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Aktuell Kommentar

EU-Wahl im Kreis Reutlingen: AfD beschimpfen ist keine Antwort

Der Landkreis Reutlingen hat so konservativ gewählt, wie das ganze Land. Unterschied: Die SPD schneidet hier noch schlechter ab, als im Bund. GEA-Lokalchefin Kathrin Kammerer erklärt, woran das unter anderem gelegen haben könnte.

Auch in Reutlingen haben zehntausende Menschen am Sonntag über die neue Zusammensetzung des EU-Parlaments abgestimmt.
Auch in Reutlingen haben zehntausende Menschen am Sonntag über die neue Zusammensetzung des EU-Parlaments abgestimmt. Foto: Frank Pieth
Auch in Reutlingen haben zehntausende Menschen am Sonntag über die neue Zusammensetzung des EU-Parlaments abgestimmt.
Foto: Frank Pieth

KREIS REUTLINGEN. Der politische Wind hat sich gedreht. Und zwar ziemlich stark. Im Bund wie auch im Landkreis Reutlingen. Eine sogar im Bundesvergleich überdurchschnittlich große Klatsche hat die SPD im Kreis erfahren. Hier liegt sie nämlich nur auf Platz 4, hinter CDU, AfD und Grünen. Etwas zu lachen hatten an diesem Wahltag nur die AfD, die CDU und im Bundesvergleich noch die FDP. Der Rechtsruck ist auch in der Region erkennbar.

Was ist passiert? Ganz klar: Die politische Großwetterlage hat sich verändert. Ukraine- und Nahostkrieg, weitere Flüchtlingsströme nach Deutschland, und nicht zuletzt die Islamisten-Messerattacke von Mannheim, die einen jungen Polizisten das Leben gekostet hat: Die Menschen sehnen sich auch im Landkreis Reutlingen nach Sicherheit und Stabilität.

Doch viele Politiker linker Parteien scheinen dieses Bedürfnis nicht wahrzunehmen. Weder im Bund, noch in der Region. Stattdessen reagierten sie auch in Reutlingen in den vergangenen Monaten eher populistisch auf das Umfrage-Hoch der AfD: So zerknüllte beispielsweise der ehemalige Stimmenkönig der Reutlinger SPD einen AfD-Stimmzettel für die Kommunalwahl öffentlichkeitswirksam in einem Kurzvideo auf der Plattform Instagram, und der jetzige Spitzenkandidat der Sozialdemokraten nahm im Januar mit einem »ekelhAFD«-Schild an der großen Demo auf dem Marktplatz teil.

Das Beschimpfen einer Partei als Antwort auf deren Erstarken? Wenig zielführend. Die AfD hat die SPD bei der Europawahl im Kreis und in der Stadt deutlichst überholt. Man darf nun auf das Ergebnis der Gemeinderatswahlen am Montag gespannt sein. Klar ist aber jetzt schon: Wer das weitere Erstarken der Rechtspopulisten verhindern will, sollte schnellstmöglich ein starkes eigenes Programm bieten und sich nicht scheuen, auch mal unangenehme Dinge anzusprechen. Der Tübinger OB Boris Palmer macht’s vor.

Dass die Wahlbeteiligung bei dieser Europawahl im Landkreis Reutlingen mit über 65 Prozent einen neuen Höchststand erreicht hat, geht an diesem Abend inmitten der vielen traurigen und ratlosen Gesichter auf den Wahlpartys fast unter. Denn was die AfD mit Europa, von dessen Vorteilen wir alle profitieren, vorhat, kann einen mindestens verunsichern. (GEA)

kathrin.kammerer@gea.de