Logo
Aktuell Gesellschaft

»Café International« in Sickenhausen: Wo ein Wille ist, ist auch ein Tisch

Das »Café International« in Sickenhausen bringt Einheimische und Flüchtlinge miteinander ins Gespräch

Im Asylcafé Sickenhausen tauschen sich Flüchtlinge und Einheimische aus. Annette Horn (Mitte) war von Anfang an dabei. FOTOS: NI
Im Asylcafé Sickenhausen tauschen sich Flüchtlinge und Einheimische aus. Annette Horn (Mitte) war von Anfang an dabei. Foto: Markus Niethammer
Im Asylcafé Sickenhausen tauschen sich Flüchtlinge und Einheimische aus. Annette Horn (Mitte) war von Anfang an dabei.
Foto: Markus Niethammer

REUTLINGEN-SICKENHAUSEN. Zwei Schülerinnen sind die ersten, die an diesem Dienstagabend im Asylcafé in Sickenhausen einlaufen: Die zwölfjährige Sidra hat ihre neue Freundin mitgebracht, um ihr im Garten des Gemeindezentrums bei den Hausaufgaben zu helfen. Sidra wohnt seit fast anderthalb Jahren in der Flüchtlingsunterkunft am Ortsrand von Sickenhausen und kann sich schon sehr gut auf Deutsch unterhalten. Das andere Mädchen ist erst vor kurzem aus Syrien nach Deutschland geflohen. »Danke« und »Guten Tag« hat sie schon gelernt, aber im Gegensatz zur lebhaften und offenen Sidra hält sie sich scheu zurück und vermeidet den direkten Kontakt zu der Gruppe von Landsleuten und Einheimischen, die sich lebhaft am flugs aufgestellten Biertisch unterhält.

»Es war eine ganz gute Stimmung am Anfang«

Das Asyl-Café, oder besser: Café International, wie der wöchentliche Treff von Flüchtlingen, ehrenamtlichen Helfern und Interessierten heißt, ist kurz nach dem Bau der Unterkunft am Ortsrand auf die Beine gestellt worden. Damals, im Januar 2017, schwappte die Flüchtlingswelle so richtig nach Reutlingen. Schnell mussten Beherbergungsmöglichkeiten geschaffen werden. Heute ist das Heim in Sickenhausen eine von elf Gemeinschaftsunterkünften zur Anschlussunterbringung von mehr als 700 Flüchtlingen in Reutlingen. Mehr als 200 Menschen, die aus ihren Heimatländern flohen, haben auf Reutlinger Gemarkung außerdem Wohnungen bezogen. Das Landratsamt betreibt zudem zwei Gemeinschaftsunterkünfte mit 140 Flüchtlingen zur vorläufigen Unterbringung im Stadtgebiet.

In der gut ausgelasteten Anschlussunterbringung in der Hohenstaufenstraße in Sickenhausen haben bis zu 60 Menschen Platz. Ein Teil von ihnen hat das Asylverfahren bereits erfolgreich durchlaufen und kann sich zunächst innerhalb des Landkreises eine Wohnung suchen. Das wünschen sich wahrscheinlich alle Bewohner dort, aber es gelingt den wenigsten. Die Gemeinschaftsunterbringungen der Kommune bewahren sie immerhin vor Obdachlosigkeit. Eine städtische Sozialarbeiterin hat feste Sprechzeiten für sie eingerichtet und hilft zum Beispiel bei der Erledigung von Behördenkram.

Als klar war, dass auch Sickenhausen Flüchtlinge aufnehmen würde, ging eine Woge des Mitgefühls und der Hilfsbereitschaft durch den Ort, erinnert sich Annette Horn, selbst eine der ehrenamtlich Engagierten der ersten Stunde: »Es war eine ganz gute Stimmung.« Mehrere Dutzend Einheimische signalisierten damals Bereitschaft, zu helfen. Schnell war das Café International ins Leben gerufen, für das die Kirchengemeinde jeden Dienstag von 17.30 bis 19 Uhr Räume zur Verfügung stellt.

