REUTLINGEN. Im Frühjahr 2020 brach die Coronapandemie über Deutschland herein. Kunden und Einnahmen fielen weg, doch die Kosten blieben. Rund 245.000 Kleinunternehmer und Soloselbständige nahmen in Baden-Württemberg die staatliche Corona-Soforthilfe in Anspruch. Doch war dies immer gerechtfertigt? Vor dem Amtsgericht Reutlingen fand jetzt der zweite Verhandlungstag eines Verfahrens der Staatsanwaltschaft Tübingen statt, bei dem einem 64-jährigen Diplomingenieur und seiner 95-jährigen Mutter vorgeworfen wird, sich die Hilfen erschlichen zu haben.
Der Ingenieur hatte angegeben, als freiberuflicher Berater im Maschinenbau- und KFZ-Bereich tätig zu sein und durch Corona erhebliche Einbußen gehabt zu haben. 7.990 Euro wurden ihm bewilligt, seiner Mutter weitere 9.000 Euro. Dass der Bescheid zunächst nicht zugestellt werden konnte, weil man unter den angegebenen Adressen keinen Geschäftsbetrieb finden konnte, rief die Polizei auf den Plan. Die Mutter war ursprünglich mitangeklagt, ihr Verfahren wurde aber wegen ihres hohen Alters abgetrennt und wird gesondert behandelt werden.
Eine Kriminalhauptkommissarin aus Reutlingen sagte als Zeugin aus. Sie gab an, bei den beiden genannten Gewerbeunternehmen in Neufra und Hettingen keinerlei Hinweis auf Geschäftstätigkeit gefunden zu haben. In Neufra gab es zwar Stellflächen, aber kein angemeldetes Gewerbe, in Hettingen eine Gewerbeanmeldung, aber keine Räumlichkeiten. Auch bei einer angemieteten Lagerhalle in Burladingen wurde keine Geschäftstätigkeit festgestellt. Die Staatsanwaltschaft sieht daher Subventionsbetrug als gegeben an. Die Frage von Richterin Selina Domhan, wovon der Angeklagte eigentlich lebe, konnte die Polizistin nicht beantworten. Überprüfte Konten wiesen zwar einen einzelnen Autoverkauf aus, ließen jedoch nicht auf eine geregelte Berufstätigkeit schließen.
Lange Liste von Zeugen
Verteidiger Joachim Bonin bemängelte, dass nicht sämtliche Konten überprüft worden seien. Auch sei das Gewerbe bereits zwei Monate, nachdem es 2015, nach dem Tod des Vaters des Angeklagten, abgemeldet worden sei, ordnungsgemäß wieder neu angemeldet worden. Bonin verlas Dutzende von Zeugen, die belegen könnten, dass der Angeklagte sehr wohl ein Gewerbe ausgeübt habe. Außerdem sei bei der ersten Hauptverhandlung die Möglichkeit diskutiert worden, dass das Verfahren gegen seinen Mandanten eingestellt werden könne, wenn dieser die empfangenen Staatshilfen von insgesamt 16.990 Euro zurückzahle. Bonin vermisste die Unterstützung der Staatsanwaltschaft. Man hätte durch ein Gespräch das Verfahren leicht beenden können. »Doch Sie haben unfair und unanständig gehandelt«, sagte er. »Ihre Vorgehensweise ist unbeschreiblich und eines deutschen Beamten nicht würdig.«
Staatsanwalt Elmar Jung, der beim ersten Termin nicht zugegen war, antwortete, es sei nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, Hilfestellung zu leisten. Seiner Auffassung nach reicht die bloße Zurückzahlung der Gelder als Wiedergutmachung nicht aus, der betreffende Paragraf 153a StPO könne in diesem Fall nicht zur Anwendung kommen. Nicht die Staatsanwaltschaft habe unfair gehandelt, sondern es sei vielmehr »unfair und eine Sauerei, den Staat zu betrügen«, so Jung. Er schlug vor, nicht sämtliche Zeugen vorzuladen, sondern sich auf einige der aussagekräftigsten zu konzentrieren. Bonin benannte den relevantesten. Außerdem sollten, sagte der Staatsanwalt, durch Finanzermittler alle Konten des Angeklagten überprüft werden.
Richterin Selina Domhan verwies auf den nächsten Verhandlungstag am 5. Juni. (GEA)