REUTLINGEN. Kerzengerade und mit voller Spannung sitzen rund 100 Kinder in der Julius-Kemmler-Halle in Betzingen auf der Stuhlkante. Auf Kommando von Vokalpädagogin Friedhilde Trüün öffnen die Kinder ihre Münder, aktivieren ihre Stimmen und hüllen die Halle in einen Klang von keinem Geringerem als Ludwig van Beethoven ein. Die Projektleiterin übt seit einer Woche mit den Dritt-, Viert-, und Fünftklässlern der Friedrich-Hoffmann-Gemeinschaftsschule aus Betzingen für das Konzert »Sing Beethoven« heute um 17 Uhr in der Reutlinger Christuskirche.
Seit 2020 leitet Friedhilde Trüün das Projekt »Sing Beethoven«, das Kinder mit klassischer Musik in Verbindung bringen soll. Die Vokalpädagogin verknüpft in dem Projekt die bekannten Stücke von Beethoven mit eigenen arrangierten Texten. Eine Idee, die auch den Lehrern der Betzinger Schule gefällt und nun ein Gemeinschaftsprojekt der Klassen ist. »Es ist egal, welche Musik es ist. Man muss es den Kindern nur mit Spaß rüberbringen«, sagt die studierte Kantorin.
Handstand hilft gegen Schluckauf
Wie sie Spaß an klassischer Musik vermittelt, dürfen die Schüler der Friedrich-Hoffmann-Gemeinschaftsschule am eigenen Leib erfahren. Mit dynamischen Bewegungen verbildlicht Friedhilde Trüün die Texte der Lieder. »Ich nutze Stimmbildung, Gestenmethodik und Gebärdensprache«, sagt sie. So sollen sich die Kinder die Liedtexte gut einprägen. Dabei kommt es auch auf die Aussprache der Wörter an: »Die Wörter haben so viel Kraft, und ihr müsst sie deutlich sprechen«, erklärt die Vokalpädagogin den Schülern.
Wenn die Aussprache sitzt, muss nur noch ein schöner Ton entstehen. Da kommt es auf die richtige Atmung an, erklärt Friedhilde Trüün. Dann steht dem Singen eigentlich nichts mehr im Weg. Wäre da nicht der nervige Schluckauf, der einen Jungen beim Singen beeinträchtigt. Doch das ist kein Problem für die Vokalpädagogin. Sie hat da ihre Methoden und weiß ihm zu helfen: Mit einem Handstand. »Wenn man einen Handstand macht und atmet, geht der Schluckauf weg«. Und tatsächlich. Nach dem Handstand kann der Junge weitersingen.
Zauberblick für Publikum
Für die Fünftklässlerinnen Elif Icöz, Liese Schmid, Simay Yilmaz und Amani SheiKh aleb ist das Singen im Chor zwar nicht neu, aber dennoch anders. "Wir hatten schon ein paar Aufführungen, aber so viele Kinder waren nie dabei", erzählt Simay Yilmaz. 200 Kinder werden heute Abend auf der Bühne stehen und mit vollem Einsatz bekannte Stücke wie "Ode an die Freude" aus der neunten Sinfonie oder "Für Elise"performen. Die Kinder haben jetzt schon viel geprobt, aber Aufregung ist trotzdem da: "Frau Trüün wird beim Konzert keine Bewegungen mehr machen.
Dann müssen wir selber wissen, was wir singen sollen", erzählt Elif Icöz. Die Projektleiterin weiß aber, dass alles klappen wird. Außerdem verrät sie den Kindern, wie sie die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich ziehen können. Der "Zauberblick", wie die Vokalpädagogin ihn nennt, ist das Wundermittel. Und der geht ganz einfach: Einfach auf der Bühne strahlen und begeistert sein, das stecke das Publikum an.
Begeisterte Lehrkräfte
Bei Christiane Koester-Wagner vom Reutlinger Spendenparlament hat der »Zauberblick« funktioniert. »Mir läuft immer ein Schauer über den Rücken, wenn die Kinder singen«. Fast die Hälfte der Kinder kam noch nie mit klassischer Musik in Berührung. »Wir wollen das fördern und unterstützen das Projekt mit einer Spende von 6.300 Euro«.
Und auch die Lehrkräfte sind schon bei den Proben von ihren Schülern begeistert. Vor allem das Gemeinschaftsprojekt wird gelobt. »Gemeinsames Singen verbindet, unabhängig von der Klasse«, sagt Musiklehrerin Gabriele Schief. (GEA)