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Eine große kleine Kämpferin gegen den Krebs

REUTLINGEN-GÖNNINGEN. »Ich bin die, die Krebs hat«, sagt Jenny zur Begrüßung, kaum hat sie dem Gast die Tür geöffnet. Jenny geht es gerade nicht so gut. Die Neunjährige ist müde, muss viel schlafen. Sie hat Gedächtnislücken.

Darauf freut sich Jenny die ganze Woche: die Montagsreitstunde.
Darauf freut sich Jenny die ganze Woche: die Montagsreitstunde. Foto: Uschi Pacher
Darauf freut sich Jenny die ganze Woche: die Montagsreitstunde.
Foto: Uschi Pacher
Dass sie schwer krank ist, hat Jenny nicht vergessen. Sie sagt Sachen wie, »ich habe schon mein halbes Leben Krebs« oder »Ich kann Ihnen meinen Port zeigen.« Unter die Haut verpflanzt, werden über den Katheter die Medikamente der Chemotherapie in den kleinen Körper geschleust.

Als Jenny viereinhalb Jahre alt war, wurde ein Astrozytom in ihrem Kopf entdeckt. Gutartig. Eineinhalb Jahre Krankenhaus, Chemotherapie. Hoffnung. Das Tumorwachstum könne gestoppt werden, sagten die Ärzte. Eine Salamitaktik der Mediziner, um die Familie langsam an eine böse Wahrheit heranzuführen, mutmaßt Vater Raphael Renz heute.
»Wir planen schon lange nichts mehr«
Der Tumor wandelte sich zu einem Glioblastom. Bösartig. Viele kleine Herde im Kopf. »Wie Zucker ausgestreut«, sagt Raphael Renz. Ein Verlauf, der für Mediziner durchaus nicht ungewöhnlich sei. Ein Dutzend chirurgische Eingriffe, fünf Chemotherapien und eine Bestrahlung brachten keinen nachhaltigen Erfolg.

Ein Glück, dass Jenny so »tough« ist, sagt der Vater. »Sie ist eine Kämpferin.«

Die Kämpferin sieht aus wie eine kleine Fee und ist 18 Kilo leicht. Jenny liebt Tiere. Ihr Trick, wenn sie Schmerzen hat oder besonders traurig ist: »Ich stelle mir vor, ich bin mit Pferden am Strand und Delfine kommen vorbeigeschwommen. Dann kommt ein Krebs und zwickt die Mama in den Fuß. Und dann haue ich mit einem Hammer auf den Krebs«.

Montags darf Jenny in ihr Paradies: zum Reiten auf die Alb. 60 Euro die Stunde. Therapeutisch. Was ihr größtes Glück wäre? »Ein Pferd zu haben«, sagt das Mädel spontan. Mutter Stefanie schaut irritiert und ergänzt: »Und gesund sein.« »Ein Pferd. Und dass der Krebs weg ist«, korrigiert sich Jenny – als hätte sie für einen Moment die Prioritäten vergessen. Dann legt sich die kleine Kämpferin aufs Sofa und schläft ein.

Das Leben der Familie ist auf die Tochter abgestimmt. »Uns geht es gut, wenn es Jenny gut geht«, sagt der Vater. Dabei gibt es nur ein Heute: »Wir planen schon lange nichts mehr.« Wir, das sind die Eltern und neben Jenny noch die vierjährige Rachel und Justin, sieben Jahre alt. »Zum Glück haben wir noch zwei Kinder«, sagt der 45-Jährige. Das Familienunternehmen muss laufen – auch an den ganz dunklen Tagen. »Aufgeben ist keine Option.«

Raphael Renz ist Prüftechniker bei der Firma Bosch. Mutter Stefanie hat ihren Job aufgegeben und ist nun die »Managerin des kleinen chaotischen Familienunternehmens«, wie die 38-Jährige sagt.

Die gelernte Arzthelferin und Röntgenassistentin fuchst sich mit Verve in die medizinischen Details ein.

Eine neuartige Behandlung in einer privaten Praxis in Köln gibt der Familie derzeit neue Hoffnung. Die Viro-Immuntherapie ist über 40 000 Euro teuer, in Deutschland aber nicht anerkannt. Sie wird von der Krankenkasse nicht bezahlt.

Zu den Sorgen ums Kind kommen Geldsorgen. Die Ressourcen der Familie reichen nicht für die teure Therapie, sagt Raphael Renz. In der SWR-Sendung »Herzenssache« saß die Familie im Herbst vergangenen Jahres auf dem Sofa und machte Werbung für die Stiftung, die maßgeblich die Nachsorgeklinik Tannheim unterstützt.

»Wir haben's gern gemacht für Tannheim, aber für uns hat es nichts gebracht.« Wenigstens Informationen, wie man eine eigene Spendenaktion gestaltet, hatten sich die Eltern erhofft. »Doch wir bekamen nur gute Worte.«

»Aufgeben ist keine Option«
Ein generelles Problem für die Gönninger Familie: Die meisten Aktionen unterstützen nur Projekte, keine einzelnen Patienten. Stefanie Renz ergriff die Initiative, googelte sich ein, startetet auf einer speziellen Internetplattform einen Spendenaufruf. Auf der Internetseite beschreibt die Mutter detailliert den Leidensweg der Tochter. Das »Betteln« falle ihnen schwer, beteuern die Eltern. Doch der Erfolg blieb nicht aus. Das Schicksal des kleinen Mädchens rührt an.

Seit Anfang Februar sind über 27 000 Euro zusammengekommen, auch viele Gönninger und Bronnweiler Bürger trugen dazu bei. »Wir sind sprachlos über so viel Unterstützung«, sagen die Eltern.

Heute, 10.30 bis 13.30 Uhr, veranstaltet Jennys Schule, die Jenaplan-Schule in Mössingen, einen Spendenlauf für die Mitschülerin hinter dem Campus der Schulen am Firstwald. Die Familie wartet unterdessen bang auf erste Ergebnisse, ob die Kölner Therapie angeschlagen hat. Oder ob sie nur ein teuer erkauftes Stück neue Hoffnung war. (GEA)