»Die Diakonie ist ein wichtiger Teil der kirchlichen Arbeit«Ein Posten für sogenannte unständige, also nicht-beamtete Pfarrer ist’s, den die gebürtige Nagolderin hier bekleidet und den sie als »Chance, noch einmal etwas anderes anzupacken« begreift. Zumal sie schon während ihres Vikariats in Waiblingen mit dem Gedanken liebäugelt hatte, Diakonie-Luft zu schnuppern. Begründung: »Das ist ein wichtiger Teil der kirchlichen Arbeit, ein Bereich, wo man ganz nah dran ist an den Menschen. Das hat mich angesprochen.«
Angesprochen wurde sie außerdem von Susanne Haag, ihrer Reutlinger Amtsvorgängerin. Beide Frauen tauschten sich aus, hielten Kontakt. Irgendwann fiel dann die Entscheidung pro Asylpfarrstelle und Katrin Sältzer bezog das Büro in der Planie 17. Zuvor hatte sie erst in Marburg, später in Bern und Tübingen Theologie, Politikwissenschaft sowie Friedens- und Konfliktforschung studiert. Eine Fächerkombination, die sich jetzt als ausgesprochen hilfreich erweisen dürfte. Wiewohl, das räumt die 33-Jährige freimütig ein, theoretisches Wissen das eine, Praxiserfahrung hingegen etwas völlig anderes ist.
Letztere erdet. Sogar dann, wenn man, wie im Falle von Katrin Sältzer kaum zum Bau von Luftschlössern neigt und sich an Neuland lieber herantastet, als es mit großem Hallo zu erstürmen. Überhaupt scheint der frischgebackenen Reutlingerin jedwedes Draufgängertum wesensfremd.
Ruhig wirkt sie, freundlich-zurückhaltend, dabei aufmerksam und überlegt. Dazu passt, dass sich Sältzer für ihre ersten Schritte auf dem weiten Feld der Asylarbeit keine Hauruck-Aktionen vorgenommen hat. Gut zuhören will sie stattdessen, genau hinschauen und dabei die Kompetenzen und Strukturen vor Ort detailliert kennenlernen. Das, sagt sie sinngemäß, sei für den Anfang Herausforderung genug.
Demnach sind es keine fixen Pläne oder Ziele, die Katrin Sältzer an die Echaz mitgebracht hat, sondern – im Gegenteil – die Bereitschaft, sich ohne Wenn und Aber auf den Status quo einzulassen. Ihr bisheriger Eindruck: Es gibt ein solides Fundament, auf das sich trefflich aufbauen lässt. Gelegt wurde es von ihren Vorgängerinnen, vom Initiator des Reutlinger Asyl-Cafés, Günter Jung, und von einer erklecklichen Anzahl erfahrener Ehrenämtler. »Sie erleichtern mir das Eingewöhnen sehr.«
Erleichtern? Jawohl. Die Pfarrerin verharrt in der Gegenwartsform. Denn noch befindet sich die 33-Jährige in einer Art Sondierungsphase. Geprägt ist diese von Besuchen: in den Flüchtlingsunterkünften des Landkreises und den Asyl-Cafés einerseits, andererseits aber auch in öffentlichen Institutionen – vom Ausländer- übers Sozial- bis hin zum Ordnungsamt. Hinzu kommen Beratungsgespräche, Fortbildungen und, und, und.
»Das ist alles sehr spannend«, sagt Sältzer, die für sich mittlerweile erkannt hat, dass Asylarbeit »überwiegend situationsgesteuert abläuft, sich Themenschwerpunkte aus der Arbeit heraus ergeben« und – vor allem in puncto Einzelfallunterstützung – ein hohes Maß an Flexibilität erfordert. Hinzukommen Wechsel der politischen Windrichtung. Beispiel: Dezentralisierung.
