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Arbeitskreis Asyl Reutlingen: Keine Zwei-Klassen-Gesellschaft bei Flüchtlingen

Die Asylpfarrerin Ines Fischer und ehrenamtliche Betreuer vom Arbeitskreis Flüchtlinge Reutlingen fordern eine Gleichbehandlung aller Flüchtlinge.

Viel zu tun im Betzinger Asylcafé: Die Ehrenamtlichen Gerd Krauß (links) und Günter Jung (rechts) im Beratungsgespräch mit Arno
Viel zu tun im Betzinger Asylcafé: Die Ehrenamtlichen Gerd Krauß (links) und Günter Jung (rechts) im Beratungsgespräch mit Arno Daris Yodjeu und seiner Dolmetscherin Karen Barkat. FOTO: PIETH
Viel zu tun im Betzinger Asylcafé: Die Ehrenamtlichen Gerd Krauß (links) und Günter Jung (rechts) im Beratungsgespräch mit Arno Daris Yodjeu und seiner Dolmetscherin Karen Barkat. FOTO: PIETH

REUTLINGEN. »Flucht ist unser Thema«, sagt Asylpfarrerin Ines Fischer stellvertretend für die Ehrenamtlichen vom Arbeitskreis (AK) Flüchtlinge. Ein Thema, das durch die vielen aus der Ukraine geflohenen Menschen jetzt eine neue Facette bekommt. Einerseits erleben die Mitglieder des Arbeitskreises ein, so Fischer, »großartiges Engagement« für die Neuankömmlinge. Andererseits stellen sie fest, dass die Ukraineflüchtlinge einen anderen, besseren Status haben. »So, wie ihn alle Geflohenen haben sollten«, meint Fischer. Deshalb fordert der Arbeitskreis Gleichbehandlung. »Im Sinne der Menschlichkeit«, sagt Gerd Krauß vom Leitungsteam.

Der Arbeitskreis Flüchtlinge kümmert sich mit seinen 24 Initiativen in seinen Asylcafés und Beratungsstellen seit 1997 um Sorgen und Nöte Geflüchteter. Ein Dauerbrenner: das Bleiberecht. Für Ukraineflüchtlinge kein Thema, denn die EU hat für sie die Massenzustrom-Richtlinie in Kraft gesetzt. Sie haben einen humanitären Aufenthaltstitel, Zugang zu Arbeit, Bildung, Sozialleistungen, medizinische Versorgung. Asylverfahren bleiben ihnen erspart.

»Wir können nur einladen, sich mit uns zu vernetzen«

Das, findet Ines Fischer, würde sie sich auch für andere Geflüchtete wünschen. »Die Massenzustrom-Richtlinie hätte man schon 2015 umsetzen können.« Gerd Krauß verweist auf den Krieg in Syrien. »Der gleiche Aggressor, das gleiche Vorgehen, das zu einer Fluchtbewegung geführt hat. Und genauso grauenhaft: Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht.« Zwar sei die Hilfsbereitschaft in Deutschland anfangs groß gewesen, dann aber abgeflaut. Bleibe zu hoffen, dass das »begeisternde Engagement« für die Schutzsuchenden aus der Ukraine kein Strohfeuer sei, meint Traugott Huppenbauer vom AK-Leitungsteam.

Weder im Asylcafé Römerschanze, in dem er aktiv ist, noch im Betzinger Pendant sind bisher Ukraineflüchtlinge aufgetaucht. Vielleicht, weil sie die Anlaufstellen noch nicht kennen oder eigene Netzwerke haben, mutmaßt Krauß, der sich in Betzingen engagiert. Sollte sich das ändern, geht er davon aus, dass es vor allem Alltagsfragen sind, bei denen die Kriegsflüchtlinge Hilfe brauchen.Probleme mit Behörden, dem Jobcenter, bei manchen Schulden – das sind die Themen, mit denen aber auch die Geflüchteten, die schon seit vielen Jahren in Reutlingen leben, in die Asylcafés kommen. Die allerdings sind, sagt Gerd Krauß, schon lange in einer »Engpass-Situation«, die sich durch Corona verschärft habe: Ältere Ehrenamtliche blieben weg, »uns blieb nur noch Zeit für den Papierkram«. Mit den vier bis fünf Beratern und einer begrenzten Stundenzahl könnten nur die dringendsten Fälle bearbeitet werden. Kämen viele Ukraineflüchtlinge dazu, wäre das mit dem vorhanden en Mitarbeiterstamm kaum zu stemmen, sind sich Krauß und Huppenbauer einig. »Wir gehen auf dem Zahnfleisch.« Notfalls müsse sondiert werden, welche Tätigkeiten am wichtigsten sind – egal, aus welchem Land die Ratsuchenden kommen.

