REUTLINGEN. »Keine Angst, er tut nichts«, behaupten manche Besitzer auch in Reutlingen von ihren Hunden, doch darauf ist nicht immer Verlass. Ganz egal, ob es sich dabei um den Schäferhund des Nachbarn handelt oder um einen sogenannten Kampfhund. Dass Letztere jedoch aufgrund ihrer Aggressivität für Schlagzeilen sorgen, kommt nicht allzu selten vor. In Österreich ist eine Frau im Oktober beim morgendlichen Joggen von einem Kampfhund zu Tode gebissen worden, er war angeleint, trug jedoch keinen Maulkorb. Das Tier, ein American Staffordshire Terrier, wurde auf Anordnung der Bezirksbehörde eingeschläfert. In Oberösterreich ist die Haltung dieser Hunderasse, anders als in Deutschland, mit keinen besonderen Auflagen verbunden. In England müssen jetzt nach mehreren - teilweise auch tödlichen Hundeattacken - XL-Bully-Hunde eingeschläfert werden. Auch sie gelten als Kampfhunde.
»Bei der Stadt Reutlingen sind aktuell 29 Hunde, die als Kampfhunde beziehungsweise Kampfhundemischlinge gelten, steuerlich erfasst«, teilt der Pressesprecher der Stadt Reutlingen, Dennis Koep, auf GEA-Anfrage mit. »Wer einen Kampfhund halten will, benötigt eine Erlaubnis der Ortspolizeibehörde«, sagt er. Die kann nur unter strengen Voraussetzungen erteilt werden: »Der Antragsteller muss ein berechtigtes Interesse an der Haltung eines Kampfhundes nachweisen, gegen seine Zuverlässigkeit und Sachkunde dürfen keine Bedenken bestehen und von dem Hund dürfen keine Gefahren für Dritte ausgehen. Außerdem müssen auch Vorkehrungen getroffen sein, damit der Hund nicht entlaufen kann.« Die Erlaubnis dürfe nur erteilt werden, wenn der Kampfhund gekennzeichnet sei, beispielsweise durch einen Chip, und vom Besitzer eine Haftpflichtversicherung nachgewiesen werde. »Der Kampfhund-Halter muss diese Erlaubnis stets mit sich führen«, betont Koep.
Welche Hunderassen in Deutschland als Kampfhunde gezählt werden, hängt vom jeweiligen Bundesland ab, erläutert der Stadtsprecher. Denn jedes Land verfüge über eigene Hundegesetze. Nur in Schleswig-Holstein, Thüringen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine Rasselisten. Nach der baden-württembergischen Kampfhundeverordnung gelten die Rassen American Staffordshire Terrier, Bullterrier und Pit Bull Terrier als besonders gefährlich und aggressiv. Die Eigenschaft als Kampfhund gilt zudem bei weiteren neun Rassen. Dazu sind folgende: Staffordshire Bullterrier, Dogo Argentino, Bordeaux Dogge, Fila Brasileiro, Mastin Espanol, Mastino Napoletano, Mastiff und Tosa Inu. »Diese gelten als Kampfhunde nur dann, wenn sich Anhaltspunkte auf eine gesteigerte Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen und Tieren nach entsprechender Prüfung bestätigt haben. Die Kampfhundeeigenschaft muss daraufhin von der Ortspolizeibehörde amtlich festgestellt werden«, sagt er.
Was sind Kampfhunde?
Kampfhunde sind Hunde, bei denen aufgrund rassespezifischer Merkmale, durch Zucht oder durch ihre Haltung oder Ausbildung von einer gesteigerten Aggressivität und Gefährlichkeit gegenüber Menschen oder Tieren auszugehen ist. Ihr Name geht auf die Hundekämpfe zurück, bei denen sie früher zum Einsatz kamen. Bei diesen oft extrem blutigen Kämpfen ging es sehr grausam und brutal zu. Häufig gab es einen tödlichen Ausgang für mindestens eines der Tiere. Es gab Wettbewerbe, bei denen zwei oder mehr Hunde gegeneinander kämpften, aber auch solche, bei denen die Tiere gegen Bären oder Bullen antreten mussten. Meist handelt es sich bei den Kampfhunde-Rassen um solche, die sehr kräftig gebaut und muskulös sind. Sie haben häufig eine niedrige Frustrationstoleranz, sodass sie schneller angreifen als andere Hunde. Das liegt an der Zucht dieser Tiere, welche nach diesen Merkmalen ausgerichtet wurde. (ifi)
Ein Listenhund wird jedoch nicht zwingend als Kampfhund abgestempelt, denn die Kampfhundeigenschaft kann durch das Ablegen einer Verhaltensprüfung widerlegt werden. »Diese Prüfung ist vor einem im öffentlichen Dienst beschäftigten Tierarzt und einem Polizeihundeführer abzulegen. Anschließend bedarf es einer amtlichen Feststellung durch die Ortspolizeibehörde, dass die Kampfhundeeigenschaft durch die Prüfung widerlegt wurde«, berichtet Koep. Nach bestandener Verhaltensprüfung gelte der Hund im Sinne der baden-württembergischen Hundeverordnung nicht mehr als Kampfhund.