»Wir brauchen Betreuungsangebote für Flüchtlingskinder«Ihrzufolge sollen, wie berichtet, Asylsuchende nicht länger in Massenunterkünften zusammengepfercht, sondern auf kleinere Wohneinheiten verteilt werden. So jedenfalls der in Stuttgart formulierte grün-rote Wille. Allein: Vor Ort fehlt es momentan an tauglichen Gebäuden und an Vermietern, die Raum zur Verfügung stellen. Das bremst. Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass eine veränderte Regierungs-Denke noch keine Fakten schafft. »Sie ist ein Schritt in die richtige Richtung«, findet Sältzer. »Aber wir stehen trotzdem noch ganz am Anfang.«
So wie sie selbst, die beim guten Zuhören und genauen Hinschauen zwischenzeitlich einen Missstand entdeckt hat, dem entgegenzuwirken ihr spontan ein Herzensanliegen wurde: die Situation der Flüchtlingskinder in Reutlingen. »Wir brauchen«, sagt Katrin Sältzer, »Betreuungsangebote. Wir müssen dahin kommen, dass Flüchtlingskinder vollwertige Bildungs-Teilhabe-Gutscheine erhalten. Die Bereitstellung von Schulmaterial allein reicht nicht. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass für diese Kinder der Start ins Leben nicht vollends missglückt.«
Wir. Unwillkürlich wechselt Reutlingens Asylpfarrerin in den Plural. Das Pressegespräch hat gesamtgesellschaftliche Dimensionen erreicht. Neulich, entsinnt sich Katrin Sältzer, sei in einer der einschlägigen TV-Talkshows der Satz gefallen, dass Europa »die Flucht weniger attraktiv machen« dürfe. Diese Äußerung hat sie entsetzt. Flucht und attraktiv? »Das schließt sich doch von vornherein aus. Keiner verlässt seine Heimat ohne Not. Die Menschen fliehen, weil sie zu Hause nichts mehr zu verlieren haben. Flucht ist niemals eine Entscheidung aus Lust und Laune heraus, sie ist fast immer die einzige Alternative.«
Deshalb sind verschärfte Abschottungsmaßnahmen an Europas Grenzen ihrer Meinung nach auch keine Lösung. »Wer so verzweifelt ist, dass er alles riskiert, wird sich davon nicht abschrecken lassen.« Der werde sein Glück versuchen – komme, was da wolle; und sei’s der jämmerliche Tod durch Ertrinken vor Lampedusa oder Sizilien. (GEA)
Zur Lage der Flüchtlinge im Landkreis Reutlingen
Syrische Kontingentflüchtlinge gibt es, so Asylpfarrerin Katrin Sältzer, derzeit keine im Kreis Reutlingen. Dennoch ist die Zahl derer, die hier Zuflucht suchen, gestiegen. Davon zeugt nicht zuletzt die Situation in der Betzinger Behelfsunterkunft, in der aktuell über 250 Asylbewerber leben.Heißt im Klartext: Das ehemalige Möbellager in der Carl-Zeiss-Straße ist komplett belegt, wie Sältzer weiß. Die Kapazitäten sind hier mithin erschöpft.
In summa zählt der Landkreis Reutlingen momentan 450 Flüchtlinge. Verteilt wurden sie auf Unterkünfte in Münsingen, Trochtelfingen, Engstingen, Bad Urach sowie auf das Dettinger Containerdorf beim Freibad.
Seit der Bereitstellung der »Stauferburg« für Asylbewerber zu Beginn dieses Jahres leben Flüchtlinge außerdem in Unterhausen. Dieses Notquartier bietet bald 50 Asylbewerber ein Dach über dem Kopf.
Soweit der Status quo. Katrin Sältzer und andere in der Asylarbeit Engagierte rechnen jedoch damit, dass bis Ende des Jahres weitere Zufluchtsuchende nach Reutlingen kommen werden. Deshalb wird händeringend nach Wohnraum gesucht. Dies freilich bislang mit eher geringem Erfolg, wie Asylpfarrerin Sältzer beobachtet. (ekü)