REUTLINGEN. Pop-up-Stores, Kultur-Ideen, Bewegungs-Angebote und Gastronomie: Es gibt viele Ideen für das geschlossene Kaufhaus in Reutlingen. Jetzt stehen die Rahmenbedingungen für die Zwischennutzung fest. Sie beziehen sich auf das Flächenangebot, den zeitlichen Rahmen und die Kosten für die künftigen Nutzer.
Die Mutmaßungen darüber, was aus dem Reutlinger Galeria-Kaufhof-Gebäude wird, schossen zuletzt ins Kraut. Jeder und jede will etwas gehört oder gelesen haben: Hundehotel, Elektroladen, Fitness-Center, Trampolinhalle? Ein Udo's Snack-Outlet? Möbel-Discounter? Oder »etwas ganz anderes, das so gar nichts mit Shopping zu tun hat«? Luxus-Wohnungen! Viele haben eine klare Vorstellung davon, was die Stadt dringend bräuchte – und was verzichtbar ist. Das Thema interessiert – und polarisiert. Je weniger man tatsächlich weiß, desto mehr. Positiv daran: Es ist den Menschen keineswegs egal, was im Zentrum »ihrer« Stadt entsteht, nachdem das Kaufhaus im ehemaligen Horten-Bau im Januar endgültig die Tore schloss.
Fest steht: Reutlingen ist damit keineswegs allein. Viele Städte sahen sich zuletzt mit der Situation konfrontiert, im Zentrum einen auffälligen weißen Kasten mit charakteristischer Fassade stehen zu haben. Hunderte Wabenkacheln aus den 1960er-Jahren – und nichts dahinter. Außer Leerstand, das große Schreckenswort. Nachdem »Galeria Karstadt Kaufhof« sukzessive immer mehr Filialen schloss, ertönt der Ruf nach neuen Innenstadtkonzepten.
Von der Kita zum Kletterzentrum
Doch jede Krise ist auch Chance. Anderswo wurden durch Zwischennutzungen in den vergangenen Jahren verlotterte Ecken ganz neu belebt – Paradebeispiel ist die »Kufa Kulturfahrschule« vor einigen Jahren in Ulm. In Recklinghausen soll in den oberen Etagen des ehemaligen »Karstadt-Bettenhauses« eine Kita einziehen. »Demnächst toben auf dem Dach Kinder und fahren auf einer Bobycar-Rennstrecke um die Wette«, berichtet der WDR. Ein Hotel, eine Zahnarztpraxis und ein Supermarkt seien »bereits in das alte Kaufhaus eingezogen«. In Karlsruhe entstand in der dritten Etage eines ehemaligen Kaufhauses eine Boulderhalle. Der alte Hamburger Karstadt heißt jetzt »Jupiter« und bietet auf 8.000 Quadratmetern Kunst statt Konsum – mit Ateliers, Galerien und Kunst-Workshops. Die Rolltreppen sind geblieben, Kassentheken und Umkleidekabinen laden zum Experimentieren ein. Auf dem spiegelglatten Boden habe es zeitweise auch eine Rollschuh-Disco gegeben. In Siegen entstand in den oberen Etagen ein Hörsaal-Zentrum der Universität.
Wäre das nichts für Reutlingen? Seit der Wegzug von Galeria Fakt ist, blieb die Stadtverwaltung nicht untätig. Jüngst wurde bekannt, dass der Förderantrag für eine temporäre Zwischennutzung von Teilflächen im Erdgeschoss und auf dem obersten Parkdeck bereits vor Weihnachten 2023 positiv beschieden wurde. Reutlingen erhält dafür aus dem Bundesprogramm »Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren (ZIZ)« für 2024 insgesamt 750.000 Euro.
Vielfältige Ideen eingegangen
Am 31. Januar und 1. Februar hat die Hamburger Stadtmanufaktur im Auftrag der Stadt mit Reutlinger Akteuren aus den Bereichen Wirtschaft, Einzelhandel, Gastronomie, Kunst und Kultur, Bildung und Wissen sowie Freizeit und Sport Workshops veranstaltet, um ein Zwischennutzungskonzept zu erstellen. Dabei zeigte sich den Veranstaltern zufolge mit vielfältigen Ideen die Bereitschaft, an der Zwischennutzung des Galeria Kaufhof mitzuwirken. Viele Interessierte fanden sich ein, jeweils mit eigenen Vorstellungen und Nutzungsvorschlägen, um sich in die Aktivierung der Immobilie einzubringen. »Die Zusammenarbeit und die Ideen, die während dieser Treffen entstanden sind, waren äußerst ermutigend und vielversprechend«, schreibt Sophie May von der Stadtmanufaktur GmbH nun an die Teilnehmenden jener Werkstätten, aber auch an andere Interessierte und künftige Nutzer.
Gleichzeitig blieben aber noch viele Fragen offen: Wie hoch sind die Nebenkosten? Kann man sich die Fläche anschauen? Ist noch Mobiliar von Galeria vorhanden, welches genutzt werden kann? Wann wird die Eröffnung geplant? Da sich die Abstimmungen mit dem Eigentümer beziehungsweise der Eigentümervertretung in den vergangenen Wochen noch hinzogen, gingen erst jetzt weitere Informationen und Rückmeldungen auf die Anfragen der Stadtmanufaktur sowie der interessierten Kulturschaffenden, Gastronomen, Einzelhändler, Bildungseinrichtungen und Sportvereine aus Reutlingen ein. Aus Mays E-Mail, die dem GEA vorliegt, ergibt sich erstmals Konkreteres zur bislang anvisierten Zwischennutzung. »Wir können nun endlich einige der aufgekommenen Fragen beantworten und die nächsten Schritte ankündigen«, schreibt die Projektleiterin für Architektur und Stadtentwicklung, Projektmanagement, Kommunikation und Fachjournalismus des Beraterteams.
