REUTLINGEN. »To go« geht nur, wenn die Witterung passt. Denn Regen verwässert das Geschäft. Schnee auch. Stattdessen sollte es sonnig sein, zumindest aber trocken. Dann brummt der Laden und mit ihm eine Kaffeemaschine, die Michael Schneidereit neuerdings auf dem Reutlinger Wochenmarkt anwirft, um seiner Laufkundschaft bei anregenden Gesprächen anregende Getränke über die Theke zu reichen.
Vor gut einem Jahr hat der gebürtige Offenburger und studierte Betriebswirt beruflich auf ein »Coffee-Bike« umgesattelt, nachdem er zuvor in Ravensburger und Frankfurter Unternehmen seine Brötchen verdient hatte. Jedoch: Als Sohn eines Landwirts und als Mensch, der sich gerne an der frischen Luft aufhält, missfiel dem heute 37-Jährigen sein professionelles Büro-Dasein immer mehr. Weshalb er sich letztlich dazu entschloss, einen Neuanfang zu wagen und sich zum Barista, sozusagen zum Barkeeper für koffeinhaltige Heißgetränke, weiterzubilden.
Selbstständig wollte Schneidereit sein. Und seiner Leidenschaft für qualitativ hochwertigen Kaffee frönen. Außerdem – so sein Credo – wollte er ausschließlich fair gehandelte Bohnen verarbeiten: von Kaffeebauern aus Kolumbien, die nicht unter ausbeuterischen Bedingungen schuften müssen, sondern ein Auskommen mit ihrem Einkommen haben – und vor allem garantiert keiner helfenden Kinderhände bedürfen.
Mit und ohne Sirup
Kurz: Michael Schneidereit setzt auf ethisch und ökologisch ungetrübten Genuss, auf Cappuccino, Espresso, Mokka und Co., die reinen Gewissens geschlückelt werden dürfen – je nach Geschmack und Verträglichkeit mit Kuh-, Hafer- oder laktosefreier Bio-Milch zubereitet, auf Wunsch außerdem mit Geschmackssirup aromatisiert. Wobei es ein überwiegend junges Publikum ist, das zu Kreationen wie »Karamell-Schoko-Latte« greift. Denn das Gros seiner Kundschaft, verrät Michael Schneidereit, verlangt nach »Klassikern« jenseits US-amerikanischer Caféketten-Kultur.
Seit einem starken Jahr ist der 37-Jährige als professioneller Coffee-Biker unterwegs, seit November 2021 in Reutlingen. Mundpropaganda war’s, die den Kleinstunternehmer an die Echaz geführt und ihn dazu ermutigt hat, sich um eine Stand-Lizenz zu bewerben. »Ich hatte gehört, dass man hier die Innenstadt mit Events beleben möchte.« Das gab den Ausschlag. Und die amtliche Genehmigung folgte sogleich. Übrigens nicht wochenmarktgebunden, sondern für die Zeitspanne von Montag bis Samstag.
Werktags ist Schneidereit seither vorm Spitalhof zu finden – sofern das Wetter mitspielt und er nicht anderweitig gebucht wurde. Der Ausschank auf Firmenfeiern oder Hochzeiten stellt nämlich sein zweites geschäftliches Standbein dar. Jedenfalls dann, wenn die Corona- Restriktionen dies zulassen ...
Kein einfacher Start
Überhaupt: Covid. Für den »Coffee-Bike«-Betreiber sind die sozialen Auswirkungen des Virus’ und seiner Mutanten »Fluch und Segen zugleich«. Betriebswirtschaftlich desaströs seien Party- und Eventverbote, segensreich hingegen die Tatsache, dass die Pandemie das »To-Go« beflügelt hat – weil offenbar doch etliche Leute G-Regelungen, Impfnachweis und Maskenpflicht als lästig empfinden; oder weil sie schlichtweg Angst davor haben, mit Dritten in geschlossenen Räumen zu sitzen.
Für diese Klientel sind Michael Schneidereit und sein »Coffee-Bike« zweifellos eine willkommene Alternative. Und sie sind mit ein Grund, weshalb der gebürtige Offenburger trotz Corona das Risiko einging, vom Angestelltenstatus in die Selbstständigkeit zu wechseln. Denn dass es unter Pandemiebedingungen kein einfacher Start sein würde, dessen war sich der 37-Jährige vollauf bewusst.
