REUTLINGEN. In Deutschland mangelt es an Spenderorganen. Weshalb das Thema in regelmäßigen Abständen auf der politischen Agenda steht. Sollen alle mündigen Bürger von Staats wegen als potenzielle Spender mit Widerspruchsrecht ausgewiesen oder soll an der bestehenden Praxis festgehalten werden, die auf Eigeninitiative setzt und das aktive selbstbestimmte Ausfüllen eines Organspenderausweises erfordert? Aus aktuellem Anlass hat der GEA auf der Wilhelmstraße nachgefragt: Wie halten’s Passanten mit der posthumen Organentnahme?
»Ich habe volles Vertrauen ins System«
Mit dieser Frage konfrontiert zückt Jasmina Biskupovic sogleich ihren Organspendeausweis. Zwar kann die 37-Jährige durchaus verstehen, wenn sich andere Leute mit dem Thema schwertun; jedoch: »Organspenden sind lebensrettend, und deshalb stehe ich voll dahinter.« Da die Metzingerin selbst an Schilddrüsenkrebs erkrankt war, weiß sie aus persönlichem Erleben, wie es sich anfühlt, dem Tode nahe zu sein. Spätestens seit diesem Schicksalsschlag gibt es für sie in puncto Organspende kein Vertun mehr: »Sie ist wichtig und richtig.« Wiewohl Biskupovic beim Gedanken an eine Entnahme durchaus ein »mulmiges Gefühl beschleicht«. Dieses indes ist für sie kein Grund, den Ausweis ad acta zu legen. »Ich habe volles Vertrauen ins System. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mich Ärzte sterben lassen, um an meine Organe zu kommen.«
Was sie mit Volker Schnyder eint. Auch er meint, dass er keine Nachteile erleidet, weil er sich auf die Transplantationsliste hat setzen lassen. »Wäre da auch bloß der Hauch eines Zweifels, würde ich den Ausweis schließlich nicht mit mir führen. Ich bin überzeugt davon, dass Entnahme und Vergabe absolut sauber ablaufen.« Für sauber hält der 55-Jährige auch das Prozedere rund um den Ausweis. »Ich fände es nicht gut, wenn jede und jeder zum potenziellen Spender deklariert würde. Das verletzt das Selbstbestimmungsrecht, es geht meines Erachtens zu weit. So wie es ist, ist es gut.«
Ganz anders die Auffassung von Susanne Müller, die keinen Organspendeausweis hat und auch nicht beabsichtigt, sich ein solches Dokument zu besorgen. »Ich lehne Organspenden als irgendwie unethisch ab – bei solchen Transplantationen spielt der Mensch nämlich Gott, wogegen sich mir innerlich alles sträubt. Außerdem bin ich doch kein Ersatzteillager. Und, ganz ehrlich, ich habe Angst davor, dass die Ärzte nicht wirklich alles erdenklich Lebensrettende tun, wenn ich in einer Transplantationsdatenbank gelistet bin.«
»Ich bin doch kein Ersatzteillager«
Ein Gedanke, der Ulf Jansens fremd ist. Und das, obwohl der 40-Jährige bislang keinen Organspendeausweis hat. Doch gerade deshalb fände es der Reutlinger »sinnvoll, dem schwedischen Beispiel zu folgen und automatisch jeden, der keinen Widerspruch einlegt, als potenziellen Organspender zu behandeln.« Warum? »Weil, und da packe ich mich an der eigenen Nase, es bei ganz vielen Leuten die Bequemlichkeit ist, die sie davon abhält, sich einen Ausweis zu besorgen oder sich mit dem zugegeben sensiblen Thema auseinanderzusetzen.«
Eine, die sich eben dieser Auseinandersetzung bereits in sehr jungen Jahren gestellt hat, ist Teresa Wagner. »In der Abschlussklasse, im Religionsunterricht haben wir das Thema behandelt und kontrovers diskutiert«, verrät die 19-Jährige, die sich nach Abwägen zahlreicher Argumente definitiv für den Ausweis entschieden hat. Seit Februar 2022 hat sie dieses Dokument überall mit dabei – weil »ich mit meinen Organen nach dem Tod ja nichts mehr anfangen kann. Wenn ich gehe, möchte ich jemandem die Chance geben, zu bleiben.« Spenden würde die Sonnenbühlerin im Falle ihres Hirntods übrigens fast alles. »Nur die Haut schließe ich aus, für den Fall, dass mich meine Angehörigen zum Abschied noch einmal sehen möchten.«
»Was ist hier gerecht, was ethisch vertretbar?«
Und was meint Marc Schneller? »Dass meine Organe mit mir begraben werden sollen. Ich möchte auch niemals fremde Organe transplantiert bekommen. Schon allein wegen der Immunsuppressiva, die zu schlucken ich dann gezwungen wäre.« Was diese Dauermedikation bedeutet, hat der 39-Jährige bei seiner Tante »live beobachten können«. Dieser Frau sei zwar zusätzliche Lebenszeit geschenkt worden – »allerdings ohne richtige Lebensqualität. Etwa sieben Jahre ist alles gut gegangen, dann haben die starken Medikamente andere Organe geschädigt. Die Nieren waren hin, die Leber angegriffen. Mir erschien all das als Siechtum, dass man meiner Tante hätte ersparen müssen. Nur weil die Medizin etwas kann, heißt das für mich noch lange nicht, dass sie es auch tun sollte.«
»Die Nieren waren hin, die Leber angegriffen«
Oder eben doch. Gabriele Schott ist jedenfalls der Auffassung, dass »Spenderorgane eine sehr gute Sache sind«. Familiäre Erfahrungen musste sie diesbezüglich zwar »Gott sei dank noch keine machen«, wenn es bei ihr und ihren Lieben indes zu einer solchen Situation kommen sollte, »dann würde ich unendlich dankbar sein, wenn es zu einer Transplantation käme«. Darum hat die Düsseldorferin einen Ausweis. Aber nicht nur deswegen, sondern auch, »um meinem Mann und meinen Kindern eine der wohl schwersten Entscheidungen, die es gibt, abzunehmen«.
Derweil Nilgün Demir, wie sie sagt, hin- und hergerissen ist. »Ich weiß einfach nicht, was richtig ist«, bekennt sie. »Mir gehen beim Thema Organspende so unendlich viele Fragen durch den Kopf.« Ob sie ein paar davon nennen möchte. »Klar. Ich zweifle daran, dass Hirntote nichts mehr spüren, ich finde, dass die Würde des Menschen durch Organentnahmen verletzt wird und ich frage mich, nach welchen Kriterien Organe vergeben werden. Was ist hier gerecht, was ethisch vertretbar? Und wer soll für die superteuren OPs aufkommen? Die Kassen sind doch jetzt schon pleite!« (GEA)