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Forscher in Reutlingen ausgezeichnet: Mit »Organ-on-Chip« gegen Krebs

Professor Dr. Peter Loskill hat in Reutlingen für seine Arbeit den Herbert-Stiller-Preis erhalten. Seine Pionierarbeit könnte bald lebensrettend sein.

Professor Dr. Peter Loskill zeigt beispielhaft einen Organ-on-Chip. Für seine Forschungsarbeiten rund um »Brustkrebs-on-Chip« ha
Professor Dr. Peter Loskill zeigt beispielhaft einen Organ-on-Chip. Für seine Forschungsarbeiten rund um »Brustkrebs-on-Chip« hat er den Herbert-Stiller Preis des Vereins Ärzte gegen Tierversuche erhalten. Foto: Stephan Zenke
Professor Dr. Peter Loskill zeigt beispielhaft einen Organ-on-Chip. Für seine Forschungsarbeiten rund um »Brustkrebs-on-Chip« hat er den Herbert-Stiller Preis des Vereins Ärzte gegen Tierversuche erhalten.
Foto: Stephan Zenke

BETZINGEN. Was Professor Dr. Peter Loskill in sein Team entwickeln, könnte bald Leben von Krebstpatienten retten. Für seine Arbeit an einem »Brustkrebs-auf-dem-Chip« Modell hat er den Herbert-Stiller-Preis 2023 des Vereins Ärzte gegen Tierversuche für tierversuchsfreie Forschung erhalten. Mit solchen »Organ-on-Chip« lassen sich gezielt und kontrolliert die Wirkungen neuer Therapien auf menschliche Zellen und Gewebe untersuchen – in diesem Fall gegen Krebs. Bei der Preisverleihung am Donnerstag im Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut (NMI) im Industriegebiet Mark-West wird klar, was für eine hoch entwickelte Forschung an der Schnittstelle von Biologie, Medizin und Ingenieurwissenschaften auch hier in der Region geleistet wird.

Ein »Organ-on-Chip« (OoC) sieht aus wie ein Stück klares Plastik – etwas kleiner und flacher als eine Streichholzschachtel – mit mehreren roten Kammern drin. Leitungen verbinden die Kammern und führen aus dem Plastik raus. Erst unter dem Mikroskop könnte man anfangen zu begreifen, dass im Chip menschliches Gewebe tatsächlich unter ähnlichen Bedingungen wie im Körper lebt. Eine Flüssigkeit verbindet die Zellen miteinander, es findet ein Informationsaustausch statt. Somit kann ein Chip etwa auch Brustgewebe mit Tumorzellen enthalten, an dem dann Behandlungsformen ausprobiert werden. Loskill beschreibt die Hintergründe und Vorteile des Verfahrens.

Ihren Namen »Organ-on-Chip« hätten die Systeme nur deswegen, weil bei ihnen ähnliche Fertigungsverfahren wie bei der Computerchip-Produktion angewendet werden. Dies dient zur Herstellung feinster Strukturgrößen im Nanometer-Bereich. Im Gegensatz zu Zellkulturen könne auf den Chips eine wirklich realitätsnahe Umgebung nachgebildet werden, »der menschliche Körper dient als Blaupause«. »Man kann auf dem Chip testen, welche Therapien die höchsten Erfolgschancen haben«, sagt der Brückenprofessor für OoC-Systeme zwischen dem NMI an der Universität Tübingen in Reutlingen und der Medizinischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen. Mit manchen Systemen könnten schon therapeutische Varianten getestet werden, andere wie sein »Brustkrebs-on-Chip« befinden sich noch in der Entwicklungsphase.

Nahaufnahme eines »Organ-on-Chip«, in dem menschliche Zellen und Gewebe kultiviert werden.
Nahaufnahme eines »Organ-on-Chip«, in dem menschliche Zellen und Gewebe kultiviert werden. Foto: Stephan Zenke
Nahaufnahme eines »Organ-on-Chip«, in dem menschliche Zellen und Gewebe kultiviert werden.
Foto: Stephan Zenke

In jedem Fall könnten die OoC-Verfahren die »Forschung der Pharmaindustrie revolutionieren«. Ein Ziel sei es »einzelne Patienten zielgerichtet zu behandeln«. Bis es zu einer klinischen Einsatzfähigkeit komme, werde es noch eine unbestimmte Zeit dauern. Bedeutend ist aber auch ein Fortschritt, der Loskill und seinem Team jetzt den Herbert Stiller Preis des Vereins Ärzte gegen Tierversuche eingebracht hat.