Erste Details zu den Rahmenbedingungen
Fläche: Insgesamt sollen 1.200 Quadratmeter angemietet werden. Die Fläche werde möglichst offen gestaltet, sodass sie flexibel für verschiedene Anlässe und Formate nutzbar ist.
Struktur: Vier Bereiche sind zur Anmietung einer Fläche im Erdgeschoss des Galeria Kaufhof aktuell vorgesehen – und gemäß der Förderbedingungen über die Laufzeit von 1. Juni bis 31. Dezember 2024 auch nötig, damit die Stadt Reutlingen die Mietverträge mit dem Eigentümer schließen kann: Auf 300 Quadratmetern sollen Pop-up-Stores mit einzelnen Parzellen für etwa acht bis zehn Unternehmen oder Aussteller einziehen. Auf weiteren 300 Quadratmetern sollen Flächen für Kunst und Kultur, Veranstaltungen, Ausstellungen und Messen bereitgestellt werden – wobei temporär auch die Nutzung der anderen Flächen möglich wäre. 300 Quadratmeter sind für freie Arbeits- und Lernflächen vorgesehen. Angedacht ist auch ein abtrennbarer Seminarraum für bis zu 30 Personen. 300 Quadratmeter schließlich sollen für Bewegungs- und Freizeitangebote, zum Beispiel mit Parcours, Tischtennisplatten, Billard und Ähnlichem bereitgehalten werden. Es soll bereits mehrere konkretisierte Einzelformate innerhalb der oben genannten groben Flächenzuordnung geben.
Zeitraum: Derzeit sehe man den Start ab 1. Juni 2024 vor. Gefördert wird die Zwischennutzung im Rahmen des ZIZ-Programms bis Ende Dezember 2024.
Öffnungszeiten: Um eine möglichst gute Auslastung und Frequenz zu garantieren sowie kurzfristig zu aktivierende Ressourcen zu erhalten, scheine ein Betrieb etwa von Donnerstag bis Sonntag sinnvoll. Einzelne Veranstaltungen könnten dazu aber insbesondere auch abends stattfinden.
Ausstattung: Für die Ausstattung der Fläche stehen Fördermittel zur Verfügung. In Absprache mit den vier Haupt-Untermietern werden im Rahmen des verfügbaren Budgets zeitnah entsprechendes Mobiliar, Ausstellungsinfrastruktur und Technik angeschafft.
Nebenkosten: Miet- sowie kalte Nebenkosten werden über das ZIZ-Programm finanziert. Von Nutzern sind also ausschließlich die warmen Nebenkosten in Höhe von 0,75 Euro pro Quadratmeter zu tragen. Das ergäbe Kosten von 225 Euro pro Monat beziehungsweise 1.575 Euro für die gesamte Laufzeit von sieben Monaten, rechnen die Projektleiter vor. Dies unabhängig davon, ob die Fläche gewerblich oder ehrenamtlich genutzt wird. Für einzelne Veranstaltungen soll eine Pauschale in Höhe von 25 Euro pro Tag veranschlagt werden.
Dachnutzung: Wie berichtet, gibt es seitens lokaler Gastronomen Interesse an einer Nutzung des Parkdecks unter anderem für Veranstaltungen – bereits 2006 hatte es dort den »Sky-Beach« gegeben. Eine zentrale Beach-Bar unter freiem Himmel scheint nicht zuletzt hinsichtlich der Fußball-EM im Juni und Juli attraktiv. »Hier sind aktuell noch Abstimmungen mit dem Eigentümer ausstehend«, teilt May mit.
Zwischennutzungsmanagement: Zur Betreuung der einzelnen Nutzer und Interessenten sowie als zusätzliche Unterstützung im Bereich der Organisation, Kommunikation und Vermarktung laufe aktuell eine Ausschreibung für ein Zwischennutzungsmanagement. Die Ansprechpartner sollen zeitnah zur Verfügung stehen und die weiteren Planungen unterstützen.
Für alle Interessierten soll es einen weiteren digitalen Austausch geben, und zwar am Montag, 18. März, um 17 Uhr. »Beim Termin werden die aktuellen Planungen vorgestellt, und es wird Raum für Rückfragen geben«, kündigt May an. »Wir sind zuversichtlich, dass wir in den kommenden Wochen gemeinsam eine attraktive Nutzung und spannende Angebote im ehemaligen Galeria Kaufhof auf die Beine stellen können, welche nicht nur der Reutlinger Innenstadt, sondern auch der Reutlinger Stadtgesellschaft zugutekommen.« Die Mail dürfe gern an weitere Interessierte weitergeleitet werden. Für Rückfragen und weitere Informationen verweist sie an Markus Flammer von der Stadtverwaltung.
»Auch aus aktuellem Anlass zeigt sich, dass die Transformation der Reutlinger Innenstadt im Positiven wie im Negativen weitergeht und wir freuen uns, wenn Sie diese mit uns gemeinsam gestalten«, schreibt Sophie May abschließend. Darüber freuen sich auch viele Reutlinger. Es bleibt also spannend. (GEA)