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Aktuell Offener Brief

AfD-Stammtisch in Reutlinger Sportheim? Wirt und Verein weisen Vorwürfe zurück

Das Bündnis "Gemeinsam & Solidarisch gegen Rechts Reutlingen und Tübingen" wirft einem Reutlinger Sportheim vor, der AfD einen Raum für ihren Stammtisch zu bieten. Das weisen der Vereinsvorsitzende und der Wirt des Vereinsheims von sich. Beide distanzieren sich von jeglichem Extremismus. Der Vereinsvorsitzende erhebt im Gegenzug selbst Vorwürfe gegen das Bündnis.

Ein durchgestrichenes AfD-Logo auf einem Schild bei einer Demo gegen Rechts am 20. Januar in  Koblenz (Rheinland-Pfalz).  Mit ei
Ein durchgestrichenes AfD-Logo auf einem Schild bei einer Demo gegen Rechts am 20. Januar in Koblenz (Rheinland-Pfalz). Mit einem Offenen Brief möchte auch das Bündnis »Gemeinsam & Solidarisch gegen Rechts Reutlingen und Tübingen« ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen. Foto: Thomas Frey/dpa
Ein durchgestrichenes AfD-Logo auf einem Schild bei einer Demo gegen Rechts am 20. Januar in Koblenz (Rheinland-Pfalz). Mit einem Offenen Brief möchte auch das Bündnis »Gemeinsam & Solidarisch gegen Rechts Reutlingen und Tübingen« ein Zeichen des Widerstands gegen rechtsextreme Umtriebe setzen.
Foto: Thomas Frey/dpa

REUTLINGEN. Das Bündnis »Gemeinsam & Solidarisch gegen Rechts Reutlingen und Tübingen« hatte Ende vergangenen Jahres den Orschel-Hagener Sportverein SG Reutlingen sowie den Pächter von dessen Vereinsgaststätte kontaktiert. Mit der Bitte, dem AfD-Kreisverband keine Räume zur Verfügung zu stellen. Nun wendet sich das Bündnis, dem 18 Gruppen – vom Reutlinger Arbeitskreis Flüchtlinge über den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) mit IG Metall und Verdi, Fridays for Future und die »Zelle« bis hin zur antifaschistischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Reutlingen und Tübingen-Mössingen – angehören, mit einem »Offenen Brief« an die Öffentlichkeit. Thema: »Der AfD die Räumlichkeiten entziehen!« Weitere 32 Gruppierungen und Einzelpersonen aus Gesellschaft und Gemeinderat unterstützen das Schreiben, das am Mittwoch nach der Mail an die Presse auch in den sogenannten Sozialen Medien veröffentlicht werden soll.

Der Kreisverband der AfD richte einmal im Monat einen Stammtisch in der Vereinsgaststätte "Split" aus", erklärt der Pressesprecher des Bündnisses, Joachim Böck. "Nachdem wir sowohl den Verein als auch den Wirt der Gaststätte weder am Telefon noch per E-Mail davon überzeugen konnten, der AfD ihre Räumlichkeiten zu entziehen", appelliere man nun öffentlich an die SG und den Inhaber des Restaurants, den "rechten Rattenfängern" keinen Versammlungsort mehr zu bieten. Denn: "Die aktuellen Rechercheergebnisse zeigen: Wir müssen jetzt gegen die AfD und ihre menschenfeindlichen Pläne aktiv werden. Im Kampf gegen Rechts braucht es so viele von uns wie möglich", begründet er den Offenen Brief.

Beide Adressaten fordert das Bündnis auf, »klare Kante gegen Rechts zu zeigen«. Der Beweggrund der Autoren: »Die AfD hat sich seit dem Jahr ihrer Gründung stetig weiter nach rechts entwickelt. Einst als eurokritische, neoliberale Partei ins Leben gerufen, hat sich mittlerweile der faschistische Flügel um Björn Höcke durchgesetzt«, heißt es in dem Offenen Brief.

