REUTLINGEN/METZINGEN/WANN-WEIL. Es ist Sperrung Nummer drei zwischen Tübingen, Reutlingen und Metzingen binnen eines knappen halben Jahres und die zweite, die bis Nürtingen ausgedehnt wird: Von Freitag, 8. April, bis Freitag, 29. April, bewegt sich auf der sonst von tausenden Pendlern, Studierenden, Schülern und sonstigen Reisenden täglich genutzten Bahnstrecke nichts mehr außer Baufahrzeugen.
Sowohl die Linien RB 18 Tübingen – Osterburken und RE 12 Tübingen – Heilbronn als auch die besonders schnelle Linie IRE 6 Aulendorf/Rottenburg – Tübingen – Stuttgart fallen aus. Desgleichen die RB 63 zwischen Tübingen, Metzingen und Bad Urach. Ersatzweise heißt es, in Bussen Platz zu nehmen. Die sind länger unterwegs als die Züge und haben weniger Sitzplätze. In Zeiten von Corona-Allzeit-Inzidenz-Hochs drohen beengte Verhältnisse.
Wo wann was gebaut wird
In Wannweil ersetzt die Deutsche Bahn eine Brücke über die Kusterdinger Straße. Das geschieht in mehreren Schritten. Während der jetzigen Sperrung zwischen dem 8. und dem 22. April, jeweils 21 Uhr, wird die bestehende Brücke abgebaut und durch Hilfsbrücken ersetzt.
Im Reutlinger Stadtgebiet schafft im gleichen Zeitraum die Erms-Neckar-Bahn AG (ENAG), die die Infrastruktur für die Regionalstadtbahn (RSB) Neckar-Alb ausbaut, an den RSB-Haltepunkten Bösmannsäcker und Storlach/Innoport/RT-Unlimited weiter. Im Tübinger Stadtgebiet zwischen dem Hauptbahnhof und dem Haltepunkt Lustnau liegt der künftige RSB-Haltepunkt Neckaraue. An ihm wird am Freitag, 22. April, gearbeitet.
Der Bahnhof Metzingen ist seit November eine Großbaustelle, er wird barrierefrei ausgebaut. Bahnsteigarbeiten erfordern laut Deutsche Bahn vom 8. bis 29. April die Sperrung des Bahnhofs und damit der Verbindung nach Reutlingen und Nürtingen. Die DB-Pressestelle in Stuttgart ordnet die Bahnsteigarbeiten der ENAG zu, die nach eigenen Angaben aber nur das neue Gleis 4 samt Außenbahnsteig bauen wird – in dessen Baufeld derzeit jedoch ein Kran für die von der DB gebauten Aufzüge steht.
Gearbeitet wird auch im Bereich der Gleise 1 und 2. Da durch Metzingen alle Züge der Verbindung Tübingen – Reutlingen – Stuttgart kommen, ist diese gekappt. Auch auf der Ermstalbahn Metzingen – Bad Urach fallen wegen der Bahnhofssperrung alle Züge aus. In Bempflingen werden in der jetzigen Sperrpause die Bahnsteige verlängert. Bisher sind sie für etliche Züge der RB 18 zu kurz, weshalb aussteigende Reisende bei den betroffenen Zügen in Nürtingen oder Metzingen in den vorderen Zugteil umsteigen müssen.
Bei Riederich wird voraussichtlich am 12./13. April eine neue Eisenbahnbrücke in die Strecke eingeschoben, die dort parallel gebaut wurde. Ab Samstag, 23. April, soll sie befahrbar sein. Dann steht zwischen Tübingen, Reutlingen, Metzingen und Nürtingen zumindest ein Gleis wieder zur Verfügung und soll die Linie RB 18 der SWEG wieder verkehren.
Wie die Reisenden ans Ziel kommen
Die DB und die SWEG, die Abellio übernommen hat, verweisen einerseits auf die Ersatzbusse. Die fahren wie die Züge teils vergleichsweise schnell mit wenigen Halten, teils langsamer via Betzingen und Wannweil mit mehr Halten. Andererseits verweist die DB Reisende zwischen Tübingen und Stuttgart auf die Verbindung über die Ammertalbahn und Herrenberg, wo in die Stuttgarter S-Bahn-Linie 1 umgestiegen werden kann. Die Ammertalbahn fährt im Halbstundentakt und mit verlängerten Zug-Garnituren.
Wie Pendler reagieren
Den Pendler Julian Glas trifft die Sperrung nur bedingt. Er ist Referendar an einem Gymnasium in Reutlingen und fährt die Strecke zwischen Tübingen und Reutlingen täglich. Allerdings profitiert der angehende Sportlehrer von den Osterferien (14. bis 24. April), die in den betroffenen Zeitraum fallen. In den übrigen Tagen wird er versuchen, auf den Schienenersatzverkehr zu verzichten, »da man deutlich länger zur Arbeit benötigt«. Seine Hoffnung setzt er auf Fahrgemeinschaften mit Schulkollegen aus der Tübinger Umgebung.
