REUTLINGEN. So leicht, dass ein Mensch sie tragen kann, aber ganz schwer kaputt zu kriegen, sind die Fassadenelemente des Texoversums auf dem Campus der Hochschule Reutlingen ein Hingucker. Spaziergänger bleiben stehen, um mal nachzusehen, was das für ein merkwürdiges Gebäude wird. Womit sie Recht haben, denn das von Südwesttextil gestiftete Gebäude muss man sich merken.
»Es ist ein Arbeitsgebäude, in dem Studierende und die Industrie zusammenkommen sollen. Es geht um den Wissenstransfer in beide Richtungen«, erklärt Professor Michael Goretzky beim Betreten der Baustelle, auf der die Arbeiten im Februar 2021 begonnen haben. Die Eröffnung ist für 2023 geplant. Der Studiendekan Master Design wirkt beim Rundgang durch den äußerlich fast fertigen und innerlich noch recht rohen Bau mit jedem Stockwerk ein paar Stufen begeisterter. Die Faszination des Texoversum beginnt schon am Boden, wo einige der Fassadenelemente noch gestapelt liegen, während andere schon hoch oben montiert werden.
Kleid aus Verbundmaterial
Es handelt sich um lauter maßgefertigte Dreiecke, die von der Fibr GmbH aus Kernen im Remstal gefertigt worden sind. Die Rahmen bestehen aus schwarzem Carbon. Die weißen und schwarzen Fäden sind jeweils Verbundstoff: Kohlefasern und Glasfaserfäden. Solche Materialien werden in der Raumfahrt eingesetzt, kommen im Hochleistungsfahrzeugbau oder auch bei Sportgeräten vor. Die einzelnen Elemente kann ein Mensch mühelos auf die Arbeitsbühne heben. Zur Montage werden sie dann mehrfach verschraubt. Diese Konstruktion soll äußerst widerstandsfähig gegen Wind und Wetter sowie sehr dauerhaft sein. Vor allem aber ist sie ein sichtbares Signal an die Außenwelt.

»Es ist die Kommunikation: Dies ist klar ein textiles Gebäude«, sagt Goretzky. So eine geflochtene Fassade sei ein ziemlich einzigartiges Kleid. »In dieser Größe hier eine Premiere«, ergänzt Pressesprecherin Saskia Groß. Den Nutzern des vom Münchner Architektenbüro Allmann + Sattler entworfenen Hauses schenkt das Fasergeflecht Schatten und entzückende Durchblicke in die Landschaft.
Der Eingang öffnet die Perspektive auf ein innerlich kommunikatives Gebäude, das sich gastfreundlich gibt. Im Erdgeschoss liegt direkt gegenüber der Glastür eine schräge Ebene, die später mal als Sitztreppe zum Verweilen einlädt – dieses Element findet sich auch auf anderen Ebenen wieder. Neben einem Informationsbereich sind hier Caféecke und Laborshop vorgesehen. »Da werden Kleidung und andere Artikel von der Campusfirma RU Enterprises verkauft«, erklärt Goretzky. Der Laden selbst ist auch dazu gedacht, das Käuferverhalten zu analysieren. Vertikal wird von unten nach oben im Lichthof eine Textilinstallation von Ettlin die Botschaft des Hauses vermitteln.
»Mit dem Bau des Texoversums setzt Südwesttextil in Baden-Württemberg ein sichtbares Zeichen für die textile Zukunft – auch in Form der Architektur des Gebäudes. Mit der erstmalig in dieser Form umgesetzten textilen Fassade made in Baden-Württemberg und dem offen gehaltenen Entwurf des Gebäudes unterstreichen wir die Innovation der Plattform, die im Texoversum entsteht«, lässt sich Bodo Th. Bölzle als Präsident der Südwesttextil zitieren. Es geht um mehr als Mode. Textilien durchziehen wie ein roter Faden zahlreiche Lebensbereiche und Techniken. Davon wird auch im Keller viel zu sehen sein, wo neben Lagerräumen das Gatex Veredelungslabor untergebracht wird. Die Gatex beschreibt sich selbst als das Aus- und Weiterbildungszentrum der Textilindustrie. Das Veredelungslabor im Keller macht für Industrie und Studenten Sinn, weil es hier um die chemische Behandlung von Garnen oder Beschichtungen von Stoffen geht. Weiter oben wird’s zunehmend futuristisch.
Auf der Ebene 0.5 »haben wir digitale und mechanische Bearbeitungsbereiche«, beschreibt Goretzky. Dazu gehören beispielsweise 3-D-Drucker. Ein halbes Stockwerk aufwärts treffen Geschichte und Gegenwart garantiert auf viel Interesse. »Wir haben eine historische Gewebesammlung, die ihresgleichen sucht«, freut sich der Dekan. Im Texoversum finden diese 500 000 Materialproben inklusive einer Kollektion japanischer Stoffe eine neue Heimat. »Wir wollen dieses Archiv zum Leben bringen«, verspricht Goretzky.
Seine absolute Lieblingsetage ist nur etwas weiter aufwärts. Ebene 1.5 wird mal das XR-Labor, wobei X für Erweitert und R für Realität steht. Das gesamte Stockwerk soll komplett offen sein, wird gigantische Bildschirme und allerfeinste Computertechnik beherbergen. Wozu der Aufwand? Um etwa gemeinsam mit Industriepartnern aus aller Welt Objekte zu betrachten.
Besonders schöner Abschluss
»Das wird einzigartig. Da sind wir ganz vorne«, lässt Goretzky seiner Vorfreude freien Lauf. Wer weiter durchs Haus dem Himmel entgegen wandert, passiert zunächst auf Ebene 2.0 Büros der Gatex, im nächsten Halbstockwerk dann Schulungsräume mit variablen Wänden, um schließlich ganz oben etwas besonders Schönes zu entdecken. Wer so viel studiert und sich ausgetauscht hat wie die Menschen im Texoversum, der darf auf der Dachterrasse entspannen. Sie wird begrünt, bietet Sitzbereiche und einen sehenswert unverbauten Ausblick. (GEA)
STOFF ZUM TEXOVERSUM
Die Macher der Fassade von der Fibr GmbH zeigen online, was sie sonst noch für spannende Verkleidungen und Gebäude geschaffen haben. Besonders lohnt ein Klick auf Projects. Das Start-up RU Enterprises betreibt einen schicken Mini-Shop im Netz. Käuflich ist aktuell nur ein Sweatshirt, aber die Kollektion wächst bestimmt. Die Hochschule Reutlingen widmet dem Texoversum ein Webspecial mit vielen Hintergrundinfos. (zen) www.fibr.tech https://ruenterprises. myshopify.com www.td.reutlingen-university.de/ fakultaet/texoversum/