Sichere Haltung erforderlich: Leinenpflicht in der Öffentlichkeit
Trotzdem müsse der Hund so gehalten werden, sodass er keine Gefahr darstelle. Es bestehe zwar dann keine Maulkorb-, aber weiterhin eine Leinenpflicht in der Öffentlichkeit. Erforderlich sei aber eine Hundemarke, über die der Halter ermittelt werden könne. Ist der Hund im Zeitpunkt der erfolgreich bestandenen Verhaltensprüfung noch nicht älter als 15 Monate, so ist eine Wiederholungsprüfung im Alter zwischen 15 und 18 Monaten erforderlich.
Im Jahr 2022 wurden in den Landkreisen Reutlingen, Esslingen, Tübingen und Zollernalbkreis rund 130 Fälle registriert, bei denen Menschen von Hunden angegriffen und verletzt wurden. 2021 waren es etwa 110. Allerdings beziehen sich diese Zahlen nicht auf bestimmte Rassen, sondern auf alle Hunde.
Ermittlungen wegen des Verdachts eines Körperverletzungsdelikts
Doch welche Folgen drohen einem Hundebesitzer, wenn sein Hund zugebissen hat? »Wenn nach einem Hundebiss Anzeige erstattet wird, leitet die Polizei Ermittlungen wegen des Verdachts eines Körperverletzungsdelikts ein. Die Ermittlungsergebnisse werden anschließend der Staatsanwaltschaft zur weiteren Entscheidung vorgelegt«, informiert die Sprecherin des Polizeipräsidiums Reutlingen, Ramona Döttling.
Verletze ein Hund auf Veranlassung des Hundehalters eine andere Person, sei sogar der Verdacht einer gefährlichen Körperverletzung zu prüfen. Diese Fallkonstellation bilde aber laut Döttling die absolute Ausnahme. »Die Zahlen liegen hier im ganz niedrigen einstelligen Bereich«, sagt sie.
Hunde verbeißen sich untereinander und Halter gehen dazwischen
Die Polizeisprecherin berichtet: "Ein großer Teil der Hundebisse kommt dadurch zustande, dass sich die Hunde untereinander verbeißen, die Halter dazwischen gehen und es dann zu einer Verletzung kommt. Solche Fälle können den Tatbestand einer fahrlässigen Körperverletzung nach Paragraf 229 des Strafgesetzbuches erfüllen: "Wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht, wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Zusätzlich kann die Polizei die Hundehaltung überprüfen. Das sei allerdings nicht gleichzusetzen mit einer gutachterlichen Überprüfung. "Es können allerdings Anregungen gegeben werden, ob beispielsweise ein Leinen- oder Maulkorbzwang sinnvoll wäre", weiß sie.
Die Vorsitzende des Reutlinger Hundesportvereins Hoppers, Uta Eberwein, ist nicht der Ansicht, dass alle Kampfhunde zwingend gefährlich sind. Sie erzählt von einem Pit Bull, der sich wie »ein Lämmchen« verhalten habe. »Und Dobermänner sind solche Sensibelchen«, ergänzt sie. Auf die Frage, ob ein Hund lieb erzogen werden kann, antwortet sie: »Absolut!« Zwar könne er gewisse Veranlagungen haben, die eine erhöhte Aggressivität begünstigen. Meistens jedoch sei das Beißen eine Reaktion des Hundes auf das Fehlverhalten des Menschen. »Das Tier beißt meistens aus einer Unsicherheit heraus«, betont sie.
Der Schlüssel einer gelungenen Hundeerziehung: liebevolle Konsequenz
Hilfreich für eine gelungene Hundeerziehung ist »liebevolle Konsequenz«, sagt sie. Wichtig sei noch, den Hund von jung auf zu trainieren und für seine Sozialisierung zu sorgen, in dem er regelmäßig mit Menschen und anderen Hunde in Verbindung komme. Hundehalter sollten verpflichtet werden, mit ihren Tieren eine Hundeschule zu besuchen, wünscht sie sich. Das größte Problem ist laut ihr, »dass sich viele Leute keine Gedanken über den Hund machen, den sie sich holen. Gewisse Hunde gehören eben nicht in jede Hand«, fasst sie zusammen. (GEA)