Mit den aktuell hohen Umfragewerten der Partei werde überall ein Rechtsruck spürbar. Die Hetze gegen Geflüchtete nehme zu und münde etwa in offen rechten Bürgerinitiativen wie in Asperg und Albstadt.

»Die AfD verschiebt Diskurse nach rechts und macht sag- und machbar, was vor einigen Jahren noch undenkbar war. In ihrem Windschatten können sich gewaltbereite Nazis wie ›der Dritte Weg‹ beispielsweise in Reutlingen ausbreiten«, argumentiert die Initiative. »Gerade jetzt ist es also besonders wichtig, Position zu beziehen, Haltung zu zeigen und sich der Normalisierung der AfD entgegenzustellen!«

Einen erheblichen Teil bei dieser »Normalisierung« mache die Verfügbarkeit von Räumlichkeiten in Gaststätten, Cafés und Vereinen aus, in denen sich die Parteianhänger ungestört treffen können. »Dort sollen neue Unterstützer gewonnen und politische Inhalte vermittelt werden, es werden Kontakte geknüpft, und man vernetzt sich.«

Sowohl Vorstandsvertreter des Vereins als auch »Split«-Pächter Dejan Tolic distanzieren sich explizit von jeglichem rechten oder extremistischen Gedankengut. »Vor 80 Jahren hat’s genau so angefangen. Leider Gottes«, sagt der kroatischstämmige Wirt auf Nachfrage. Ihm zufolge war ein Treffen der AfD Anfang Januar aber eine einmalige Sache. Die Umsätze schrumpfen, erklärt er. »Da war ich froh über die Einnahmen.« Er habe gar nicht drüber nachgedacht, wer das sei. Seit er von den Correctiv-Recherchen gelesen habe, sei er entsetzt und beschloss, in Absprache mit dem Verein, künftigen Anfragen der AfD nicht mehr nachzukommen.

Der Vereinsvorsitzende Raimund Eckmann betont: »Das, was in dem Brief dargestellt ist, hat gar keine Grundlage.« Es gebe keinen regelmäßigen Termin der AfD im Vereinsheim.

Auf eine E-Mail eines Vertreters jenes Bündnisses, von dem er zuvor noch nie gehört hatte, sei ein Telefonat vereinbart worden, das jener dann zunächst nicht wahrgenommen und stattdessen während einer Jugendtrainingsstunde angerufen habe. Da mit dem »Split«-Betreiber ein Pachtvertrag bestehe, habe der Verein in Bezug auf dessen Entscheidungen keine Handhabe.

Zudem beruft er sich auf die in der Satzung festgeschriebene Neutralität des Vereins: »Wir sind kein politischer Akteur und wollen uns nicht auf eine politische Ebene begeben. Hierbei verstecken wird uns nicht, sondern konzentrieren uns auf unsere Aufgaben«, betont Eckmann. »Dabei leben wir Toleranz, erleben Toleranz und leben Sie vor – jeden Tag.«

Neutralität gebe es nicht in der Frage, ob man Rechten eine Plattform bietet, hält das Bündnis »Gemeinsam & Solidarisch gegen Rechts« dagegen.

Der Kölner Sportrechtsprofessor Martin Nolte stellte schon 2021 in seinem fast 60-seitigen rechtswissenschaftlichen Gutachten »Parteipolitische Neutralität von Sportvereinen« klar: »Sportvereine haben das Recht zu gesellschaftspolitischen Positionierungen im Rahmen ihrer Meinungs- und Versammlungsfreiheit.« Dabei beruft er sich auf Artikel 5 und 8 im Grundgesetz. Da sich »antidemokratische, menschenfeindliche sowie rassistische Verhaltensweisen in Deutschland« damals bereits mehrten, habe die Jugendorganisation DSJ des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) 2019 das Maßnahmenpaket »Sport mit Courage« verabschiedet, inklusive der Entwicklung einer Handreichung »Rechtssicherheit – Umgang mit Vermietungen, Einladungen und Fragen der Neutralität«. (GEA)