Er selbst trinkt seinen Kaffee – eine Mischung aus 70 Prozent Arabica und 30 Prozent Robusta – übrigens am liebsten ohne Schnickschnack, »bloß mit einem Schuss Milch« und damit in etwa so, wie er Gästen in den frühen deutschen Kaffeehäusern – das erste seiner Art nahm anno 1673 in Bremen den Betrieb auf – serviert wurde.
Aus Äthiopien (Region Kaffa) stammend, hatte die Kaffeebohne, die streng genommen gar keine Bohne, sondern ein Samen ist, zu diesem Zeitpunkt bereits ihren unaufhaltsamen Siegeszug um den Globus angetreten. Über Afrika und den arabischen Raum war sie Ende des 15. Jahrhunderts ins Osmanische Reich gelangt, ehe der Augsburger Arzt und Orientreisender Leonhard Rauwolf den Kaffee Ende des 16. Jahrhunderts mit nach Bayern brachte. Derweil im 17. Jahrhundert Kaffeehäuser in Venedig und London, Wien und Paris ihre Türen öffneten. Wiewohl der Konsum des »Türkentranks« bald auch Kritik laut werden ließ.
Mit fünf Stundenkilometern
Man denke diesbezüglich nur an Johann Sebastian Bachs Kaffeekantate oder an Carl Gottlieb Herings bekannten Kanon »C-A-F-F-E-E, trink nicht so viel Kaffee«. Man denke außerdem an eine Anekdote, wonach der schwedische König Gustav III. einen Beweis für die Giftigkeit von Kaffee beizubringen versucht haben soll. Zu diesem Behufe hat seine Majestät angeblich zwei zum Tode verurteilte Häftlinge begnadigt, die dem Monarchen fortan als Versuchskaninchen dienen mussten. Der eine wurde genötigt, täglich größere Mengen Tee, der andere Kaffee zu trinken. Pointe: Beide wurden steinalt und überlebten sowohl den König als auch die ihnen zwecks Kontrolle zur Seite gestellten Mediziner.
Doch zurück ins Jetzt und Hier. Zurück zu Michael Schneidereit und seinem elektrisch betriebenen »Coffee-Bike«, das in voll beladenem Zustand nebst Inhaber im Sattel rund 550 Kilogramm auf die Waage und eine Geschwindigkeit von fünf Stundenkilometern auf die Straße bringt. Die mobile Kaffee-Bar kommt, weil mit Gas betreibbar, grundsätzlich ohne Stromanschluss aus und ist, wie Schneidereit sagt, »komplett autark«, mithin an jedem x-beliebigen Standort einsatzbereit.
»Das ist ein großes Plus«, findet der Neuzugang auf dem Wochenmarkt, der von den übrigen Beschickern »sehr freundlich aufgenommen« wurde. Und von den (konkurrierenden) Gastronomen drumrum? Von denen drang bislang nichts Negatives an Schneidereits Ohren. »Alles gut. Hier ist es prima!« (GEA)
DAS REZEPT
Kleine Muntermacher vom Blech: Kaffee-Plätzchen
Zutaten für den Teig: 250 g Butter 180 g Zucker 2 Päckle Vanillin-Zucker 2 Eier 200 g Mehl 3 Teelöffel Espresso- oder Kaffee-Instantpulver 120 g gemahlene Haselnüsse oder Mandeln Garnierung: 1 Tässchen Espresso (kalt) Puderzucker Mokkabohnen Zubereitung: Butter schaumig rühren und unter weiterem Rühren Zucker sowie Vanillinzucker einrieseln lassen und die Eier hinzugeben. Dann Mehl, Instant-Kaffee und Haselnüsse einarbeiten. Den Teig mindestens eine Stunde lang kühl stellen. Danach kleine Teighäufchen auf ein Blech setzen und bei 180 Grad hell backen. Nach dem Erkalten aus Puderzucker und kaltem Espresso eine sämige Glasur anrühren und diese auf die Plätzchen streichen. Auf den noch klebrigen Guss möglichst zentriert je eine Mokkabohne legen. (GEA)