Mit der Unterzeichnung des neuen und erweiterten Kooperationsvertrags zwischen der Universität Tübingen und der IHK Reutlingen wollen die Partner erkennbar machen, dass beide Institutionen in vielen Feldern ähnliche Ziele verfolgen, sagte der Rektor in seiner Ansprache. Ganz konkret nannte er die Qualifizierung der Studierenden in zukunftsrelevanten Arbeitsfeldern, die Verbreiterung und bessere Abstimmung des Schlüsselqualifikationsangebots im Studium Professionale und die Verbesserung der Dienstleistungen im Technologie- und Wissenstransfer oder im Bereich der Existenzgründung.
Besonders wichtig: Es soll eine Initiative gestartet werden, die auch kleinere und mittlere Unternehmen aus der Region und darüber hinaus mit dem Leistungspotenzial und den Forschungsprojekten der Universität vertraut mache und so nachhaltige Kooperationen zwischen Unternehmen und der Universität aufbaue.
»Forschungsfreiheit bleibt«
Die Freiheit von Forschung und Lehre, auf die sich gerne die Kritiker der Annäherung der Wissenschaft an die Wirtschaft berufen, sieht Engler nicht in Gefahr. Die Universitäten hätten auch die Verpflichtung, für den Arbeitsmarkt auszubilden. Und sie täten gut daran, jungen Menschen Berufsperspektiven zu erschließen. Ganz davon abgesehen habe die Universität Tübingen seit ihrer Gründung vor 530 Jahren sich ununterbrochen und in beträchtlichem Ausmaße verändert. Immer schon sei sie reformfreudiger und zukunftsorientierter als ihr Ruf gewesen.»Vorhandene Stärken auszubauen, herausragende Bereiche in der Grundlagenforschung fit für die Anwendung zu machen«, das sei die Devise, mit der die Universität den Prozess der Bildung ihres Zentrums für Angewandte Wissenschaften anstoßen werde: Bio- und Pharmatechnologie, Medizintechnik und Regenerative Medizin stünden ebenso im Zentrum wie die angewandte Geo-Umweltforschung. In diesen Bereichen habe die Universität bereits ein beachtliches Forschungspotenzial. Hier wolle die Uni Tübingen mit außeruniversitären Forschungspartnern und mit Unternehmen der Region und darüber hinaus neue Felder erschließen. In der Medizintechnik werde im kommenden Jahr zusammen mit der Uni Stuttgart ein gemeinsamer Studiengang eingerichtet. Zugleich würde die anwendungsorientierte Forschung mit Spezialbereichen von der Bildgebung bis hin zur Technologie vitaler Implantate oder Biosensorik an beiden Standorten gestärkt. Engler: »Dies sind nur einige wenige Bausteine der künftigen Neuaufstellung, die zeigen, dass wir über unsere Visionen nicht nur reden, sondern sie auch konkret werden lassen.«
Epp: eine große Freude
»In der arbeitsteiligen globalisierten Welt von heute können das Hochlohnland Deutschland und besonders das exportorientierte Baden-Württemberg seinen Wohlstand nur dann sichern und ausbauen, wenn es sich zu einer wirklichen Wissensgesellschaft wandelt«, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Epp in seiner Replik. Produkt- und Prozessinnovationen einerseits und fortlaufende Bildung der Menschen andererseits seien die Grundlage für diese Entwicklung. Dies setzte eine enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft voraus. Als Vertretung von über 37 000 Mitgliedsunternehmen in der Region Neckar-Alb habe die IHK mit großer Freude das Angebot angenommen, gemeinsam einen neuen Kooperationsvertrag zwischen der Universität Tübingen und der Wirtschaft der Region auszuarbeiten. Der frühere IHK-Präsident Uwe Jens Jasper hatte dazu die Grundlagen gelegt.Die IHK Reutlingen werde in Zukunft gerne mit der Universität bei der Vermittlung von Praktika und Abschlussarbeiten enger zusammenarbeiten, betone Epp. Die Aus- und Weiterbildungskooperationen würden ausgebaut, die Forschungs- und Entwicklungsprojekte unterstützt. Die Kooperation bei den Existenzgründungen würde intensiviert. Die Vernetzung in den vorhandenen Gremien und Fördervereinen vorangetrieben. Beim Thema Hochschule 2012 werde man eng mit der Uni zusammenarbeiten.