Inzwischen stehen nach Auskunft von Horn sogar noch mehr Ehrenamtliche auf der Helferliste. Tatsächlich seien aber nur zehn bis zwölf Bürger regelmäßig in der Flüchtlingshilfe aktiv. »Die anderen kann man fragen, wenn Not an Mann ist«, beschreibt Annette Horn. Für viele sei ein regelmäßiges Engagement schlichtweg ein Zeitproblem. Neben dem wöchentlichen Treffpunkt sei die Hausaufgabenhilfe montags und mittwochs in der Unterkunft die wichtigste Unterstützung. Die läuft über den Freundeskreis Flüchtlinge. Donnerstags wird im Rahmen der Erwachsenenbildung ein Deutschkurs für Frauen angeboten.

Mohammad Majuno kommt regelmäßig ins Asylcafé Sickenhausen. Die Sprache ist für ihn eine Hürde bei der Suche nach einem Ausbildu
Mohammad Majuno kommt regelmäßig ins Asylcafé Sickenhausen. Die Sprache ist für ihn eine Hürde bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Foto: Markus Niethammer
Mohammad Majuno kommt regelmäßig ins Asylcafé Sickenhausen. Die Sprache ist für ihn eine Hürde bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz.
Foto: Markus Niethammer

»Anfangs sind viele Flüchtlinge ins Café gekommen«, berichtet Jürgen Neuschäfer, der ebenfalls von Anfang an dabei ist. Die Flüchtlinge deckten sich mit Hilfe der Bevölkerung mit allem ein, was in der Unterkunft noch fehlte. »Mit der Zeit wurde aber klar, dass die Konversation sehr schwierig ist«, erklärt Annette Horn. Die meisten Flüchtlinge sprachen damals weder Deutsch noch Englisch, Französisch oder Spanisch. Inzwischen haben vor allem die Kinder und manche jungen Leute schon recht gute sprachliche Fortschritte erzielt. Manche machen über den Sport Kontakte zu deutschen Nachbarn. Richtig gut gelaufen sei das Dorffest im vergangenen Jahr: »Da haben die Flüchtlinge Kuchen gebacken und arabischen Kaffee ausgeschenkt. Da sind ordentlich Spenden zusammengekommen.«

Das Miteinander in der Unterkunft funktioniere mal besser, mal schlechter, hat Annette Horn beobachtet. Die häufigsten Herkunftsländer der Flüchtlinge im Landkreis sind Syrien, Irak, Nigeria, Gambia, Afghanistan, Somalia und Kamerun. Wo Menschen vieler Nationalitäten und Kulturen auf engem Raum zusammenleben und sich zum Beispiel Bäder und Küchen teilen müssen, sind Konflikte wohl programmiert.

»Wir Jüngeren haben Hoffnung, uns hier etwas aufzubauen«

Mohammad Majuno, der vor mehr als zweieinhalb Jahren mit Tante, Mutter und Vater aus dem syrischen Kriegsgebiet geflohen ist, war glücklich, als er und seine Angehörigen vor gut einem Jahr in eine private Wohnung umziehen konnten: »In den Gemeinschaftsräumen gibt es immer wieder Probleme, weil manche Bewohner zu laut sind oder nicht für Sauberkeit sorgen. Was in der einen Kultur normal ist, geht bei anderen gar nicht«, schildert er das Problem. Dass Annette Horn ihnen über die Stadtverwaltung eine eigene Wohnung vermietet, sei ein echter Glücksfall.

Mohammad Majunos Plan ist, seine schon sehr guten Deutschkenntnisse weiter zu verbessern, um einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Der 23-Jährige macht sich keine Illusionen, dass es für ihn zu einer kaufmännischen Ausbildung sprachlich bereits reichen könnte – auch wenn das sein Traum ist. Immerhin sei für ihn alles einfacher als für die ältere Generation: »Wir Jüngeren haben die Hoffnung, uns hier etwas aufzubauen.« (GEA)