REUTLINGEN. Sollte man sich impfen lassen? Bei diesem Thema wird Prof. Dr. Friedrich Pühringer energisch: »Wir haben ganz klar eine Pandemie der Ungeimpften. Es ist erschreckend in der Deutlichkeit, dass Ungeimpfte so schwere Verläufe haben.« Der Ärztliche Direktor der Kreiskliniken Reutlingen ist ein resoluter Österreicher, der generell kein Blatt vor den Mund nimmt: »Die Belegung auf der Intensivstation ist dramatisch zu Ungunsten der Ungeimpften.« Zum Zeitpunkt des GEA-Gesprächs am Mittwoch liegen vier Covid-Patienten auf der Intensivstation am Steinenberg. Alle sind laut Pühringer ungeimpft, zwei sind älter als 50 Jahre, zwei jünger. Er kann sich in den vergangenen Wochen nur an einen Patienten auf der Intensivstation erinnern, der geimpft war. »In seinem Impfpass war aber nur die Covid-Impfung zu finden, keine andere.« Auf erneute Aufforderung habe man den Impfpass nicht mehr vorzeigen können. Ob er echt war? Pühringer weiß es nicht.
Was er allerdings aus der Erfahrung der vergangenen Wochen eindrücklich in Erinnerung hat: »Wir hatten wirklich dramatische Fälle hier. Das waren ungeimpfte Menschen, die topfit und sportlich waren. Und die sind an Covid gestorben.« Pühringer sagt, dass er eine Impfpflicht »absolut befürworten« würde. »Zweimal a Stichl in Oberarm is doch lange nicht so schlimm, wie Long Covid.«
Auf der Isolierstation der Kreiskliniken liegen zum gleichen Zeitpunkt 33 Covid-Patienten. Einige von ihnen seien Impfdurchbrüche. Das seien aber ältere Menschen oder solche, die aufgrund von anderen Erkrankungen auf Medikamente wie Cortison angewiesen seien. Pühringer schätzt die Zahl der Impfdurchbrüche auf der Isolierstation auf 20 Prozent. Genaue Zahlen dazu, Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, hat der GEA von den Kreiskliniken nicht erhalten.
Ältere Menschen stärker betroffen
Die Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) passen zu Pühringers Aussage: Ältere Menschen sind deutlich stärker von Impfdurchbrüchen betroffen. In den Kalenderwochen 40 bis 43 handelte es sich bei 44,9 Prozent der Über-60-Jährigen Covid-Patienten in allen deutschen Krankenhäusern um »wahrscheinliche Impfdurchbrüche«. Bei den 18- bis 59-Jährigen waren 20,9 Prozent der Covid-Fälle im Krankenhaus geimpft und trotzdem erkrankt. Mehr als jeder Fünfte Corona-Infizierte (23,2 Prozent) in Baden-Württemberg in den vergangenen vier Wochen war vollständig geimpft. Das geht aus den Daten des Landesgesundheitsamtes hervor. Vom 5. Oktober bis zum 2. November wurden dort 58.919 neue Fälle registriert, bei 13.598 handelt es sich um einen Impfdurchbruch. Etwas niedriger liegt der Prozentsatz im Kreis Reutlingen: Vom 22. Oktober bis zum 4. November wurden 1.216 neue Fälle gemeldet. 138 (also 11,35 Prozent) waren durchgeimpft. Pühringer plädiert dafür, diese Zahlen nicht überzubewerten und auf den Schutz vor einem schweren Verlauf zu achten: »Die schweren Verläufe sind ungeimpft.« Der Wochenbericht des Robert Koch-Instituts zeigt aber auch: Impfung ist kein absoluter Schutz vor dem Tod durch Corona. 43 Prozent der in den Kalenderwochen 40 bis 43 deutschlandweit verstorbenen Covid-Patienten über 60 waren doppelt geimpft. (GEA)