Verstärkung zu finden dürfte nicht schwierig sein, schließlich ist die Hilfsbereitschaft groß. »Wir haben aber noch keinen Überblick und können nur einladen, sich mit uns zu vernetzen«, sagt Traugott Huppenbauer. In den eigenen Reihen gibt es bereits Gruppen, die sich speziell um Ukraineflüchtlinge kümmern. Ein ehemaliger Arbeitskreis hat sich zu diesem Zweck neu organisiert, ein anderer ist in einer Unterkunft aktiv. Bei Problemen von Geflüchteten, für die es viel Zeit oder Fachkompetenz braucht, müssen die Ehrenamtlichen passen. Sie leiten weiter an Einrichtungen wie Diakonie, Arbeiterwohlfahrt oder die psychiatrische Fachklinik PP.rt. »Aber da ist alles voll«, sagt Gerd Krauß. Auch die Anlaufstellen für Geflüchtete mit Traumastörungen. Viele Syrer, Afghanen und Afrikaner, die im Betzinger Asylcafé Hilfe suchten, seien nicht nur durch den Krieg in ihrer Heimat, sondern auch durch die Erlebnisse auf der Flucht schwer traumatisiert. »Es wird nicht besser, wenn ihnen nicht geholfen wird. Aber das können wir nicht auch noch lösen.«

»Wir müssen eine Ungerechtigkeit im System rechtfertigen«

Psychosoziale Betreuung brauchen aber auch viele Ukraineflüchtlinge. »Die Regelbetriebe sind nicht gut ausgestattet, es braucht mehr Personal«, stellt Ines Fischer fest. Schließlich sollten alle Hilfe bekommen und die, die schon lange darauf warten, nicht »hinten runter kippen«, warnt sie vor einer Bevorzugung der Geflüchteten aus der Ukraine.

Gratiskarten fürs Busfahren oder Kinos, kostenlose Tanzkurse oder Haarschnitte, psychologische Notfallsprechstunden – es gibt viele Angebote speziell für Ukraineflüchtlinge. »Das ist echt toll«, sagt Asylpfarrerin Fischer. Noch toller fände sie es, wenn alle Geflüchteten einbezogen würden. »Es darf keine Flüchtlinge erster, zweiter, dritter Klasse geben«, fordert sie. Weniger in den Asylcafés als in ihrer Beratung ist das längst ein Thema. Und für die Asylpfarrerin eine, wie sie sagt, »Riesenherausforderung«: »Wir müssen anderen Geflüchteten gegenüber eine Ungerechtigkeit im System rechtfertigen, die wir nicht geschaffen haben und nicht wollen.«

Als Beispiel nennt sie den Aufenthaltsstatus oder den Familiennachzug, auf den sie in ihrer Beratung immer wieder angesprochen wird. Auch von afghanischen Ortskräften. »2 800 sind da, 7 000 haben eine Zusage. Aber sie kommen nicht raus, da tut sich nichts.«

Gerd Krauß sieht in der Welle der Hilfsbereitschaft für Ukraineflüchtlinge eine Chance, weil dadurch das Thema Krieg und Flucht in den Fokus rückt. »Wir müssen das Momentum nutzen, um begreiflich zu machen, dass es alles Menschen sind und es zwischen der Familie aus der Ukraine und aus Syrien keinen Unterschied gibt.« (GEA)