber ich habe diesen Ausnahmezustand nie gemocht. Auch setze ich mich nicht bei jedem Spiel vor den Fernseher. Vielleicht liegt es an meinem sozialen Umfeld – mich hat nie jemand motiviert, mich in Sachen Fußball zu begeistern.«

Stephan D. Wehrle hat sich noch nie für Fußball begeistern können – für Schach schon.  FOTO: WURSTER
Stephan D. Wehrle hat sich noch nie für Fußball begeistern können – für Schach schon. FOTO: WURSTER
Stephan D. Wehrle hat sich noch nie für Fußball begeistern können – für Schach schon. FOTO: WURSTER

Der Reutlinger fragt sich im Übrigen auch, wie es sein kann, »dass der Lärm einfach so toleriert wird. Würde ich beim Sieg meines Lieblingsschachspielers einfach eine Deutschlandflagge auspacken und lauthals schreiend durch die Straße rennen, würde man mich vermutlich abführen.«

Sandra Kahlenberg aus Metzingen: »Es gibt viel schönere Bälle«

»Zweiundzwanzig Männer rennen einem Ball hinterher, und die ganze Nation schaut gebannt zu.« Sandra Kahlenberg verdreht die Augen. »Wie kann das sein«, schiebt die Chefin der »Reblaus« am Kelternplatz hinterher, »ich habe überhaupt kein Verständnis für so was, ich kann diese Euphorie einfach nicht verstehen.«

Sandra  Kahlenberg hält die Star-Fußballer für hoffnungslos  überbezahlt. FOTO: FINK
Sandra Kahlenberg hält die Star-Fußballer für hoffnungslos überbezahlt. FOTO: FINK
Sandra Kahlenberg hält die Star-Fußballer für hoffnungslos überbezahlt. FOTO: FINK

»Für das, was sie leisten, sind die doch hoffnungslos überbezahlt«, sagt die Reblaus-Wirtin über Jogis Jungs. »Es gibt viel kleinere Lichter mit viel mehr Ehrgeiz, Künstler zum Beispiel – die kriegen aber nicht mal einen Bruchteil, das ist nicht fair.« Ganz abgesehen davon können sie und ihr Mann Sven an einem Abend, an dem Fußball-Deutschland hinter der Glotze sitzt oder zum Public Viewing strömt, ihren Laden eigentlich dichtmachen. »Da kommt so gut wie niemand«, sagt Kahlenberg, »die Leute haben da nichts anderes mehr im Kopf.«

Zweiundzwanzig Männer streiten sich ums runde Leder: Die Reblaus-Chefin schüttelt noch mal den Kopf. Dann schaut sie an sich herunter und grinst. »Ich kann’s einfach nicht verstehen – es gibt doch viel schönere Bälle.« (GEA)