REUTLINGEN. Am 9. Juni sind auch die Reutlinger aufgerufen ihre Vertretungen in Stadtparlament und Kreistag zu wählen. Anlass für den GEA, sich auf der Wilhelmstraße umzuhören. Welche Themen beschäftigen die Menschen? Werden sie von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen? Meinen sie, dass Kommunalpolitik Veränderungen hin zum Positiven bewirken kann?
»Prinzipiell«, so Martin Braun, »kann Kommunalpolitik selbstverständlich einiges bewirken. Allerdings sind die Bedingungen dafür derzeit ziemlich ungünstig – weil Sparzwänge keine großen Sprünge zulassen.« Aus Sicht des Reutlingers, der »auf jeden Fall wählen wird«, sind Stadtparlament und -verwaltung aktuell wenig mehr als »Manager des Mangels«, die angesichts »massiv eingeschränkter Gestaltungsspielräume« nicht umhin kommen, »knallhart Prioritäten« zu setzen. Ginge es nach Braun, müsste der kommunalpolitische Fokus vor allem auf drei Themenfelder gerichtet werden: »auf Wohnungsbau, Schulen, Kindergärten«.
Eine Meinung, die von Martina Votteler geteilt wird. Auf für sie bedeutende lokale Themen angesprochen, nennt auch sie vor allem anderen »Bildung und Kinderbetreuung«. Denn Personal- und Platzmangel sowie unzureichende Betreuungszeiten sind für die Reutlingerin von Übel. »Weil sie Ressourcen binden. Viele Frauen könnten und würden arbeiten gehen, wenn sie ihre Kinder gut und zuverlässig untergebracht wüssten.« Doch daran hapere es. Ebenso wie an der Attraktivität der Reutlinger Innenstadt. Sie ist für die 57-Jährige »eine Angelegenheit, die politisch dringend angegangen werden sollte«, zumal die Aufenthaltsqualität binnen der zurückliegenden Jahre kontinuierlich gesunken sei. »Da muss gegengesteuert werden«, ist Votteler überzeugt. Ob sie am 9. Juni von ihrem Stimmrecht Gebrauch macht? »Unbedingt!«
»Viele Frauen könnten und würden arbeiten gehen, wenn sie ihre Kinder gut zuverlässig untergebracht wüssten«
Was sie mit Jasmin Link eint. »Ich habe eine Stimme und werde sie selbstverständlich einsetzen«, so die 34-Jährige, für die Wahlen eine angenehme Bürgerpflicht sind und eine Gelegenheit, sich einzubringen. Dabei orientiert sich die Wankheimerin – auch auf lokaler Ebene – mehr an Parteien und deren Programmen als an Personen. Noch hat sie zwar keine abschließende Entscheidung getroffen, weiß allerdings schon jetzt, dass sie jenen Listen den Vorzug gibt, die sich für bessere Kinderbetreuung und Schulen einzusetzen versprechen. »Das muss ich mir aber noch im Detail ansehen.«
Derweil sich Frederic Löhr gar nichts ansieht. »Mit Kommunalpolitik befasse ich mich nicht«, sagt der 23-Jährige, der im Übrigen nicht zur Wahl gehen wird. Und das, obschon er sehr wohl Forderungen an Reutlingens Stadtparlamentarier und Kreisräte hat. So wünscht sich der Reutlinger »mehr Jugendangebote und Treffpunkte ohne Konsumzwang«.
Und Heike Oppermann? Die wohnt zwar in Ulm, beobachtet jedoch, dass Baden-Württembergs Städte und Kommunen letztlich alle vor in etwa den gleichen Problemen stehen: »Klimawandel und Energiewende, fehlender bezahlbarer Wohnraum, fehlende Kinderbetreuungsplätze, überfüllte Klassenzimmer, Pädagogenmangel«. Dass die 61-Jährige wählen geht, steht für sie außer Frage. »Das ist ja schließlich meine Möglichkeit, mich einzumischen. Die lasse ich mir nicht durch die Lappen gehen.«
»Die Stadt hängt doch am Tropf von Bund und Land. Großpolitisches Versagen schlägt zwangsläufig nach unten durch«
Anders als Robert Zimmermann, der heuer erstmals auf jedwedes Kreuzchen verzichtet. »Bitter enttäuscht«, so der 43-Jährige, sei er von der großen und kleinen Politik. Mit den Worten »ich sehe weit und breit keine Partei oder Gruppierung, die einen ordentlichen Job machen würde«, begründet der Reutlinger, der in der Vergangenheit als »Wechselwähler« immer mal wieder die politischen Lager getauscht hat, seinen Boykott. »Stümperei« wirft er den Volksvertretern vor. Und zwar »wohin man schaut. Deutschland wurde systematisch runtergewirtschaftet«. Und Reutlingen? »Ebenfalls. Die Stadt hängt doch am Tropf von Bund und Land. Großpolitisches Versagen schlägt zwangsläufig nach unten durch.« Deshalb wolle er den Gemeinde- und Kreisräten gar keine allzu heftigen Vorwürfe machen. Wählen wolle er sie dennoch nicht. »Wozu? Das sind zahnloser Tiger.«
Wie sein Vorredner bezeichnet sich auch Jens Baumann als »Wechselwähler«. Anders als sein Vorredner wird er aber »garantiert« zu Wahl gehen. »Das ist mir wichtig«; und sei’s auch bloß, um berechtigt motzen zu können. »Wer nicht wählt, darf auch nicht schimpfen«, so das Credo des 47-jährigen Ofterdingers, der sich vor allem erhofft, dass »die Städte wieder attraktiver werden und ihren Bürgern bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen«.
»Einen Personalwechsel braucht der Gemeinderat, um alte Themen vielleicht neu denken zu können«
Was Letzteren betrifft, steht er auch bei Joachim Kock ganz weit oben auf der Prioritätenliste. »Wir brauchen dringend bezahlbaren Wohnraum, aber da tut sich leider nichts oder zumindest viel zu wenig.« Überhaupt sind es soziale Themen, denen der Reutlinger kommunalpolitisches Gewicht beimisst. Günstige Mieten, ausreichend Kinderbetreuungsplätze und -personal, Bildungsgerechtigkeit – für ihn sind derlei Faktoren der Schlüssel zu einer zufriedenen und befriedeten Gesellschaft.
Für Melanie Müller ebenfalls. Zu ihrem Bedauern kann die 51-Jährige aber nicht erkennen, dass auf politischer Ebene »gezielt an den entsprechenden Stellschrauben gedreht wird«. Trotzdem beabsichtigt sie »wie immer« zur Wahl gehen. Diesmal freilich mit einer »veränderten Vorgehensweise«, die durchaus ein bisschen Protest atmet: gegen das Polit-Establishment. Müller hat sich nämlich vorgenommen, ihre Kreuzchen bewusst hinter die Namen jener Kandidaten zu setzen, die weit hinten auf den Listen stehen. Die Idee: »Einen Personalwechsel braucht der Gemeinderat, um alte Themen vielleicht neu denken zu können. Das wäre für mich eine Chance.« (GEA)