KREIS REUTLINGEN. Die Ärzte in ganz Deutschland sind von einer ihrer wichtigsten Berufsorganisationen, der Kassenärztlichen Vereinigung, aufgerufen worden, am Mittwoch, 19. Oktober, in einen Streik zu treten. Das bedeutet, auch im Landkreis Reutlingen könnten Patienten vor verschlossenen Praxistüren stehen. Dem Aufruf wollen sich niedergelassene Ärzte im Kreis und darüber hinaus anschließen, wie der Vorsitzende der Kreisärzteschaft, Dr. Günther Fuhrer, im GEA-Exklusiv-Interview erläuterte. Anschließen wollen sich nach seinen Angaben sowohl Allgemein- als auch Fachärzte.
Um die Einschränkungen für die Patienten aber so gering wie möglich zu halten, will Fuhrer und seine Kollegen vorab ihre Patienten über den Protest- und Streiktag rechtzeitig informieren: »Es wird vorab Flugblätter und Gespräche mit unseren Patientinnen und Patienten gebe. Dabei soll erklärt werden, warum wir das am Mittwoch machen«, so Fuhrer. Die Ärzte blieben aber zur Behandlung und Versorgung von Notfällen in ihren Praxen: »Wenn jemand mit akuten Beschwerden oder beispielsweise einem gebrochenen Fuß zu uns kommt, wird selbstverständlich behandelt. Eine Notfallversorgung ist auf jeden Fall gewährleistet«, versichert er.
Die Ärzteschaft wendet sich mit ihrem Streiktag gegen die geplante Neuregelung des sogenannten Terminservicegesetzes. Dieses war von der alten schwarz-roten Bundesregierung im Mai 2019 umgesetzt worden. »Das war eine recht positive Regelung, die gegen die Zweiklassengesellschaft aus Privat- und Kassenpatienten wirken sollte«, bewertet der Vorsitzende der Reutlinger Ärzteschaft das Gesetz. So habe es dazu geführt, dass Ärzte sogenannte offene Sprechstunden für Neupatienten angeboten haben und nicht auf ihre Stammpatienten fokussiert blieben. Dafür sollten sie ihre Praxen fünf Stunden in der Woche länger geöffnet halten. Günther Fuhrer sieht das auch als Serviceleistung gegenüber den Kassenpatienten. »Es wurde ja immer wieder kritisiert, dass Privatpatienten bei der Terminvergabe bevorzugt würden«, meint er.
Mit diesem Terminservicegesetz geht einher, dass Ärzte, Fachärzte und Psychotherapeuten alle Leistungen in voller Höhe vergütet bekommen. Das ist bis heute der Fall. Das stieß bei der Ärzteschaft bundesweit auf Zustimmung.
Doch die neue Bundesregierung will das schon bald wieder ändern. So hat das Bundeskabinett bereits dem Entwurf für ein sogenanntes Finanzstabilisierungsgesetz zugestimmt, das offenbar die genannte Neupatientenregelung wieder zurücknehmen will.
»Tägliche Arbeitszeiten von 12 bis 14 Stunden sind keine Ausnahme«
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung KBV schäumte deshalb bereits im Sommer: »Der Widerstand gegen die Streichung der Neupatientenregelung wächst.« Der bekannte Vorsitzende der KBV, Dr. Andreas Gassen, meinte wörtlich: »Die Maske ist gefallen. Karl Lauterbach will die Versorgung der Bürger einschränken. Dieses Gesetz ist ein Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten in Deutschland.«
Die Fachärzte auch in Baden-Württemberg unterstützen den Protest und haben eine groß angelegte Kampagne mit Plakaten und Veröffentlichungen gestartet. Dort heißt es in Slogans unter anderem: »Alle ihre Termine verzögern sich« oder »Keine Termine für Neupatienten«. Darunter steht jeweils »Ihre Bundesregierung«.
In einer Stellungnahme des Hautärzteverbandes bvdd wird auch kritisiert, die Politik habe es während der Pandemie versäumt, die Ausgaben im Gesundheitsbereich gerecht zu organisieren. So heißt es: »Während bei Testzentren und Impfzertifikaten aktiv weggeschaut wurde, beziehungsweise hohe Honorare für wenig Leistung ausgezahlt wurden, schraubt man jetzt die notwendige ambulante Versorgung im niedergelassenen Bereich zurück.«
»Wir wollen diese Gesetzesänderung nicht akzeptieren«
Dr. Günther Fuhrer gibt zu, dass die Ärzte nicht zu den Schlechtverdienern gehörten und der Protest wie ein »Jammern auf hohem Niveau« aufgefasst werden könnte. Für ihn geht es aber offenbar im Wesentlichen um die Versorgung von Patienten. »Natürlich befinden wir uns nicht am Ende der Einkommenstabelle, dafür arbeiten die meisten Ärzte aber auch über dem Durchschnitt viel. Tägliche Arbeitszeiten von 12 bis 14 Stunden sind keine Ausnahme«, so Fuhrer.
Auch die Arztpraxen seien im hohen Maße von den Preissteigerungen betroffen. Gerade bei Geräten, die viel Strom verbräuchten, wie etwa in der Radiologie. Hinzu kämen die Inflation und die Personalkosten für die medizinischen Fachangestellten (MFA).
Mit dem Protesttag solle ein Zeichen an die Politik gesetzt werden: »Wir wollen diese Gesetzesänderung nicht akzeptieren.« (GEA)