Oettinger: ein kluger Vertrag
»Zwei Kooperationsverträge, zwei Auszeichnungen von Unternehmern, das kommt genau zur richtigen Zeit«, sagte der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger. »Wir brauchen Antworten für die Zeit nach der Krise. Das ist ein kluger und richtungsweisender Vertrag.« Er erinnerte daran, dass gerade das Exportland Baden-Württemberg mit einem Einbruch beim Bruttoinlandsprodukt in Höhe von neun Prozent im ersten Halbjahr besonders schwer getroffen sei. Für ihn ist es besonders wichtig, mehr Ingenieure und Naturwissenschaftler auszubilden. An die Wirtschaft appellierte er, gerade in der Krise den Universitätsabgängern Stellen anzubieten. »Auch das ist Generationen-Gerechtigkeit.« Der Universität gab er das Prädikat »Reformmotor«, würdigte den Platz sieben beim jüngsten Ranking über die deutschen Universitäten, wünschte aber auch, dass sie im Vergleich mit allen Unis auf der Welt sich vom Platz 150 zu den Top 100 vorarbeite.Eine neue Ära der Zusammenarbeit gibt es auch zwischen der Uni Tübingen und dem Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut der Uni Tübingen in Reutlingen (NMI). Auch sie unterschrieben einen Kooperationsvertrag. Engler sprach von einer neuen Ära der Zusammenarbeit zwischen universitärer und anwendungsbezogener außeruniversitärer Forschung und Entwicklung. »Wir sind gerade dabei die erste gemeinsame Professur und Arbeitsgruppe im Bereich der Bio- und Pharmatechnologie einzurichten«, sagte der Rektor. Zum ersten Mal werde eine Universitätsprofessur mit ihrer Arbeitsgruppe direkt am NMI angesiedelt sein und vor Ort im Verbund mit anderen Forschern am NMI arbeiten. Die Einbeziehung von Doktoranden der Universität in Projekte des NMI werde künftig die Nachwuchswissenschaftler noch stärker an anwendungsorientierte Forschung heranführen und ihnen neue Horizonte eröffnen.
Geist der Partnerschaft
NMI-Institutsleiter Prof. Hugo Hämmerle freut sich: »Die Universitätsleitung hat dieses Potenzial als angewandtes Forschungsinstitut erkannt.« In einem fruchtbaren, intensiven Dialog habe man den neuen Kooperationsvertrag entwickelt. Eine Vereinbarung, die im Geiste eine Partnerschaft auf Augenhöhe als Leitgedanken habe. Für Hämmerle ist klar: »Die An-Institute bilden die Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft«. Die Erfahrung im Umgang mit der Grundlagenforschung und der Wirtschaft könne man in die Kooperation einbringen. Am NMI arbeiten und forschen über 100 Wissenschaftler und Ingenieure. Darüber hinaus sind am Institut 60 Studenten und Doktoranten tätig. Fünf NMI-Wissenschaftler sind im Lehrbetrieb der Universität Tübingen als Professoren eingebunden. Das NMI arbeitet auf den zukunftsweisenden Geschäftsfeldern Pharma und Biotechnologie, Biomedizintechnik und Oberflächen- und Grenzflächentechnologie. Hämmerle erinnerte an den Wahlspruch des Universitätsgründers Graf Eberhard im Bart: »Attempto - ich wag’s.«Reiff und Maute Ehrensenatoren
Der Unternehmer Eberhard Reiff, zugleich IHK-Präsident, und der Geschäftsführer der Firma Joma Polytec Kunststoff GmbH (Bodelshausen), Hans-Ernst Maute, wurden bei der Veranstaltung zu Ehrensenatoren ernannt. Laudator Arnd-Diether Rösch würdigte Reiff als einen Unternehmer mit Understatement - aber mit Vorbildfunktion. In seinem Amt als IHK-Präsident habe er mit dem Projekt »Wirtschaft macht Schule« über die Region hinaus bildungspolitisch gewirkt. Eberhard Schaich, ehemaliger Uni-Rektor, würdigte die Leistung von Maute. »Sie stehen einem hochinnovativen Unternehmen mit einer Erfolgsstory vor.« Ethische Grundsätze würden vom Gewürdigten auch im Alltag gelebt. Hervorgehoben wurde auch seine Rolle des Türöffners und Netzwerkers. Erwähnt wurden auch einige Ehrenämter. Maute ist seit 2005 Vizepräsident der IHK Reutlingen. Reiff und Maute sind zudem Förderer der Universität Tübingen.Ministerpräsident Günther Oettinger gab beiden Unternehmern aber auch noch etwas mit auf den Weg: »Die Ehre ist gut, schwerer wiegt aber die Verpflichtung.« (GEA)