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Das Ende einer toxischen Beziehung: Reutlinger verurteilt

Immer wieder schlug der Angeklagte zu, lange konnte die Geschädigte sich trotzdem nicht von ihm trennen - bis die Verletzungen zu gravierend waren. Eine toxische Beziehung, die vor dem Amtsgericht landete und das lange für eine Urteilsfindung brauchte.

Das Amtsgericht Reutlingen.
Das Amtsgericht Reutlingen. Foto: Stephan Zenke
Das Amtsgericht Reutlingen.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Mehr als ein halbes Jahr hat sich das Verfahren gegen einen 41-jährigen Reutlinger hingezogen, der wegen mehrerer Fälle von Körperverletzung angeklagt war, darunter zwei schwere und zwei gefährliche. Die Beweisaufnahme hat sich in die Länge gezogen: Die Geschädigte schilderte diverse Vorgänge, bei der ihr Partner sie verletzt hat. Unter anderem wurde ihr bei einem Streit eine Fingerkuppe abgetrennt, als sie ihre Hand in der Tür hatte und er diese trotz Warnung zudrückte. Sie hat lockere Zähne und ist auf einem Auge erblindet - die Folge einer Netzhautablösung aufgrund ständiger Schläge.

Eine toxische Beziehung

Oft wurde die Polizei zu den Streitigkeiten gerufen, aber nie verließ sie ihn dauerhaft. Mehrfach wurde bei den Verhandlungen von einer »toxischen Beziehung« gesprochen, an der die Geschädigte festhielt. »Sie hat viel hingenommen, ohne ihn anzuzeigen«, so Richter Eberhard Hausch in seiner Urteilsbegründung. Wahrscheinlich noch mehr als angeklagt war, vermutete eine Polizistin in ihrer Zeugenaussage. Erst als die Diagnose der Netzhautablösung feststand, beschloss die Frau, einen Schlussstrich zu ziehen. Diese Verletzung sei zu dramatisch gewesen, denn trotz allem Elend in ihrem Leben achtete sie immer sehr auf ihr attraktives Äußeres. Auch das wurde ihr nun genommen, mit einem blinden Auge, das immer wieder unkontrolliert wegrutscht.

Belastungseifer konnte das Gericht bei der Nebenklägerin nicht erkennen. Im Gegenteil: Das Schöffengericht zeigte sich überzeugt, dass sie die Wahrheit berichtet hat, auch wenn der Angeklagte bestritt, dass es sich so zugetragen habe. Als der Angeklagte in Untersuchungshaft kam, stürzte sie komplett ab - weil sie ihn vermisste. Die Alkohol- und Drogenexzesse nahmen zu, es kam wiederholt zu Übergriffen gegen die Polizei und etlichen Ladendiebstählen. Im Moment sitzt die Geschädigte selbst in Haft, dort will sie ihr Leben neu ausrichten und einen Entzug machen.

Schwere Übergriffe, erhebliche Verletzungen

Staatsanwalt David Schwarz plädierte angesichts der »schweren Übergriffe und erheblichen Verletzungen« für eine Haftstrafe, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden könnte: drei Jahre und elf Monate. Dem schloss sich Nebenkläger Steffen Kazmaier an, der zudem zu Bedenken gab, dass seine Mandantin wohl nie eine Chance auf Entschädigung habe. Der Antrag der Staatsanwaltschaft sei tat- und schuldangemessen.

Anders sah dies Verteidiger Hans-Christoph Geprägs, man wisse nicht, in welchem Zustand und in welcher Situation sich die beiden getroffen haben und wie die Verletzung entstanden seien. Der Vorfall mit dem Finger könnte versehentlich passiert sein, so der Anwalt, und auch die Erblindung habe der Angeklagte nicht absichtlich herbeigeführt. Immer hätten Alkohol und Drogen eine Rolle gespielt, er plädierte auf eine Bewährungsstrafe wegen einfacher und fahrlässiger Körperverletzung.

So zugetragen wie angeklagt

Das Schöffengericht hingegen hielt eine Haftstrafe für angemessen: Drei Jahre und neun Monate lautete das Urteil. Nach diesem langen Verfahren sei man überzeugt, dass sich die Taten so abgespielt haben, wie sie angeklagt waren. Die Geschädigte habe sich immer wieder ambivalent verhalten, habe die Situation mit geschaffen, aber es treffe sie keine Schuld. Besonders der Verlust des Augenlichts wiege schwer, »sie ist massiv beeinträchtigt fürs Leben«, betonte der Richter. Sollte der Angeklagte das Urteil annehmen und nicht in Berufung gehen, riet er ihm, die Zeit zu nützen, um von den Drogen wegzukommen und sich fortzubilden. (GEA)

 

Im Gerichtssaal

Richter: Eberhard Hausch, Schöffen: Karin Bachleitner und Thomas Hirsch. Verteidiger: Hans-Christoph Geprägs. Staatsanwalt: David Schwarz. Nebenklage-Vertreter: Steffen Kazmaier.