»Schon heute können wir in gewissen Bereichen die Anzahl der Versuchstiere reduzieren, mittelfristig einzelne Tierversuche ganz ersetzen«, sagt Loskill. Darauf geht Dr. Rosemarie Lautenbacher als Vorstandsmitglied des Vereins ausführlich ein. Trotz vieler Grausamkeiten an Tieren bleibe die Hoffnung vieler Krebskranker auf Heilung unerfüllt. »Tierexperimentelle Krebsforschung ist ein Paradebeispiel für Erfolglosigkeit«, meint die Fachärztin für Anästhesie und Notfallmedizin. Dennoch müssten Mäuse, Ratten, Schweine oder andere Tiere »leiden und sterben«. Der Verein führt eine Reihe von Argumenten gegen Tierversuche an. Viele beim Menschen auftretende Krankheiten würden beim Tier gar nicht oder selten vorkommen.

So erkrankten Tiere etwa nicht an Alzheimer oder Parkinson. Um aber an ihnen forschen zu können, würden die Tiere gentechnisch, operativ, medikamentös oder verhaltenstechnisch so manipuliert, dass sie Symptome, die denen der Krankheit ähneln, entwickeln. Häufig eingesetzte »Tiermodelle« für Krebs würden beispielsweise durch Genmanipulation oder Injektionen von menschlichen Krebszellen in Mäuse »hergestellt«. In der Depressionsforschung würden Ratten in einen Wasserbehälter gesetzt, aus dem sie nicht flüchten können, »hören sie auf zu schwimmen, gelten sie als depressiv«, heißt es von Seiten des Vereins.

Der mit 20.000 Euro dotierte Herbert-Stiller-Preis unterstütze »moderne, tierversuchsfreie Forschung«. Aufgrund des großen Interesses und der vielen »hervorragenden Bewerbungen« werden in diesem Jahr zwei Preise vergeben. Neben Loskill wird auch Dr. Stephan Harm von der Universität für Weiterbildung Krems (Österreich) gewürdigt. Im Rahmen seines Forschungsprojekts ist die Entwicklung einer »Blutgefäßkammer« geplant, in der Stücke der menschlichen Nabelschnur für die Erforschung menschlicher Blutgefäße und der lebensbedrohlichen Blutvergiftung verwendet werden. (GEA) www.nmi.de

Der Verein »Ärzte gegen Tierversuche«

»Medizinischer Fortschritt ist wichtig – Tierversuche sind der falsche Weg!« – unter diesem Motto setzt sich Ärzte gegen Tierversuche e. V. seit 1979 für eine tierversuchsfreie Forschung ein, die auf dem Einsatz von modernen Methoden etwa mit menschlichen Zellkulturen und Organchips sowie der Ursachenforschung und Vorbeugung von Krankheiten basiert. Ziel ist die Abschaffung aller Tierversuche und damit eine ethisch vertretbare, am Menschen orientierte Medizin – eine Wissenschaft, die durch moderne, tierversuchsfreie Testmethoden zu relevanten Ergebnissen gelangt.

Der Herbert-Stiller-Preis, benannt nach einem Mitgründer des Vereins, Dr. Herbert Stiller (1923-1984), Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, wurde in den 1990er und 2000er Jahren insgesamt sieben Mal vergeben. Dank zweckgebundener Sponsorengelder wird 2019 und dann alle zwei Jahren eine Neuauflage ermöglicht. Der Förderpreis wird für hervorragende innovative wissenschaftliche Arbeiten verliehen, die sich mit Hilfe von tierversuchsfreien humanbasierten Methoden der Erforschung und Therapie menschlicher Erkrankungen beschäftigen und einen wesentlichen Beitrag für den medizinischen Fortschritt leisten. (pr)

www-ärzte-gegen-tierversuche.de