REUTLINGEN. Selbst kleinste Beträge helfen in Fällen echter Bedürftigkeit. Seit 20 Jahren beweist das der Reutlinger Hilfsverein Integramus. Seine Geschichte beginnt mit einem All-inclusive-Urlaub von Luba Maier und ihrem Mann in Afrika, der das Leben der beiden verändert. Im Angesicht der Not von Kindern in Kenia schauen sie nicht weg, sondern tun etwas. Heute ist Integramus sowohl in der Region Reutlingen als auch in Afrika und der Ukraine aktiv. Es ist bewegend, was Luba Maier zu erzählen hat.
»90 Kinder in einem Raum ohne Stühle und Tische. Alle auf dem Boden, keine Toiletten«, berichtet sie von ihrer ersten Begegnung mit den Verhältnissen an der Mwamanga Primary School in Kenia. Das war 2003, als sie und ihr Mann in Afrika Ferien verbringen. Das Paar tut etwas, was normale Touristen unterlassen: Maiers finden einen ortskundigen Führer, der sie mit dem Auto raus aus der Luxusoase hin zu den normalen Menschen fährt. Mit dem unbeschwerten Urlaub ist es danach vorbei. »Mich und meinen Mann hat das so betroffen gemacht, da haben wir uns gesagt: Da muss man etwas tun«.
»Ein warmes Essen für 110 Kinder kostet 50 Euro am Tag«
Denn in Afrika ist die Not so groß, dass aus deutscher Sicht bescheidene Mittel beeindruckend wirken. »Ein warmes Essen für 110 Kinder kostet 50 Euro am Tag«, rechnet die 66 Jahre alte – aber erheblich jünger wirkende – Luba Maier vor. Dann zeigt die 1957 in der westurkainischen Stadt Lwiw geborene freiberufliche Übersetzerin und Deutschlehrerin einige Fotos von glücklichen Kindern beim Mittagessen. Die Mwamanga Primary School wird zum ersten Hilfsprojekt von Integramus, ist mittlerweile komplett renoviert und mit Möbeln und Sanitärräumen ausgestattet. Alles finanziert durch die Spenden eines am 5. August 2004 gegründeten winzigen Vereins aus Reutlingen.
Integramus e.V.
Die Integration der ausländischen Mitbürger in Deutschland und die Entwicklungshilfe in Afrika und Osteuropa sind zwei der Hauptbetätigungsfelder von Integramus. Auf der Website des gemeinnützigen Vereins finden sich zu allen Projekten Berichte und Bilder sowie natürlich auch die Nummer des Spendenkontos.
In einem Buch mit dem Titel »Mein Orangensohn« hat die Vereinsvorsitzende Luba Maier »wahre Geschichten aus und über Afrika« aufgeschrieben. Die Kapitel sollen zeigen, »wie Hilfe dort geleistet wird, wo sie dringend gebraucht wird, und damit im Kleinen Großes und Bedeutendes bewegt werden kann«. (zen)
Nur acht Mitglieder aus vier verschiedenen Nationen hat der Verein in seinem 20. Geburtstagsjahr: drei aus Deutschland, drei aus der Ukraine, eines aus Weißrussland sowie eins aus Togo/Ghana. Das reicht Luba Maier, denn sie mag keinen aufgeblähten Verwaltungsapparat, der schnelle und direkte Hilfe verzögern würde. Im Laufe der Jahre ist einiges getan worden. Seit der Eröffnung des Integramus-Kindergartens im kenianischen Biga im September 2007 bekommen die Kinder im Alter zwischen drei und sieben Jahren täglich eine warme Mahlzeit, sauberes Wasser, medizinische Versorgung, Schuluniformen und einen qualifizierten Unterricht. »Die meisten von ihnen sind Waisen oder Halbwaisen. In den letzten 10 Jahren wurden über 900 Kinder versorgt«, sagt Luba Maier. Gebaut wurden auch zahlreiche Brunnen. Im westafrikanischen Dorf Anfoko/Togo baute Integramus eine Schule und in Kenia ein Schulgebäude mit drei Klassenzimmern und einem Lehrerzimmer sowie ein Sanitärgebäude mit vier Toiletten. Letzteres hat erstaunliche Auswirkungen gehabt. Es ist eine der Anekdoten, die die Vereinsgründerin gerne erzählt – mittlerweile hat sie sogar ein Buch mit dem Titel »Mein Organgensohn« voller bewegender Geschichten aus Afrika geschrieben. Aber die Folgen der Schultoiletten sind eine extra Erwähnung wert.
»Mir wurde gesagt, die Eltern seien sauer auf mich«, erzählt Maier. Wieso das denn? »Weil ihre Kinder nunmehr auch zu Hause saubere Toiletten haben wollten«, spricht sie weiter. Wirklich sauer ist niemand auf »Mama Luba«, wie sie liebevoll von den Menschen in Afrika genannt wird, denen sie helfen konnte. Auch in der Region Reutlingen ist Integramus aktiv. »In unseren Projekten und Gesprächskreisen arbeiten wir an der Verbesserung der Deutschkenntnisse, unterstützen die Betroffenen bei verschiedenen Problemen, geben unsere Erfahrungen weiter«, erklärt Maier. Schon seit Jahren ist der Verein darüber hinaus auch in der Ukraine aktiv. Das Engagement ist mit Beginn des russischen Angriffskrieges erheblich ausgeweitet worden. Einer Schule haben die Reutlinger beim Austausch der maroden Heizung geholfen, daneben ein Waiserhaus für Behinderte unterstützt. Auf die Frage, wieso der Verein so viel in der Ferne hilft, wo es in der Nähe auch jede Menge Not gibt, hat Luba Maier drei überzeugende Antworten. Erstens gehe es darum, überhaupt aktiv zu werden. Zweitens bedeute die Sicherstellung eines »halbwegs menschenwürdigen Lebens in Afrika« auch eine Fluchtursache weniger. Und drittens »fragen sowas meistens die Leute, die nix tun«. Nach diesen Ansagen blättert sie mit zufriedenem Gesicht in Geschichten und Bildern von Menschen, denen der Verein geholfen hat. (GEA)