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Aktuell Lebensqualität

Bürgerinitiative »Nachtruhe« macht in der Altstadt mobil

REUTLINGEN. »Wir haben das nicht voll im Griff«: Es klang ein bisschen nach Kapitulation, was Ordnungsamtschef Albert Keppler vor einiger Zeit im Finanzausschuss zum Thema Problemzone Kanzlei-/Oberamteistraße äußerte.

Nicht nur Events wie die Nachtschwärmer sorgen zunehmend für Ärger in der Altstadt.  ARCHIV-FOTO: NIETHAMMER
Nicht nur Events wie die Nachtschwärmer sorgen zunehmend für Ärger in der Altstadt. Foto: Markus Niethammer
Nicht nur Events wie die Nachtschwärmer sorgen zunehmend für Ärger in der Altstadt.
Foto: Markus Niethammer
Nun könnte der Handlungsdruck stärker werden. Eine Bürgerinitiative macht mobil gegen nächtlichen Lärm, Dreck, ungezügelten Autoverkehr und Wildpinkler in der Reutlinger Altstadt generell. »Nachtruhe Reutlingen« nennt sich die Gruppe, in der Anwohner aber auch Geschäftsleute ihren Unmut zu bündeln suchen. Mit Flyern in Briefkästen und Läden suchen sie Mitstreiter.

Die Nachtruhe-Mitinitiatoren Ute und Peter Beckmann und ihre Mitstreiter sehen eine Tendenz, die das Leben und Arbeiten in der Altstadt immer unattraktiver mache. »Die Freizeitgestaltung wird zunehmend nach außen verlegt.«

Die beiden wünschen sich die Altstadt ausdrücklich nicht als Insel, auf der um 22 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt werden. Auch die anderen Mitglieder der Gruppe seien »moderat«. »Wir sind keine Querulanten-Truppe. Wir suchen das Miteinander.«

»Wir sind keine Querulanten«
Die Beckmanns und ihre Mitstreiter ziehen dezidiert nicht gegen Events wie Nachtschwärmer oder lange Einkaufsnächte zu Felde, im Gegenteil. »Wir sind Stadtmenschen. Wir sind bewusst ins Zentrum gezogen.« Ihnen macht vor allem eine Bar in der Hofstattstraße zu schaffen. Die Straße wird zugeparkt trotz absolutem Halteverbot und Feuerwehrwehrzufahrt. Autolärm, Musik aus Autoradios, Gruppen, die sich bis tief in die Nacht hinein vor der Bar verlustieren, nerven die Anwohner.

Die Beckmanns haben’s im Guten versucht, haben mit dem Pächter gesprochen. »Er hat Verständnis geäußert. Geändert hat sich gar nichts.« Die beiden sind auch schon auf Gäste zugegangen, die vor der Kneipe rumorten. Derbe Beleidigungen seien die Folge gewesen, teils Bedrohungen, wie »wir wissen, wo du wohnst.« Das Polizei-Rufen nutze wenig. Bis die Beamten einträfen, seien die Störenfriede meist weg.

Wenig beeindruckte auch eine Großaktion des Ordnungsamts, bei dem alle Falschparker abgeschleppt wurden. Zehn Minuten danach sei alles wieder zugeparkt gewesen.

»Anfang des Jahres haben wir überlegt auszuziehen«, gesteht Ute Beckmann. Die Beckmanns haben’s nicht getan und stattdessen Verbündete gesucht. Die Resonanz sei positiv. Weit über 30 Altstadtbewohner stehen mittlerweile auf der Unterstützerliste, Geschäftsleute, aber auch Gastronomen der Reutlinger Gastro-Initiative (RGI). Der Kreis werde immer größer.

Die Gruppe sucht politische Unterstützung. In einem Schreiben hat sie sich an alle Gemeinderatsfraktionen gewandt. Eine Delegation hat das Gespräch mit Stadtverwaltung und Polizei gesucht. »Wir haben viel Verständnis geerntet, aber auch Achselzucken.« Die Personaldecke sei eben zu dünn.

Polizei und Ordnungsamt haben aber zugesagt, ein Konzept mit Lösungsansätzen zu erarbeiten. Darin soll unter anderem ein Vorschlag der Gruppe aufgegriffen werden, nach dem die Ordnungshüter bestimmte Brennpunkte über einen längeren Zeitraum hinweg schwerpunktmäßig kontrollieren.

Michael Simmendinger, Revierleiter bei der Reutlinger Polizeidirektion, erläutert auf Nachfrage, wie schwierig die beklagten Umtriebe in den Griff zu bekommen sind.

Wildpinklern und Müllsündern ist ohnehin schwer beizukommen, da sie in flagranti erwischt werden müssen. Gäste, die sich bis tief in die Nacht lärmend vor Gaststätten verlustieren, könne man theoretisch Platzverweise erteilen. Was nach Simmendingers Auffassung aber »unverhältnismäßig« wäre.

Wenn die Menschenansammlungen ein größeres Ausmaß angenommen haben, sei es ohnehin schwer, die Leute zur Raison zu bringen. Simmendinger kann sich zwar durchaus vorstellen, zu einem Fall von nächtlicher Ruhestörung »mal zehn oder zwölf Beamte hinzuschicken«, um sich Gehör zu verschaffen. Angesichts der vielfältigen anderen Aufgaben habe eine Ordnungswidrigkeit für die Polizei eben nicht die Priorität.

Das Amt für Öffentliche Ordnung kann Wirten Auflagen erteilen, wie Musikanlage leiser drehen oder einen Türsteher organisieren, der darauf achtet, dass Gäste keine Getränke nach draußen mitnehmen. Manche Nachtschwärmer bringen ihre Drinks aber längst selber mit.

Generell habe das Rauchverbot das Lärmproblem in den Innenstädten verschärft. »Ein Teil des Kneipenlebens wird nach draußen verlegt.« Mitschuld an der zunehmenden Problematik sei auch das Land, dass der Partylaune mit der Ausweitung der Sperrzeiten mehr Spielräume lässt. Die von der Bürgerinitiative geforderten stärkeren Kontrollen haben nach Simmendingers Erfahrung übrigens ihre Tücken: Wenn Ordnungshüter an einem Ort stärker Präsenz zeigen, verlagern Gäste ihre Aktivitäten auf andere Lokalitäten. (GEA)

Treff der Bürgerinitiative

Das nächste Treffen der »Nacht-Ruhe«- Initiative gegen Lärm, Vermüllung und Vandalismus in der Reutlinger Altstadt ist am 9. April um 19 Uhr in der Kali-Bar in der Katharinenstraße 8. (GEA)