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»Fahren, fort und Unruhe«

REUTLINGEN-BETZINGEN. Wie viele Betzinger wissen heute noch, dass in ihrem Ort mal ein weltberühmter (oder zumindest in Europa bekannter) Motorradfahrer gelebt hat? Die Zahl derjenigen, die Hans Baltisberger noch persönlich gekannt haben, dürfte noch deutlich geringer sein.

Spätzünder: Erst mit 30 Jahren machte sich Hans Baltisberger auf, die Welt des Motorradsports zu erobern. ARCHIV-FOTO: PR
Spätzünder: Erst mit 30 Jahren machte sich Hans Baltisberger auf, die Welt des Motorradsports zu erobern. ARCHIV-FOTO: PR
Spätzünder: Erst mit 30 Jahren machte sich Hans Baltisberger auf, die Welt des Motorradsports zu erobern. ARCHIV-FOTO: PR
Klar, der Ruhm dieses Mannes liegt ja auch schon eine ganze Weile zurück: In den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war das, als der damals knapp 30-Jährige sich aufmachte, die Welt des Motorradsports zu erobern. »Jeden Tag acht Stunden hinter einer Ladentheke stehen, das ist nichts für mich«, soll Hans Baltisberger laut Dr. Kurt Oesterle mal gesagt haben. »Fahren, fort und Unruhe« seien vielmehr seine prägenden Stichworte gewesen.

Hans im Glück oder Pech?

»Mordwand und Todeskurve« heißt das Werk, in dem der Autor Oesterle das Leben des Betzingers beschreibt. »Baltisberger war ein Profi, als es diesen Begriff noch gar nicht gab«, liest Oesterle am Samstagabend in der Betzinger Zehntscheuer zusammen mit dem Schauspieler Michael Heinsohn im Wechsel aus dem Buch. Manche hätten den Rennfahrer »Hans im Pech« genannt. Andere »Hans im Glück« - je nach Sichtweise. Die einen bedauerten ihn wegen seiner vielen Stürze und der damit verbundenen Knochenbrüche. »Es hieß, er habe keinen Knochen im Leib, den er noch nicht gebrochen hatte.«

Der glückliche Hans bezog sich auf die zwei Deutschen Meisterschaften, die Baltisberger gewonnen hatte - eine davon wurde ihm allerdings erst zugesprochen, als er schon nicht mehr lebte. Von März bis Oktober ging damals in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Rennsaison. Aber: »Ohne die Unterstützung der Besatzungsmächte wäre kein Tropfen Benzin in die Rennmaschinen geflossen«, berichtet Oesterle. Es war die Zeit kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Die Motorrad- und Autorennen seien als Demonstration der Demokratie inszeniert worden, bei denen sich auch gerne Politiker zeigten und - oftmals mehrere Hunderttausend Zuschauer kamen. Hans Baltisberger war eine Zeit lang Werksfahrer, aber einige Jahre auch als Privatmann auf der Rennstrecke unterwegs. Er musste sich nach Sponsoren umsehen, als es auch diesen Begriff noch gar nicht gab. Für die Wintermonate hatte er ein Unternehmen für »Wirtschafts- und Industriewerbung« gegründet. Wohl nur mit mäßigem Erfolg. Viel lieber sei er in den Reutlinger Kinos unterwegs gewesen, außerhalb der Rennsaison. Wenn es dann im März wieder los ging, zog er mit seinem Rennmechaniker von Nord nach Süd, von Casablanca bis zur Isle of Man. 1956, in seiner letzten Saison, nach Brünn. Zu diesem Zeitpunkt führte er die Rangliste an. Ein Regenschauer wurde ihm zum Verhängnis, eine schmierige Kurve, in die er mit 200 Stundenkilometer hineinfuhr, war sein Ende. Schädelbruch. Tot. Am 26. August 1956. Fünfzig Jahre später trafen sich Fans von Hans Baltisberger an seinem Todestag zu einer Gedenkfeier an dieser Stelle der Rennstrecke. (GEA)