Logo
Aktuell Innenstadt

Breuninger Reutlingen: Umsatzschwächster Standort?

Was Ecostra-Gutachter Joachim Will zur Lage der Innenstadt und zum Breuninger- Rückzug aus Reutlingen sagt.

Das Herz der Stadt an einem kalten Apriltag. Im Hintergund ist die Breuninger-Filiale zu sehen.
Das Herz der Stadt an einem kalten Apriltag. Im Hintergund ist die Breuninger-Filiale zu sehen. Foto: fop
Das Herz der Stadt an einem kalten Apriltag. Im Hintergund ist die Breuninger-Filiale zu sehen.
Foto: fop

REUTLINGEN. Dr. Joachim Will ist der Mann, der öffentlich Balsam auf die schwärende Reutlinger Wunde verreiben soll: Dass Breuninger als Begründung für den Rückzug aus Reutlingen »abnehmende Attraktivität der Innenstadt« angeführt hat, kratzt am Image der Stadt und hat weiträumig für schlechte Presse gesorgt. Entsprechend groß die Verärgerung unter anderem im Rathaus.

Der Geschäftsführer der Wiesbadener Unternehmensberatung Ecostra mit hinreichender Expertise in Sachen Standortentwicklung im Einzelhandel hat daher bei der Vorstellung des städtischen "Maßnahmenpakets zur Stärkung der Innenstadt" (der GEA berichtete) auch die Aufgabe, seine Ursachenforschung zum Abzug des renommierten Modehauses zu präsentieren: "Breuninger macht es sich einfach", so Wills Kurzversion.

» Breuninger macht es sich einfach «

Breuninger sei ein »Metropolenkonzept« und vor allem im oberen und Premiumsegment positioniert: Die Reutlinger Filiale sei aber »standort-, objekt- und sortimentsbezogen atypisch« und vermutlich der »umsatzschwächste Standort« im Portfolio. Die »Straffung des Vertriebsnetzes« sieht Will eher ursächlich als das vom Unternehmen ins Feld geführte Stadtumfeld. Verwinkelte Situation, Stufen auf der Verkaufsfläche: Das Objekt habe Handlungsbedarf, entspreche nicht mehr dem Konzept. Sprich: Es stünden umfangreiche Investitionen am Standort an.

Die Nachvermietung des Erdgeschosses der Immobilie und vermutlich auch des ersten Obergeschosses hält Joachim Will für unproblematisch. Breuninger sieht er in der Pflicht, das Haus nun zeitnah »zu einem marktadäquaten Preis« zu vermieten - oder es zügig zu verkaufen.

Der Wiesbadener - seit einem guten Jahr als Gutachter in den Diensten der Stadt - erhärtet Aussagen, die er bei der ersten Vorstellung des Innenstadt-Gutachtens im Herbst bereits gemacht hat. Der Standort Reutlingen habe sich »gut behauptet«. Als Parameter führte er dafür unter anderem eine »ordentliche« Zentralitätskennziffer an: Was bedeutet, der Kaufkraftzufluss ist höher als der -abfluss. Reutlingen liegt hier beispielsweise deutlich vor Tübingen.

»Der Standort Reutlingen hat sich gut behauptet«

Nicht die Umsätze, aber doch die Passantenfrequenz habe das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht. Die Ladenleerstände in der 1-A- und B-Lage seien zudem vergleichsweise gering. Und: Was heute noch nach ödem Leerstand ausschaut, ist teils längst wieder vermietet. So kommen mit Sostrene Grene und Betty Barclay Accessoire und Einrichtung sowie ein weiteres Modehaus in die Fußgängerzone.

Dass die Analyse so vergleichsweise positiv ausfällt, geht nach Einschätzung des Experten auch auf das Agieren von Verwaltung und Politik in der Vergangenheit zurück. Er sieht »kaum planerische Fehlentscheidungen«. So seien beispielsweise zentrenrelevante Sortimente nicht an die Peripherie verlagert worden: Insbesondere der wichtige Magnet Modehandel sei weiterhin zu 90 Prozent in der Stadt angesiedelt.

Eben diese Branche ist zugleich stark vom Onlineshopping bedroht. Jeder zweite Euro beim Modeeinkauf werde bald im Internet ausgegeben. Zudem habe Reutlingen besonders zu kämpfen als Einkaufsstandort mit großem Einzugsgebiet bis auf die Alb hinauf. Gerade dort bietet das Megakaufhaus Internet Alternativen ohne lange Anfahrt.

»Wir würden die Metzgerstraße noch nicht aufgeben wollen «

Wie kann die Stadt ihre Problemzonen anpacken? Etwa die Metzgerstraße? Sie ist für Will eine C-Lage. »Wir sehen die Lage problematisch, würden sie aber noch nicht aufgeben wollen.« Ideen seien gefragt. Über eine weitere Fußgängerzone, die zum Rundlauf mit der Wilhelmstraße einlädt, sinniert der Experte kurz und mit großer Skepsis. Die vorhandene Flaniermeile sei jetzt schon lang mit ihren rund 700 Metern.

Gleichwohl trüge der Durchfahrtsverkehr in der Metzgerstraße gepaart mit den schmalen Bürgersteigen nicht eben zur Aufenthaltsqualität bei. Ein Shared Space mit gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern wäre seiner Auffassung nach ein Ansatz, um die Straße aufzuwerten.

Generell findet der Experte Barber-Shops und Nagelstudios - auch in großer Anzahl - besser als Leerstand: »Das hat seine Nachfrage.« Das Areal um den Weibermarkt zu entwickeln, hält er für zielführend. Die geplante Biosphären-Manufakturenhalle M59 könne dabei helfen.

Anders als die Metzgerstraße, die mit spezieller Thematisierung »vielleicht noch stabilisiert« werden könne, sieht er derweil Nebenlagen wie südliche Kanzleistraße, Museumstraße oder Gerberviertel definitiv »kriseln«. Sie hätten ihre Funktion als Geschäftslage verloren.

»Die Geschäftslagen werden sich in allen Städten reduzieren und konzentrieren «

Kleinkriminalität, Müll, unzufriedene Anwohner: Über das Gerberviertel müsse sich die Stadt Gedanken machen, bestätigt Will auf Nachfrage. Das Wohnviertel werde aufgrund der günstigen Mieten wegen der maroden Gebäudesubstanz vor allem von Migranten belegt. Was die Immobilien betrifft, müssten die Eigentümer ran und investieren. »Die Stadt kann wenig machen. Das zu drehen, wird schwierig.« Einfluss hat man nur auf die Reutlinger Wohnungsgesellschaft GWG, die etliche verwahrloste Immobilien dort besitzt. Potenzial ist also da, um vom Trend Wohnen in der Stadt zu profitieren. »Wohnen belebt die Stadt, trägt zur Sicherheit bei.«

Belebung durch Handel sei jedenfalls an den letztgenannten Orten nicht mehr zu erwarten. Auch hier bilde Reutlingen keine Ausnahme, weiß der Gutachter: »Die Geschäftslagen werden sich in allen Städten reduzieren und konzentrieren.« (GEA)