Ansonsten will er sich ein Fahrzeug zulegen, »weil die Bahn nicht zuverlässig ist und auch nicht so viel günstiger als ein Auto«, nennt Julian Glas zwei wesentliche Gründe. Er zeigt trotzdem Verständnis für die Baustelle: »Klar, die Instandhaltung der Strecke ist wichtig, aber wenn es immer wieder vorkommt, ist das natürlich ungünstig. Das macht die Bahn unattraktiv und für den Service doch zu teuer.« Der Umwelt zuliebe plädiert er für öffentliche Verkehrsmittel, »aber in Deutschland wird der falsche Ansatz gewählt«, sagt Glas.

Auch Molham Kraibouj gehört zu den vielen Leidtragenden, die ab dem 8. April mehr Zeit für den Weg zur Arbeit einplanen müssen. Der Sozialarbeiter hat bereits Erfahrungen mit Schienenersatzverkehr bei der jüngsten Streckensperrung gemacht. Aus seiner Sicht sind überfüllte Busse in der momentanen Pandemielage mit Inzidenzen von weit über tausend kritisch zu betrachten.
Er hat zwar die Möglichkeit, seine Arbeitsstätte direkt am Reutlinger Bahnhof mit dem Auto zu erreichen, aber hier ergibt sich ein weiteres Problem: der Parkplatzmangel, der durch die Baustelle in der Bahnhofstraße verschärft wurde. Deshalb fiebert er dem Ende der Baustelle bereits jetzt entgegen. »Ich bleibe der Bahn als Kunde erhalten. Es ist außerdem wichtig, dass die Strecke wieder auf Vordermann gebracht wird. Zum einen sorgt das für mehr Sicherheit und zum anderen hoffentlich für weniger Verspätungen«, sagt der 35-Jährige.
Und wenn man sich sonst am Bahnsteig in Reutlingen umhört, ist die Streckensperrung in aller Munde. Ein älterer Herr versucht die anderen Pendler bei Laune zu halten: »Dann müssen wir halt wieder in den sauren Apfel beißen. Im Sommer fahren die Züge wieder normal«.
Wie die Bahn die Sperrungen erklärt
»Baumaßnahmen haben nicht nur bei der Bahn längere Vorlaufzeiten (Baurecht, Auftragsvergaben usw.)«, sagt eine Stuttgarter Bahnsprecherin, »sodass kurzfristige Anpassungen in der Regel nicht möglich sind. Arbeiten lassen sich aufgrund unterschiedlicher Planungsvorläufe i. d. R. nicht anders eintakten.« Die Sprecherin bedauert ausdrücklich die Einschränkungen für die Bahnkunden. »Auch arbeiten wir mit Hochdruck daran, die Prozesse zu verbessern, um künftig mehrmalige Sperrungen einer Strecke in einem kurzen Zeitraum zu vermeiden.«
Was der VCD kritisiert
Der Verkehrsclub Deutschland ist empört. »Es kann doch nicht sein, dass wegen Baumaßnahmen eine wichtige Bahnstrecke ein weiteres Mal für mehrere Wochen komplett gesperrt wird«, finden Dr. Susanne Eckstein und Peter Stary von der VCD-Kreisgruppe Reutlingen.
»Es muss doch möglich sein, die Bauarbeiten so zu organisieren, dass zumindest ein eingleisiger Verkehr möglich ist!« Den hat die Bahn wegen der sich dadurch verlängernden Arbeitsphasen bisher aber für weniger effektiv und kundenfreundlich gehalten als die Vollsperrung.
Was Tübingens OB Palmer fordert
Der bekennende Bahnfahrer und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat mit Blick auf die nahende Streckensperrung Anfang März an Thorsten Krenz, den Konzernbevollmächtigten der Deutschen Bahn für Baden-Württemberg, geschrieben.
Palmer bittet, »den Schienenersatzverkehr besser aufzustellen als im letzten Jahr. Die eingesetzten SEV-Busse waren nicht nur sehr lange unterwegs, sondern auch überfüllt.«
Wie es im Lauf des Jahres weitergeht
Schilder in den Zügen der Ammertal- und der Ermstalbahn zeigen: Die Sperrung im April wird nicht die letzte des Jahres sein. Auf beiden Strecken, die für die Regionalstadtbahn ausgebaut werden, stehen weitere Arbeiten an: zwischen Tübingen und Herrenberg vom 2. Mai bis zum 11. September, zwischen Metzingen und Bad Urach vom 7. bis 17. Juni und vom 1. August bis zum 9. September. Vom 14. Oktober bis zum 4. November ist die gesamte Verbindung Tübingen – Metzingen – Bad Urach erneut zu. (GEA)